Auch wenn die Zahlen von Toten und Infizierten derzeit sinken, gibt es noch viel zu tun. Hamburger Experten forschen und helfen hier und in Afrika.
Hamburg. Die Ziele der Uno-Sondermission zur Reaktion auf Ebola (UNMEER) waren gesetzt zum Jahreswechsel: 100 Prozent aller Ebola-Patienten sollten isoliert und behandelt werden in Guinea, Sierra Leone und Liberia. In diesen drei Ländern in Westafrika hat die gefährliche Viruserkrankung zusammen bisher offiziell mehr als 8300 Todesopfer gefordert, doch werden längst nicht alle Patienten gemeldet. Zugleich sollten 100 Prozent aller Beerdigungen der nach dem Tod ansteckenden Patienten sicher und würdevoll erfolgen.
Doch die Ziele wurden verfehlt. Weiterhin erkranken und sterben Menschen an der Infektion. Auch wenn die Fallzahlen an einigen Orten punktuell sinken, können sie an anderen Stellen wieder steigen. David Nabarro, Ebola-Chef der Vereinten Nationen, sprach am Freitag von knapp 50 im besonderen Maße gegen das Virus kämpfende Gebiete.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) räumte inzwischen in Genf ein, dass sie unzureichend auf den Ausbruch der Ebola-Epidemie in Westafrika reagiert hatte. Das wurde ihnen lange von vielen Akteuren vorgeworfen. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hatte beispielsweise im Juni 2014 gewarnt, dass die Epidemie außer Kontrolle sei. Erst im August stufte die WHO den Ebola-Ausbruch schließlich als internationalen Gesundheitsnotfall ein.
Rund zehn Monate nach Bekanntwerden des Ebola-Ausbruchs im März 2014 bleibt eine Menge zu tun, um die Lage für die dramatisch belasteten Länder zu bessern: für die Einheimischen, die Helfer, lokale Behörden, internationale Organisationen und Forscher, die nach Therapien und Impfstoffen gegen die Erkrankung suchen.
Mitarbeiter des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNITM) in Hamburg spielen seit Beginn der Epidemie eine wichtige Rolle. Ein mobiles Labor der Europäischen Union zur Untersuchung von Blut wurde im März 2014 in Guinea installiert, dort nahm die Epidemie ihren Ursprung. „Seither wurden dort mehr als 5000 Proben von Patienten mit Verdacht auf Ebola untersucht“, sagt Prof. Stephan Günther, Chef der Virologie am BNITM. Zuletzt war er Mitte Dezember in Guinea, um Forschungsprojekte und Kooperationen auf den Weg zu bringen. Doch das Labor in Guéckédou in Guinea ist nicht das einzige, das vom BNITM mit betreut wird: Derzeit gibt es noch zwei weitere Labore in und um Freetown, der Hauptstadt von Sierra Leone. Das Land ist bislang am stärksten von der gefährlichen Fiebererkrankung betroffen. „Die drei Laboreinheiten werden von einem einzigen Kollegen am BNITM, Dr. Martin Gabriel, gemanagt, seine Stelle wird von der Europäischen Union bezahlt“, sagt Günther.
Auch für andere Mitarbeiter am BNITM ergibt sich eine hohe Arbeitsbelastung. „Was uns an den Rand der Ressourcen gebracht hat, ist, dass wir als sogenanntes ‚WHO Collaborating Center’ sowohl national als auch international dafür zuständig sind, die Blutproben von Ebola-Verdachtsfällen zu untersuchen“, sagt Günther. „Wir haben aus Ländern wie Ägypten, Sudan, Thailand, den Niederlanden und Spanien weit über 100 Proben überprüft, etwa von Hilfspersonal mit Stichverletzungen. Dafür mussten wir einen Bereitschaftsdienst aufbauen.“ Im Hochsicherheitslabor werden die Viren in den Blutproben zunächst inaktiviert, damit keine Ansteckungsgefahr mehr besteht, und die Proben dann weiter untersucht.
Was passiert bei Ebola-Patienten im Körper?
Zu den Aufgaben der Experten am BNITM gehört die Forschung daran, was die Viren eigentlich so gefährlich macht. Bislang ist vergleichsweise wenig darüber bekannt. Der erste Ausbruch mit dem Virus wurde zwar bereits im Jahr 1976 im damaligen Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) gemeldet, damals erkrankten Menschen in der Nähe des Flusses Ebola. Bis zur beispiellosen Epidemie in Westafrika waren jeweils nur kleinere Landstriche von einem Ausbruch betroffen. In all den Jahren starben mehr als 2300 Menschen an dem gefährlichen Fieber.
„Die WHO hat lange gesagt, wir machen keine Forschung innerhalb dieses Ausbruchs in Westafrika, sondern konzentrieren alle Kräfte auf die Kontrolle der Epidemie“, sagt Günther. „Das ist im Prinzip auch richtig bei kurzen Ausbrüchen, wie wir sie in der Vergangenheit gesehen haben.“ Im August sei dann der Wandel gekommen, Forschung antreiben zu wollen. Über ein Schnellverfahren wurden von der EU Ende Oktober 24,4 Millionen Euro für fünf Projekte zur Ebola-Forschung freigegeben. Darunter sind Gelder für klinische Studien, zum Beispiel mit einem Impfstoff und für die Gabe eines Influenza-Medikaments aus Japan; an diesen beiden Programmen ist das BNITM beteiligt. Zwei weitere befassen sich mit der Gabe von Antikörpern, die von Pferden stammen, und von Blut von Ebola-Überlebenden an akut Erkrankte.
Eines der fünf EU-Projekte koordiniert Stephan Günther. EVIDENT soll Grundlagen schaffen, damit Therapien oder Impfstoffe entwickelt werden können. Mehrere deutsche und internationale Partner sind daran beteiligt. „Letztendlich wissen wir nicht, was genau bei einer Ebola-Infektion im Menschen passiert, und wir wissen auch nicht genau, woran die Menschen sterben“, sagt Günther.
Virus-Spezialisten in Hamburg und andernorts untersuchen nun Blutproben, die Ebola-Patienten in Guinea entnommen wurden. So werde das Erbgut des Erregers sequenziert und überprüft, wie sich die Viren verändert haben, seit erste Proben im März 2014 entnommen wurden. Von großem Interesse ist die Reaktion des Immunsystems auf den Erreger, etwa wie sich bestimmte weiße Blutkörperchen (T-Zellen), Antikörper und Botenstoffe von Entzündungen verhalten – denn offensichtlich schaltet das Virus erst einmal die menschliche Immunabwehr aus. „Irgendwann fängt der Körper dann doch an, Immunzellen und Botenstoffe wie Zytokine auszuschütten, es folgt ein sogenannter Zytokin-Sturm, der nicht gut für den Körper ist. Die Gerinnung wird aktiviert, Blut und Flüssigkeit kann austreten aus den Gefäßen, die Organe versagen“, erklärt Günther.
Viele im Blut lösliche Stoffe lassen sich in Hamburg untersuchen, doch die Zellen der Immunabwehr sollen künftig in einem Labor in Conakry, der Hauptstadt von Guinea, direkt unter die Lupe genommen werden. Das Labor werde gerade ausgestattet. „Wir haben festgestellt, dass einige Untersuchungen aufgrund des langen Transports überhaupt nicht mehr gemacht werden können in Hamburg. In Conakry haben wir kurze Wege.“ Wichtig sei zu verstehen, wie die Infektion das Immunsystem lahm lege, um dann Mittel dagegen zu entwickeln.
Im Programm von EVIDENT steht auch die Untersuchung des Bluts von Überlebenden. Tests sollen in den kommenden Monaten anlaufen. Eine von der WHO empfohlene Behandlung ist die Gabe von Plasma von Ex-Patienten an akut Erkrankte. „Dahinter steckt die Idee, dass im Serum von Überlebenden so genannte neutralisierende Antikörper enthalten sind, die bei der Bekämpfung der Krankheit helfen können“, erläutert Günther. Es blieben aber viele Fragen: Wie viele Überlebende der Krankheit bilden überhaupt Antikörper? Reichen die Antikörper aus, damit man andere Menschen behandeln kann? Und wann ist der beste Zeitpunkt, um Serum zu gewinnen? „Wir wollen bei den Überlebenden aber auch nach den Immunzellen schauen, die den Körper den Rest des Lebens schützen sollen, wir nennen das die T-Zell-Antwort.“ Diese T-Zell-Antwort müsse auch ein Impfstoff auslösen, damit er auf lange Sicht wirksam sei.
Erste Ergebnisse von Impfstoffstudien Mitte des Jahres
Ein Bestandteil der Hilfe durch das BNITM ist auch die Anleitung von Personal aus afrikanischen Ländern, in denen das Risiko für einen Ebola-Ausbruch hoch ist. In Kumasi in Ghana unterhält das Institut eine „Außenstation“. „Ghana zählt zu jenen Ländern mit dem höchsten Risiko für einen Ebola-Ausbruch“, sagt Prof. Christian Meyer, der ein Projekt für das BNITM koordiniert. „Es gibt einen ungeheuren intensiven Reiseverkehr insbesondere mit Liberia und Sierra Leone.“ In Ghana soll ein Trainingszentrum entstehen, in dem Personal aus Togo, Benin und eventuell Burkina Faso ausgebildet wird in Sachen Ebola-Diagnostik, anschließend sollen Labors in den Ländern betreut werden.
Doch wann ist mit Durchbrüchen in der Forschung zu rechnen? „Das ist schwer absehbar“, sagt Günther. Was die Sequenzierung des Virenerbguts angehe, würden in den kommenden zwei Monaten sicherlich Daten bekannt. Erste Ergebnisse von klinischen Studien mit Impfstoffen werden Mitte des Jahres erwartet. Bei den Bluttests von Überlebenden beständen jedoch hohe Anforderungen an die Ethik. „Sie können ja nicht einfach zu diesen oft stigmatisierten Menschen hingehen und sagen, ‚ich nehme jetzt mal Blut ab‘ und dann die Probe außer Landes bringen“, sagt Günther. „Der Vorlauf ist lang.“
Entscheidend sei auch, mit seinen Kapazitäten jeweils dort zu sein, wo wirklich Patienten anzutreffen sind. Die WHO sagte jüngst, dass es eine ungleiche Verteilung von verfügbaren Behandlungs- und Isolationsplätzen und dem tatsächlichen Vorkommen von Patienten oder Verdachtsfällen gäbe. In Guinea etwa konzentrierten sich die Behandlungszentren auf die Hauptstadt Conakry und einige Distrikte im Osten, Patienten fänden sich jedoch auf das ganze Land verteilt.
Ärzte ohne Grenzen betont, dass weitere entscheidende Elemente im Kampf gegen Ebola in einigen Regionen Westafrikas weiter fehlten. Dazu gehören Teams, die das Verständnis für die Übertragung und Behandlung von Ebola in den Gemeinden vermitteln und Kontaktpersonen von Infizierten nachverfolgen, sowie der Zugang zu Gesundheitsversorgung, was andere Krankheiten als Ebola angeht.
Auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK), das in Monrovia (Liberia) mit der Bundeswehr ein Behandlungszentrum betreut, sucht nach flexiblen Lösungen. Das Zentrum könne „jederzeit Patienten aufnehmen“, sagt DRK-Pressesprecher Dieter Schütz. Momentan sei die Situation aber so, dass die Zahl der Neuerkrankungen in Liberia zurückgehe. „Es gibt Überlegungen, Patienten aus anderen Krankenhäusern dorthin zu verlegen, um diese Kliniken wieder für den normalen Betrieb frei zu machen. Das Gesundheitssystem in Liberia ist praktisch zusammengebrochen. Eine große Herausforderung ist jetzt, diese Strukturen wieder aufzubauen.“
Die schlimmsten Szenarien mit möglicherweise 100.000 Toten seien nicht eingetreten, sagt Schütz. Für eine Entwarnung sei es jedoch zu früh. „Es geht jetzt darum, die Zahl der Ebola-Neuinfektionen auf null zu bekommen. Erst dann ist die Gefahr gebannt.“ Virenexperte Günther ergänzt: „Ich glaube, wir sitzen in einem Jahr noch hier und haben noch nicht den letzten Fall gehabt, denn die Leute reisen, und es können immer wieder neue Ausbrüche entstehen. Aber das Ziel ist ganz klar: Der letzte Fall muss betreut und nachverfolgt werden, es darf kein Krankheitsfall übrig bleiben.“