Noch immer streiten Forscher über die Erklärung der Himmelserscheinung, der die Heiligen Drei Könige zur Krippe geführt haben soll. Viele vermuten, dass der Planet Jupiter dahintersteckt.
Hamburg. Auf den Rücken von Kamelen überqueren sie Berge: die Heiligen Drei Könige. Über ihnen strahlt am Morgenhimmel der Stern – für die drei Morgenländer das Licht der Verheißung. Auch heute noch ziehen Sternsinger durchs Land, die von der uralten Geschichte dieses legendären Sterns berichten. Gab es diesen „Weihnachtsstern“ tatsächlich, oder ist er nur eine fromme Legende? Was war zur Geburtszeit Jesu Christi wirklich am Himmel zu sehen?
Obwohl sich unser heutiger Blick in den Himmel fundamental von früheren Anschauungen unterscheidet, gibt es noch immer dieses eine Gestirn, das wie kein anderes in den Weiten des Kosmos unsere Gedanken in dieser Jahreszeit beherrscht. Gigantische Teleskope haben uns glühende Städte aus Sternen, gefräßige Schwarze Löcher oder vernichtende Supernovae offenbart. Doch wo in diesem unendlich weiten Universum können wir den Stern von Bethlehem finden? Eine Spurensuche.
Nur wenige Stellen in der Bibel liefern Indizien. Matthäus beschreibt im 2. Kapitel seines Evangeliums ein zauberhaftes Szenarium, die Weihnachtsgeschichte, die uns vom Zug der geheimnisvollen Besucher aus dem Morgenland nach Bethlehem berichtet. In einer Übersetzung des griechischen Urtextes ist zu lesen:
Nachdem Jesus geboren worden war zu Bethlehem in Judäa in den Tagen des Königs Herodes, siehe, da gelangten Magier von den Aufgängen nach Jerusalem und sagten: „Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben nämlich seinen Stern im Aufgange gesehen und sind gekommen, ihn zu verehren.“ Als der König Herodes das hörte, geriet er in Schrecken und ganz Jerusalem mit ihm. Und er versammelte alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes und erkundigte sich bei ihnen, wo der Christus (d. h., der Gesalbte, der Messias) geboren würde. Diese aber sagten ihm: „Zu Bethlehem in Judäa …“
Darauf berief Herodes heimlich die Magier und erfragte genau von ihnen die Zeit des scheinenden Sternes. Und, sie nach Bethlehem sendend, sagte er: „Gehet hin und forschet sorgfältig nach dem Kinde; wenn ihr es aber gefunden habt, meldet es mir, damit auch ich komme, es zu verehren.“ Nachdem sie den König angehört hatten, brachen sie auf. Und siehe, der Stern, den sie in dem Aufgange gesehen hatten, zog vor ihnen her, bis er im Gehen stehen blieb oben darüber, wo das Kind war. (...)
Das ist wahrlich kein Bericht eines Augenzeugen, eines neutralen Reporters. Wir haben es hier mit einem heißen Verfechter der neuen Religion zu tun, einem Geburtshelfer des Christentums. Und Matthäus schrieb seine Erinnerungen an Jesus viele Jahre nach dessen Tod auf.
Eigentlich sollte es einfach sein, eine physikalische Erklärung für das Phänomen zu finden, denn wir verfügen heute über Zeitmaschinen, mit denen wir den Himmel zur Geburtszeit Christi betrachten können: unsere Planetariumsprojektoren. Die zumeist computergesteuerten Simulatoren laufen vorwärts oder auch rückwärts durch die Zeit, um den gestirnten Himmel über eine Zeitspanne von mehreren Tausend Jahren naturgetreu darzustellen. Tatsächlich taucht zur Weihnachtszeit in den Programmen fast aller Planetarien der Stern von Bethlehem auf, im Hamburger Planetarium als Runduminszenierung von 360-Grad-Computersimulationen, die Besucher mitten in das damalige Geschehen führt.
Ein erstes Problem der Zeitreise ist die Frage nach dem genauen Geburtsdatum Jesu Christi. Unser Kalender zählt zwar die Jahre nach Christi Geburt. Doch der christliche Kalender, der die Zeitrechnung mit dem Jahr „1 nach Christus“ beginnen lässt, wurde erst im Jahr 525 n. Chr. durch den römischen Mönch Dionysius Exiguus eingeführt. Er berechnete das Geburtsjahr aus den Regentschaften der einzelnen römischen Kaiser und datierte es auf das Jahr 754 nach Gründung der Stadt Rom, in der Regentschaft des Kaisers Augustus. Dem Mönch unterlief dabei ein Fehler. Er berücksichtigte die vier Jahre nicht, in denen Augustus unter seinem eigenen Namen Octavian geherrscht hatte. So kurios es klingen mag: Christus wurde somit in jedem Fall „vor Christus“ geboren.
Zu diesem Zeitpunkt regierte Herodes als Statthalter von Jerusalem, ein von den Römern eingesetzter jüdischer König. Doch im Jahr 8 v. Chr. fiel er in Ungnade, und im Jahr 7 v. Chr. mussten alle Untertanen dem Kaiser Augustus einen Treueeid schwören. Vermutlich war damit jene Volkszählung und Steuerschätzung verbunden, zu der Joseph und Maria von Nazareth nach Bethlehem zogen, um sich am Geburtsort des Mannes „schätzen“ zu lassen.
Die meisten Historiker glauben, dass Herodes im Jahre 4 v. Chr. eines qualvollen Todes starb; der kalifornische Bibelforscher Ernest Martin taxiert den Tod erst 1 v. Chr. Aber Jesus zählte möglicherweise schon zwei Jahre, als sich das in der Bibel beschriebene Geschehen vollzog und die Magier nach ihrem Besuch bei Herodes dem Stern folgten. So ordnete Herodes, wie Matthäus schreibt, nachdem die Weisen ihn nicht zu dem Kind führten, die Tötung aller männlichen Kinder unter zwei Jahren an, was Maria und Joseph – wohl einige Zeit nach der Geburt – zu ihrer Flucht nach Ägypten veranlasste. Diese Kindstötung ist allerdings historisch nicht eindeutig belegt.
Jesus Christus ist daher wohl sieben bis fünf Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung geboren worden. Auch der genaue Geburtstag bleibt im Dunkeln. Erst seit dem vierten Jahrhundert nach Christi Geburt wurde der 25. Dezember als Weihnachtstag und damit als Geburtstag Christi eingeführt – wahrscheinlich weil dies im julianischen Kalender das Datum der Wintersonnenwende und damit die Wiederkehr des Lichts markierte. Auch war das damals populäre römische „Fest der unbesiegbaren Sonne“ am 25. Dezember, das übrigens mit dem Austausch von Geschenken einherging, mit christlichem Gedankengut zu vermitteln.
Unsere Suche nach dem Stern von Bethlehem müssen wir auf den Zeitraum von 8 v. Chr., vor dem möglichen Beginn der Volkszählung, bis 1 v. Chr., einem nach Ernest Martin möglichen Todesjahr des Herodes, ausdehnen.
Doch suchen wir wirklich einen Stern? Sterne sind riesige, heiße, selbst leuchtende Gaskugeln – davon wussten unsere Vorfahren nichts. Der gestirnte Himmel erschien ihnen als Symbol der Unveränderlichkeit, und die Sterne gruppierten sie in Fantasiegebilden, den Sternbildern. Damals waren dieselben Sterne und Sternbilder erkennbar wie heute. Doch manchmal tauchte urplötzlich ein anscheinend neuer Stern (lateinisch „stella nova“) auf, der nach einigen Wochen oder Monaten allmählich wieder verschwand. Heute wissen wir, dass diese Erscheinungen Explosionen von sterbenden Sternen sind. Mit Teleskopen lassen sich selbst Jahrhunderte nach spektakulären Explosionen die nach allen Seiten wegfliegenden Trümmer beobachten, und daraus lässt sich der Sterbezeitpunkt des Sterns berechnen. Doch Fehlanzeige: Keiner der bisher gefundenen Überreste deutet auf ein Explosionsdatum rund um das Geburtsjahr Christi hin – eine Nova (oder Supernova) ist somit keine passende Deutung des Weihnachtssterns.
In den meisten Krippendarstellungen prangt ein Komet über dem Stall mit dem Jesuskind. Wir kennen Kometenerscheinungen, die recht hell sind und nächtelang, manchmal sogar monatelang sichtbar sein können. Doch diese „Schweifsterne“ wurden mindestens bis in die Neuzeit um 1600 als Erscheinungen in der irdischen Lufthülle angesehen, als Ausdünstungen der Erde, die für Pest und Epidemien verantwortlich seien. Sie wurden also nicht als Geburtszeichen, sondern eher als Todesboten angesehen. Außerdem findet man in den Aufzeichnungen der Beobachter keinen hellen Kometen in der fraglichen Zeit. Auch ein „Fallender Stern“, eine Sternschnuppe, scheidet aus, denn die dabei in unserer Lufthülle verglühenden Kometenbrösel leuchten nur wenige Sekunden auf.
Neue These: Die Erscheinung war vielleicht nicht auf Anhieb für jedermann erkennbar. Kaiser Herodes hatte ja heimlich die Magier nach dem Stern befragt, die Erscheinung war also wohl nur für wenige Experten erkennbar, und die Magier gehörten dazu.
Die Magier kamen „von den Aufgängen“, aus dem Osten also. Dort lag Babylon. „Magier“ war die damals geläufige Bezeichnung für die Tempelpriester von Marduk, der Stadtgottheit von Babylon. Als Priester-Astrologen verfolgten sie die Zeichen des Himmels, um daraus gute oder schlechte Zeiten für das Königshaus zu prophezeien. Sie verwendeten dazu auch die Bewegung der höchsten „Sternengötter“. Diese, so glaubten sie, mussten mächtige Wesen sein, denn sie waren in der Lage, sich als „Wandersterne“ (griechisch: Planeten) durch das unveränderliche Muster der Sterne zu bewegen.
Marduk wurde mit dem hellen und wichtigsten „Wanderstern“ identifiziert: dem Planeten, den wir heute Jupiter nennen. Saturn galt als Kewan, als König der Juden. Und das am Wanderweg der Planeten gelegene Sternbild der Fische wurde von den babylonischen Sterndeutern der Region am Mittelmeer zugeordnet, in der auch die Israeliten lebten.
Im Jahr 7 v. Chr. kam es in diesem Tierkreissternbild zu einem außergewöhnlichen Planetenschauspiel: Am 27. Mai zieht Jupiter an Saturn vorbei, wird langsamer, hält inne, bewegt sich rückwärts erneut auf Saturn zu und wandert am 6. Oktober zum zweiten Mal an ihm vorbei, kehrt noch einmal um und begegnet am 1. Dezember dem Saturn ein drittes Mal in den Fischen. Zu einer solchen „dreifachen Konjunktion“ kommt es in dem Sternbild sehr selten, im Durchschnitt nur alle 854 Jahre. Sie tritt ein, wenn beide Planeten fast zeitgleich von der Erde überholt werden.
Johannes Kepler war einer der Ersten, der die Vermutung anstellte, dies könne mit der Erscheinung des Sterns von Bethlehem in Zusammenhang stehen. Für die Magier in Babylon war die dreifache Konjunktion im Jahre 7 v. Chr. sicherlich sehr bedeutsam: Dreimal begegnet ihr eigener König Marduk dem König der Juden, Kewan, in dessen eigenem Land Palästina (dem Sternbild der Fische). Das Ereignis könnte das Signal für ihre Reise in die Hauptstadt der Israeliten zu Herodes gewesen sein. Mit dem „Stern“ war wohl nur der deutlich hellere Jupiter gemeint.
Dies ist die populärste Erklärung für den Weihnachtsstern, die von Planetarien in aller Welt immer wieder nachgestellt wird. Doch es gibt noch weitere erstaunliche Planetenkonstellationen: So hielt sich im Jahre 7 v. Chr. auch der Planet Uranus in den Fischen auf – dafür, dass der lichtschwache Planet der Stern von Bethlehem gewesen sei, gibt es keine weiteren Belege. 6 v. Chr. zieht Marduk-Jupiter durch den Widder und wird am Morgen des 17. April durch den vor ihm vorbeiziehenden Mond verfinstert. Der amerikanische Astronom Michael Molnar deutet dies als Stern von Bethlehem, da er glaubt, dass der Widder und nicht die Fische das Sternensymbol der Juden war. Spektakulärer ist die enge Begegnung des Jupiters mit Venus am 17. Juni des Jahres 2 v. Chr., die allerdings nur sehr horizontnah zu sehen war. Für das bloße Auge verschmolzen die beiden Planeten in der Abenddämmerung quasi zu einem hellen „Stern“ – im Sternbild des Löwen, das als königliches Symbol angesehen wurde. Sollte die weitere Forschung erweisen, dass Herodes damals doch noch am Leben war, so kommt auch diese Planetenstellung als Weihnachtsstern infrage.
Alle Varianten haben tatsächlich gemeinsam, dass der Stern von Bethlehem sich als der babylonische Königsstern Marduk deuten lässt. Wahrscheinlich werden wir den wahren Weihnachtsstern aber nicht als astronomisch-astrologisches Ereignis am Himmel dingfest machen können. Wir müssen letztlich erkennen, dass wir ihn nicht nur am Sternenhimmel suchen, sondern vor allem in uns selbst finden müssen: als Symbol des Lichts der Hoffnung auf eine bessere Welt.