Prof. Stephan Günther, Chef-Virologe am Bernhard-Nocht-Institut, über die Situation in den Epidemie-Gebieten und seine Reise nach Nigeria
Hamburg. Die Nachrichten zur Ebola-Epidemie in Westafrika sind dramatisch. Nach Einschätzungen von Experten wird sie noch Monate andauern. Und wenn es nicht bald gelingt, sie zu stoppen, könnten sich noch Zehntausende von Menschen infizieren. Hauptsächlich betroffen sind die Staaten Guinea, Sierra Leone und Liberia. Auch in Nigeria hat es mehr als 20 Infizierte gegeben. Dort war in den vergangenen fünf Wochen ein Hamburger Team im Land unterwegs, um die Labordiagnostik auf den neuesten Stand zu bringen und um bei Ebola-Verdachtsfällen in einem mobilen Labor Blutproben auf das Virus zu testen. Zu dem Team gehörte auch Prof. Stephan Günther, Chef der Virologie am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. Mit dem Wissenschaftler sprach das Abendblatt über seine Erfahrungen während der Reise und die Situation in Westafrika.
Hamburger Abendblatt:
Wie viele Stationen hatte Ihre Reise?
Prof. Stephan Günther:
Wir sind viel herumgereist. Wir waren mehrmals an den Krankenhäusern in Lagos und Irrua. Mit dem mobilen Labor haben wir Verdachtsfälle in der Provinz Enugu und in der Stadt Port Harcourt auf das Virus getestet. Denn dort ist genau das passiert, was wir am meisten fürchten: Menschen, die Kontakt zu einem Ebola-Kranken hatten, haben sich der Kontrolle der Behörden entzogen, sind dann selbst erkrankt und haben an einem anderen Ort erneut Menschen angesteckt.
Wie ist es zu dem Ausbruch in Port Harcourt gekommen?
Günther:
Ein Diplomat, der sich in Lagos mit dem Virus infiziert hatte, ist nach Port Harcourt gereist und hat sich dort in einem Hotelzimmer von einem einheimischen Arzt behandeln lassen, der den Fall nicht an die Gesundheitsbehörden gemeldet hat. Der Mediziner ist dann selbst erkrankt, hat aber seinen behandelnden Ärzten den Kontakt zu dem Ebola-Patienten verschwiegen – ein Verhalten, das ich absolut nicht nachvollziehen kann und das ich sehr verantwortungslos finde. Erst nach dem Tod des Arztes wurde durch Untersuchungen klar, dass er infiziert war. Das war der Startpunkt dafür, dass sich das ganze Ausbruchsmanagement nach Port Harcourt verlagert hat. Die sogenannten Contact tracing Teams haben begonnen, alle Kontaktpersonen des infizierten Arztes aufzuspüren. Das ist eine riesige Aufgabe, weil sie erst einmal herausfinden müssen, wen er behandelt hat, mit wem er in der Klinik lag, welche Ärzte und Schwestern ihn versorgt haben und zu welchen anderen nahestehenden Personen er noch Kontakt hatte. Hinzu kommt das Problem, auch wirklich alle zu finden. Und viele streiten den Kontakt auch ab, weil sie Angst davor haben, was mit ihnen passiert. Die Teams haben schließlich 200 Kontaktpersonen des Arztes gefunden.
Wie viele Verdachtsfälle haben Sie in Port Harcourt untersucht?
Günther:
Wir haben Blutproben von 15 bis 20 Menschen untersucht, davon waren drei infiziert. Bei den vielen Kontaktpersonen hatten wir mit wesentlich mehr Fällen gerechnet. Auch die Organisation Ärzte ohne Grenzen hat in Port Harcourt eine große Behandlungseinheit aufgebaut. Aber Entwarnung geben kann man noch nicht, weil die Inkubationszeit noch nicht vorbei ist.
Wie ist die Situation in Nigeria zurzeit?
Günther:
Ich schätze sie als relativ positiv ein. Die Nigerianer haben die Situation recht zügig und professionell in den Griff bekommen, auch weil die Laborkapazitäten darauf vorbereitet waren. Man kann aber nicht ausschließen, dass es bisher unbekannte Kontaktpersonen gibt. Eine einzige Kontaktperson, die nicht mit den Gesundheitsbehörden kooperiert, reicht aus, um an einem anderen Ort eine neue Erkrankungswelle auszulösen.
Wie ist die Stimmung in dem Land?
Günther:
Die Stimmung in Nigeria ist immer noch ruhig. Im Radio wird ständig kompetent und in verständlicher Sprache über Ebola informiert. Die Menschen werden dazu angehalten, sich immer gründlich die Hände zu waschen und zu desinfizieren. Denn die Hände sind ein wichtiger Übertragungsweg. In unserem Hotel wurde bei jedem, der hineinging, die Temperatur gemessen, und am Eingang gab es auch Desinfektionsmittel.
Wie geht es Nigeria im Vergleich zu den anderen betroffenen Staaten?
Günther:
Die Situation in Nigeria ist nicht im Entferntesten zu vergleichen mit der Mega-Epidemie in Liberia und Sierra Leone. Dort ist die Situation außer Kontrolle, weil mehr Menschen erkranken, als in den Isolierstationen aufgenommen werden können. Aber von Kollegen habe ich gehört, dass dort in der Bevölkerung langsam ein Umdenken einsetzt, dass die Menschen in die Isolierstationen kommen, in der Hoffnung, dass man ihnen vielleicht helfen kann. Die Zahl der Infizierten ist dort mittlerweile so hoch, dass sie sich auch im normalen sozialen Leben bemerkbar macht. Als ich im April in Guineas Hauptstadt Conakry war, gab es einzelne betroffene Familien, die auch bekannt waren. Jetzt besteht das Risiko, einem Ebola-Infizierten zu begegnen, wenn man durch die Stadt läuft.
Was sind die wichtigsten Maßnahmen, um die Epidemie wieder unter Kontrolle zu bekommen?
Günther:
Es ist schwierig zu beantworten, wo der Hebel sitzen könnte, um das zu schaffen. Ich denke, ein wichtiger Punkt ist, dass die Bevölkerung ein Verständnis für die Infektion bekommt, sodass diejenigen, die Kontakt zu Ebola-Kranken hatten, sich testen lassen, dass sie, wenn sie krank sind, gleich in eine Isolierstation gehen und sich nicht zu Hause pflegen lassen, um nicht ihre Angehörigen in Gefahr zu bringen. Die Bevölkerung muss umdenken, sonst ist die Epidemie nicht in den Griff zu bekommen. Das schafft man nicht, wenn die Betroffenen nicht das Einsehen haben, dass sie auch einen Beitrag dazu leisten müssen, indem sie in die Isoliereinheiten gehen. Nur dann wird man das unterbrechen können. Man kann nicht immer gegen die Menschen arbeiten.
Welche Unterstützung muss von anderen Ländern kommen?
Günther:
Es ist viel Geld nötig, um ausreichende Bettenkapazitäten aufzubauen und genügend Ärzte und Schwestern in die betroffenen Gebiete zu bringen. Ärzte ohne Grenzen bauen Stationen für 1000 Ebola-Patienten auf. Das muss alles finanziert werden. Und noch mehr Geld wäre nötig, um die Behandlung voranzubringen. Auf deutschen Intensivstationen werden bei den Patienten mehrmals am Tag die Blutwerte kontrolliert. Daran ist in Afrika gar nicht zu denken. Dort sind nicht die Ressourcen vorhanden, um den Patienten Blut abzunehmen und die Behandlung daran auszurichten. Die Ärzte dort sind allein auf ihren fachmännischen Blick angewiesen.
Wie muss man sich dort eine Therapie vorstellen?
Günther:
Es findet eine Malariatherapie statt, weil diese Erkrankung oft gleichzeitig vorkommt. Und die Ärzte ohne Grenzen können auch Antibiotika geben, wenn zusätzliche bakterielle Infektionen auftreten. Außerdem kann den Patienten über eine Infusion Flüssigkeit zugeführt werden. Aber das ist auch schon alles.
Ist das mobile Labor noch im Einsatz?
Günther:
Ja, es befindet sich zurzeit in Port Harcourt und wird dort von unseren nigerianischen Kollegen betrieben. Wir lassen uns von dort täglich die Untersuchungsergebnisse schicken und können so kontrollieren, ob alles gut funktioniert. Die Beobachtungszeit aller Kontakte ist dort noch nicht zu Ende, weil die Inkubationszeit für die Infektion drei Wochen beträgt.
Es gibt in Ihrem Projekt drei europäische mobile Labors. Wie viele davon sind jetzt in Afrika?
Günther:
Alle drei Einheiten sind in Betrieb, eins in Guinea, eins in Liberia und das in Nigeria. Mehr gibt es nicht. Und wir haben auch kaum mehr Personal zur Verfügung. Wir brauchen für die beiden Labore in Guinea und Liberia jeweils ein Team von vier Personen. Das heißt, wir brauchen alle drei Wochen acht Europäer, die dorthin fahren, sich damit auskennen und darauf trainiert sind. Das Labor in Nigeria betreiben von uns geschulte einheimische Teams.
Fahren Sie noch mal nach Nigeria?
Günther:
Wenn alles glatt läuft nicht. Dann bauen die Kollegen dort das mobile Labor ab und fahren damit zurück nach Irrua. Sollte dort aber doch noch eine große Epidemie entstehen, bei der dann nicht nur drei bis fünf, sondern 60 Blutproben am Tag untersucht werden müssen, werden wir ihnen zu Hilfe eilen.
Was sind Ihre nächsten Aufgaben hier in Hamburg?
Günther:
Ich muss jetzt Geld besorgen. Ich bin mit der EU-Kommission in Verhandlungen, weil die 300.000 Euro, die wir für das erste halbe Jahr bekommen haben, längst aufgebraucht sind. Wir benötigen jetzt für die kommenden sechs bis sieben Monate für die drei mobilen Labors noch mal eine Million Euro. Außerdem sprechen wir mit der EU-Kommission über Forschungskooperationen, damit wir die Blutproben der Infizierten, die wir in Afrika gesammelt haben, wissenschaftlich auswerten können. Uns interessiert zum Beispiel, wie sich das Virus verändert hat und welche Konsequenzen das hat.
Könnten sich auch die Übertragungswege ändern?
Günther:
Das können wir nicht testen. Darüber wachen die Epidemiologen. Das Virus ist nach wie vor nur über direkten Kontakt mit Infizierten oder deren Körperflüssigkeiten übertragbar. Wenn es plötzlich durch die Luft übertragbar wäre, gäbe es viel mehr Infektionen, die einzelnen Übertragungsketten nicht mehr zugeordnet werden könnten. Aber wir gehen nicht davon aus, dass das Virus über die Luft übertragbar wird.