Moderne Hochleistungsschweine liefern keinen passenden Speck für traditionelle Dauerwürste. Es sei denn, man kreuzt sie mit alten Landrassen, fanden Forscher in Trenthorst bei Lübeck heraus.
Trenthorst. Am Rande von Lübeck, beim Thünen-Institut für Ökologischen Landbau in Trenthorst, endete kürzlich eine ganz spezielle Pisa-Studie. Steht der Begriff doch eigentlich für Untersuchungen von Schulleistungen, reift hier nicht Wissen, sondern der ideale Lieferant für schmackhafte Dauermettwürste heran, die in Südniedersachsen und vor allem in Nordhessen als Ahle Wurst bekannt sind. Denn Pisa (oder besser PiSa) steht für eine Kreuzung zweier Schweinerassen: Hochleistungstiere der ursprünglich belgischen Rasse Piétrain und traditionelle deutsche Sattelschweine. Dem Projektleiter Dr. Friedrich Weißmann geht es nicht nur um die Wurst, er verfolgt auch das Ziel, alten Schweinerassen eine Zukunft zu verschaffen.
„Moderne Hochleistungszuchten liefern viel Fleisch und wenig Fett. Die Tiere werden geschlachtet, bevor sie viel Speck ansetzen, weil die Verbraucher mageres Fleisch wünschen“, sagt Weißmann. „Der Speck ist weich, denn er enthält relativ viele langkettige, mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Er wird dadurch schnell ranzig. Insgesamt eignet sich die Fettqualität moderner Hybridzuchten nicht für die Herstellung von Dauerwurst.“
Alte Rassen wie das Deutsche Sattelschwein, das Angler Sattelschwein und das Schwäbisch Hällische liefern dagegen keine Magerkost, sondern mehr Fett als Fleisch. Bei ihnen kommen auf ein Teil Fleisch 1,4 Teile Fett, während es bei modernen Hybriden nur 0,3 Fettteile sind. Die PiSa-Schweine bilden die goldene Mitte mit einem Fettanteil von 0,75.
Zudem ist die Fettqualität der alten Rassen höher. Der Speck ist „kernig“, das heißt fester. Er bestehe aus kurzkettigen, gesättigten Fettsäuren und wird dadurch nicht so schnell ranzig – wie für die Wurstherstellung notwendig, so Weißmann. Ein solcher Speck entstehe erst, wenn die Tiere in zunehmendem Alter körpereigenes Fett ansetzen – so, wie es auch an vielen menschlichen Körpern zu beobachten ist.
In dem EU-Verbundprojekt Low Input Breeds (übersetzt in etwa: Nicht-Intensiv-Rassen) haben die Trenthorster Forscher zusammen mit Kollegen des Max-Rubner-Instituts in Kulmbach nun eine gängige Hochleistungskreuzung gegen die Sattel- und die PiSa-Schweine antreten und sie in Biohaltung besonders groß werden lassen. Denn solche „schweren Schweine“ mit einem Gewicht von rund 160 Kilogramm versprechen die besten Eigenschaften zur Wurstherstellung.
Es traten an: 44 moderne Hybridschweine, 42 PiSa- und 44 reinrassige Sattelschweine. Das Ergebnis: Die Sattelschweine eignen sich am besten zur Rohwurstproduktion, verursachen allerdings durch ihre schlechte Futterverwertung die höchsten Produktionskosten. Die Hybridschweine liegen sowohl bei der Fettmenge als auch -qualität ganz hinten. Die Kreuzungen mit einem Piétrain-Eber lieferten bei mittleren Erzeugungskosten eine gute Produktqualität und schnitten damit insgesamt am besten ab. Um PiSa-Schweine zu züchten, werden reinrassige Sattelschweine als Muttersauen benötigt. Das unterstützt die Bemühungen, diese alte Rasse zu erhalten.
Die Idee, eine alte, fettreiche mit einer muskulären Rasse zu kreuzen, ist nicht neu. Im süddeutschen Hohenlohe (Baden-Württemberg) hat sich eine bäuerliche Erzeugergemeinschaft gebildet, die der Rasse Schwäbisch Hällisches Schwein wieder eine Zukunft verschaffen will und im größeren Stil vermarktet. Auch dort wird Piétrain gekreuzt. Weißmann: „Auch das Schwäbisch Hällische ist ein Sattelschwein, auf diese und weitere alte Rassen sind unsere Ergebnisse übertragbar.“
Dank des Hohenloher Engagements stünden die Schwäbisch Hällischen beim Erhaltungszustand der drei wichtigsten vom Aussterben geretteten Landrassen am besten da, sagt Friedrich Weißmann. Auch für die Regionalzucht Bunte Bentheimer aus dem Westen Niedersachsens sieht er einen positiven Trend. Dagegen schramme die norddeutsche Rasse Angler Sattelschwein „knapp an der Kante entlang“. Angeln liegt zwischen der Flensburger Förde und der Schlei. Anno 1936 tummelten sich dort noch gut 50.000 Schweine der Rasse, weitere 30.000 wurden außerhalb der Region gehalten. 1991 gab es noch einen Eber und neun Sauen in Schleswig-Holstein.
Ihr Überleben verdanken die schwarzen Schweine mit dem hellen „Sattel“, der sich über die Schulter und die Vorderbeine erstreckt, dem Engagement einiger weniger Bauern – und einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft der ehemaligen DDR in Sachsen. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs konnten Schleswig-Holsteiner Züchter 1992 vier Eber und 50 Sauen der Rasse erwerben, die dort als genetische Reserve gehalten wurden, damit das Sattelschwein-Erbgut nicht verloren geht. Heute dürfte der Bestand zwischen 100 und 200 reinrassiger Tiere liegen. Einige Vertreter leben im Nutztierschutzpark Arche Warder bei Neumünster.
Die Sattelschweine (Angler und Deutsches Sattelschwein) stehen im Mittelpunkt der Trenthorster Forschung, nicht nur in der jetzt vorgestellten Studie. Sie könnte der Rasse helfen, ähnliche Comebacks wie die Schwäbisch Hällischen und die Bunten Bentheimer hinzulegen. Allerdings reiche die Eignung zur Wurstherstellung dazu nicht aus, betont Weißmann, sie sei ein Nischenmarkt im Premiumsegment.
Immerhin engagiert sich auch die potenzielle Kundschaft für die seltene Landrasse: Die Genießerorganisation Slow Food hat das Angler Sattelschwein in ihre „Arche des Geschmacks“ aufgenommen und wirbt dafür, die Tiere zum Fressen gern zu haben: „Ein Schweinebraten mit einer knackigen Kruste und einer Fettschicht darunter sowie das saftige Fleisch sind ein geschmackliches Erlebnis, das auf die Genießer wartet“, heißt es auf der Slow-Food-Website zum Arche-Passagier.
Auch die Ahle Wurst ist dort gelistet. Sie gehöre „zweifellos zu den großen europäischen Rohwurstspezialitäten“, urteilt Slow Food.