Das UKE wird in diesen Tagen 125 Jahre alt. Einer der wissenschaftlichen Schwerpunkte des Krankenhauses ist die Erforschung von Nierenentzündungen. Dieser Bereich soll jetzt weiter ausgebaut werden.
Wenn das Immunsystem einen Irrweg einschlägt und die eigenen Nieren zum Feind erklärt, kann sich daraus eine schwere Erkrankung entwickeln, die sogenannte Glomerulonephritis. Glomeruli (Nierenkörperchen) sind die Filtereinheiten der Niere, in denen das Blut von Giftstoffen gereinigt und der Urin produziert wird. Bildet der Organismus fälschlicherweise Antikörper gegen diese Gewebe, kommt es dort zu einer Entzündungsreaktion und es entsteht eine Glomerulonephritis, eine Autoimmunerkrankung der Niere. Diese Erkrankungsgruppe ist eine der häufigsten Ursachen für eine Nierenschwäche, die regelmäßig mit einer Blutwäsche (Dialyse) behandelt werden muss. Die Glomerulonephritis ist auch einer der Forschungsschwerpunkte im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), das in diesen Tagen seinen 125. Geburtstag feiert.
Um den Forschungsbereich weiter auszubauen, haben jetzt Prof. Rolf Stahl, Direktor der III. Medizinischen Klinik mit dem Schwerpunkt Nephrologie/Rheumatologie, und seine Mitarbeiter bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Einrichtung eines Sonderforschungsbereichs beantragt. Die Erkrankung kann sich sehr unterschiedlich zeigen. „Es gibt viele Formen, die sich in ihren Symptomen und im Verlauf voneinander unterscheiden“, sagt Prof. Ulf Panzer, Oberarzt in der Klinik und Leiter einer Forschergruppe. So gebe es welche, bei denen im Vordergrund stehe, dass der Filter in den Nierenkörperchen durchlässiger werde. „Diese Patienten verlieren sehr viel Eiweiß im Urin und haben dann zum Beispiel dicke Beine, aber nicht unbedingt sofort einen Nierenfunktionsverlust. Und es gibt sehr aggressive Formen, die die Nierenkörperchen in sehr kurzer Zeit zerstören, sodass der Betroffene dann keine eigene Nierenfunktion mehr hat“, erklärt der Nephrologe.
Die Therapie war bisher bei allen Formen gleich: Die Patienten erhielten Cortison und ein Medikament, das das gesamte Immunsystem unterdrückt – eine Therapie mit belastenden Nebenwirkungen. In ihrer Forschung wollen die Wissenschaftler im Detail herausfinden, wie die unterschiedlichen Formen entstehen, sodass sie nicht mehr das komplette Immunsystem lahmlegen müssen, sondern gezielt die Fehlregulationen behandeln können, die der Erkrankung zugrunde liegen und damit Nebenwirkungen reduzieren können.
„Dabei sind in den letzten Jahren wegweisende Entdeckungen gemacht worden“, sagt Panzer. Als Beispiel nennt er die sogenannte Membranöse Glomerulonephritis, die häufigste Ursache dafür, dass jemand im Urin sehr viel Eiweiß ausscheidet. Lange Zeit war unklar, warum diese großen Moleküle bei den Kranken nicht mehr im Blut zurückgehalten werden. Erst vor einigen Jahren konnte ein Antikörper identifiziert werden, der an ein Antigen in der Niere bindet, und dann bewirkt, dass die Barriere dort durchlässig wird. „Damit wissen wir jetzt wirklich, dass es eine Autoimmunerkrankung ist, und können den Antikörper auch zur Diagnostik der Erkrankung benutzen, weil er im Blut nachweisbar ist. Außerdem beginnen wir jetzt mit einer Therapie, die darauf abzielt, diesen Antikörper im Blut zu reduzieren. Wenn man das schafft, sinkt auch die Eiweißausscheidung im Urin“, sagt Panzer.
Dabei machen sich die Forscher zunutze, dass das Immunsystem aus unterschiedlichen Zelltypen besteht, die jeweils spezielle Aufgaben erfüllen. „Wir setzen eine Therapie ein, die nur gegen sogenannte B-Zellen gerichtet ist, von denen später Antikörper gebildet werden können. Das ist noch nicht fest etabliert, wird aber sicher die Zukunft sein bei dieser Erkrankung“, sagt Panzer. „Die Behandlung mit B-Zell unterdrückenden Medikamenten wird von vielen behandelnden Ärzten schon eingesetzt, ist aber noch keine Therapie, die in den Leitlinien von wissenschaftlichen Gesellschaften empfohlen wird“, ergänzt Prof. Stahl.
Die UKE-Forscher waren mit die Ersten, die diesen Antikörper bei Patienten untersucht haben. Jetzt konnten sie erstmals zeigen, dass seine Konzentration im Blut auch etwas aussagt über den weiteren Verlauf. „Wir behandeln und untersuchen in unserem Zentrum inzwischen 300 Patienten mit Membranöser Glomerulonephritis. Dabei stellten wir fest, dass sie weniger Eiweiß ausscheiden, wenn die Konzentration des Antikörpers sinkt. Damit wird auch die Ursache für die Entzündung beseitigt. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Filter wieder in seiner normalen Struktur hergestellt und die Krankheit aufgehalten werden kann“, sagt Panzer. „Bei etwa der Hälfte der Patienten kommt es nicht zu einem Rückfall“, sagt Stahl. Falls dieser jedoch auftrete, könne man die Therapie erfolgreich mit dem gleichen Medikament wiederholen.
Auch bei sehr aggressiven Formen der Glomerulonephritis, die früher oft tödlich verliefen und die die Patienten später nur durch Medikamente mit schweren Nebenwirkungen überleben konnten, verfolgen die Ärzte jetzt einen solchen neuen Therapieansatz. „Vor zwei Jahren ist das Medikament Rituximab zugelassen worden. Das ist ein Antikörper, der die B-Zellen zerstört. Das wirkt auch bei schweren Verläufen so gut wie die bisherige Standardtherapie“, sagt Panzer. Bei der herkömmlichen Behandlung kann es zu Unfruchtbarkeit, Tumoren an der Haut und in der Harnblase und zu schweren Infekten kommen. „Zwar ist auch beim Rituximab die Infektanfälligkeit erhöht, aber weil nur ein Teil des Immunsystems ausgeschaltet wird, scheint es weniger Nebenwirkungen zu haben, auch wenn es noch keine Langzeitergebnisse gibt“, sagt der Nephrologe.
Bei der häufigsten Glomerulonephritis, der IgA-Nephritis, gibt es ebenfalls neue Erkenntnisse. „Ursprünglich dachte man, dass sie sehr gutartig verläuft und außer einigen roten Blutkörperchen im Urin keine weiteren Symptome macht. Heute weiß man aber leider, dass ungefähr 20 Prozent dieser Patienten nach ein bis zwei Jahrzehnten eine Dialysetherapie brauchen“, sagt Panzer. Aktuell wird in einer landesweiten Studie an 300 Patienten untersucht, ob eine Therapie hilfreich ist, die das Immunsystem hemmt. Die Ergebnisse sollen 2015 vorliegen.
In ihrer Forschung verfolgen die UKE-Wissenschaftler das Ziel, ihre neuen experimentellen Ansätze zu ihren Patienten zu bringen. „In den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl der Patienten mit diesen seltenen Erkrankungen, die wir betreuen, immer größer geworden“, sagt Panzer. Für die Erforschung und Therapie von Glomerulonephritis gibt es am UKE ein Verbundprojekt, eine klinische Forschergruppe, die seit 2009 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit einer Million Euro pro Jahr gefördert wird.
Insgesamt werden im UKE derzeit 500 Patienten mit einer Glomerulonephritis betreut. „Unser Ziel ist es, mittelfristig an unserem Zentrum 1000 Patienten zu behandeln, die eine Glomerulonephritis haben. Wenn der Antrag für den Sonderforschungsbereich genehmigt wird, können wir die Patienten auch in dieser großen Zahl optimal betreuen und an einem Ort die Grundlagenforschung, die experimentelle Forschung und die klinische Forschung an Patienten kombinieren. Das gibt es nirgendwo auf diesem Gebiet in Europa. So ein Sonderforschungsbereich ist um den Faktor drei größer und besser ausgestattet als die jetzt schon existierende klinische Forschergruppe, an der neben den Nephrologen auch die Pathologie, die Immunologie, die UKE-Kinderklinik, die Physiologie und die Anatomie beteiligt sind“, sagt der Nephrologe.
Was das UKE zu bieten hat, können sich Besucher am 17. Mai, 10–17 Uhr, genauer anschauen. An diesem Tag der offenen Tür aus Anlass seines 125. Geburtstags vermittelt das Klinikum in rund 190 Veranstaltungen Einblicke in die Universitätsmedizin, in die Spitzenforschung und die Lehre. Das aktuelle Programm ist nachzulesen unter www.uke. Auszüge aus dem Programm und interessante Einblicke in die Geschichte des UKE und in den Arbeitsalltag der Mitarbeiter bietet auch eine Beilage zum Geburtstag des UKE, die am Donnerstag, 15. Mai, im Abendblatt erscheinen wird.