Sie inszenieren sich, chatten mit Freunden, suchen Zerstreuung: Millionen Deutsche nutzen soziale Netzwerke. Was dafür- und was dagegenspricht, dabei mitzumachen.

All seine Freunde sind bei Facebook. Sie laden Fotos von Partys und Urlauben hoch, dazu noch Videos, sie chatten über den jüngsten Tratsch, hinterlassen Nachrichten auf Pinnwänden. Einige haben in dem sozialen Netzwerk mehrere hundert „Freunde“. Ständig gibt es neuen Gesprächsstoff, das Kommunikationskarussell dreht sich immer weiter, es leuchtet und lärmt. „Ich kann die Faszination nachvollziehen“, sagt Daniel Ekkert. „Aber ich sehe darin für mich keinen Sinn. All das ist nicht wirklich interessant.“

Der 27 Jahre alte Student ist mit dem Internet groß geworden; er schaut Videos im Netz, kauft auch mal online ein, schreibt E-Mails, hat ein Handy. Doch er legt keinen Wert darauf, sich vor großem Publikum zu verbreiten. „Ich will ja nur diejenigen erreichen, die ich persönlich kenne. Und das klappt auch ohne Facebook sehr gut“, sagt er. Daten über seine Person hält der Hamburger so sehr für seine Privatsache, dass er seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Wer ihn bei Google sucht, findet keinerlei Angaben, die er selbst ins Netz gestellt hätte.

Auch andere Netzwerke wie Google+ und Twitter sind stark gewachsen

Man könnte Ekkert für eine Ausnahme halten, für den letzten Mohikaner, aber das ist er nicht: Von den 54 Millionen Menschen, die hierzulande das Internet nutzen, sind mehr als die Hälfte nicht bei Facebook. Noch handelt es sich bei diesen zwar vor allem um ältere Menschen, doch auch unter den Jüngeren haben Hunderttausende bisher kein Konto bei dem Onlineportal.

Gleichwohl bilden die 25 Millionen aktiven Facebook-Mitglieder in Deutschland eine beachtlich große Gruppe, und auch andere soziale Netzwerke wie Google+, Instagram, Pinterest, Twitter und Tumblr sind hierzulande stark gewachsen. Das kann man so deuten, dass immer mehr Menschen das Bedürfnis haben, sich digital zu präsentieren. Aber hat der Autor und „Spiegel Online“-Kolumnist Sascha Lobo deshalb recht mit seiner Einschätzung, dass „Selfieness“, wie er die digitale Darstellung im Netz nennt (nach den Fotos –„Selfies“ –, die Smartphone-Nutzer von sich und Freunden machen), das „Diktat einer digitalen Gesellschaft“ sei? Und dass ausgeschlossen ist, wer diesem Diktat nicht folgt?

Tatsächlich scheint die Bedeutung, die Facebook & Co. zugemessen wird, eine höchst individuelle Angelegenheit zu sein, abhängig unter anderem von der Persönlichkeit des Einzelnen, seinem Alter, der Festigkeit seiner Beziehungen zu anderen Menschen und davon, für welche Zwecke er die Online-plattform nutzt.

Belege für Lobos These finden sich in etlichen Onlineforen. Dort berichten Facebook-Verweigerer, dass sie sich zunehmend isoliert fühlten. Anrufe von Freunden nähmen ab, E-Mails dienten oft nur noch als Notlösung. Ein Nutzer, der zeitweise bei Facebook mitmischte, sich dann jedoch abmeldete, erzählt, er habe „die Erfahrung gemacht, dass ich plötzlich auch die wenigen Personen, die ich als echte Freunde bezeichnet hätte, auf den anderen Kommunikationskanälen nicht mehr erreiche und auch sonst niemand zu mir Kontakt aufnimmt. Als wäre ich ‚vergessen‘ worden.“ Und von Partys oder anderen Veranstaltungen bekomme man „wirklich null mit ohne Facebook“.

Man findet allerdings auch Menschen, junge ebenso wie ältere, die „Selfieness“ keineswegs als Diktat empfinden und sich auch nicht ausgeschlossen fühlen, weil sie sich online rar machen – so etwa Daniel Ekkert. „Bisher hat mich keiner meiner Freunde geschnitten, weil ich nicht bei Facebook bin“, erzählt der 27-Jährige. „Es kam auch noch nicht vor, dass meine Freunde ein wichtiges Thema nur bei Facebook diskutiert hätten und ich deshalb davon nichts mitbekommen hätte oder dass ich eine Party verpasst hätte, weil ich nicht bei Facebook bin.“

Facebook als „Darstellungsplattform für gepostete Banalitäten"

Bochums Stadtdirektor Michael Townsend, 61, tat etwas, was inzwischen auch als „digitaler Selbstmord“ bezeichnet wird: Er legte seinen Facebook-Account still und verzichtete damit auf 1000 „Freunde“. 2013 war das. Townsend, damals noch Kulturdezernent der Stadt, sagt, er sei anfangs noch begeistert gewesen. „Diese neuen Kommunikationskanäle waren schließlich das, was wir uns bereits in den 1970er-Jahren als Chance zur Demokratisierung der medialen Publikationsmöglichkeiten immer erhofft hatten.“

Zunächst habe er einen intensiven Austausch mit Menschen aus den Bereichen Kultur, Bildung, Wissenschaft und Medien erlebt. Dann jedoch entwickelte sich das Netzwerk aus seiner Sicht rasant zu einer „Darstellungsplattform für gepostete Banalitäten wie fotografierte Mahlzeiten, banalste Poesiealbum-Sprüche und nervendes Querulantentum“. Der Ausstieg habe für ihn keine negativen Konsequenzen gehabt, sagt Townsend. „Ich nutze eben derzeit wieder die direkte Kommunikation. Der Vorteil, den ich erheblich höher einschätze, ist, dass ein veritabler ‚Zeitfresser‘ aus meinem Leben verschwunden ist.“

Portale wie Ausgestiegen.com und Suicide Machine unterstützen Ausstiegswillige wie ihn beim Löschen von Kontakten, Gruppenmitgliedschaften und Statusmeldungen.

Dass es keine einfachen Wahrheiten zur Bedeutung sozialer Netzwerke gibt, zeigen auch Forschungsergebnisse. Wissenschaftler der Michigan State University in den USA etwa kamen 2007 in einer Studie zu dem Schluss, dass Nutzer von Onlinenetzwerken zufriedener und glücklicher seien als Nicht-Nutzer. Der Grund: Die Netzwerknutzer seien sozial engagierter.

Vor allem extrovertierte Menschen nutzen häufig Facebook

Dagegen stellten Forscher der Universität Zürich 2009 bei einer Befragung von 681 Menschen fest, dass die Teilnehmer ohne Facebook-Profil im Schnitt etwas zufriedener waren als solche mit Profil. Ob Facebook als Bereicherung empfunden werde oder nicht, hänge von der Persönlichkeit ab, so die Forscher. Vor allem extrovertierte Menschen nutzten häufig Facebook, weil sie sich von den Austauschmöglichkeiten im Netz angezogen fühlen.

Profitieren könnten von Online-netzwerken auch Nutzer mit wenig Selbstbewusstsein, denn für sie sei es in einem Onlinenetzwerk oft leichter, ihr „soziales Kapital“ auszuweiten, also neue Menschen kennenlernen, sagt Philipp Masur, Mitarbeiter am Lehrstuhl für Medienpsychologie an der Universität Hohenheim. Der Drang, Teil einer Gruppe zu werden, könne allerdings auch zwanghaft werden und zu einer suchtartigen Nutzung führen. „Nutzer mit wenig Selbstbewusstsein sind eher gefährdet, eine solche Abhängigkeit zu entwickeln“, sagt der Psychologe Thomas Montag von der Universität Bonn. Festgestellt worden sei dies in einer Anfang 2014 veröffentlichten Studie, für die Bonner Forscher zusammen mit amerikanischen und chinesischen Kollegen 989 Menschen aus sieben Ländern (darunter auch Deutschland) befragt hatten.

Montag findet, dass es grundsätzlich für Junge wie für Alte nicht zwingend nötig ist, sich in sozialen Online-netzwerken zu engagieren. „Es gibt genügend andere Kanäle, über die wir ausweichen können.“ Allerdings: „Wer seinen Freunden sagt, ich kann doch auch anders mit euch kommunizieren, braucht eine gefestigte Persönlichkeit. Leicht ist es nicht, gegen den Strom zu schwimmen.“ Dies gelte wohl besonders für Jüngere.

Muss man also bei Facebook sein? Kommt darauf an ...