Videotelefonie und Chatprogramme können es Senioren erleichtern, mit ihren Kindern und Enkeln in Kontakt zu bleiben.
Bevor Heiner Fosseck online geht, räumt er das Zimmer auf, zieht ein gutes Hemd an und kämmt seine Haare. Der 74-Jährige aus Blankenese will einen guten Eindruck machen, wenn er mit dem „jungen Fräulein“ verabredet ist, wie er seine Enkelin Sarah nennt. Die Schülerin lebt für ein Jahr in Maryland in den USA, sie wird ihren Großvater nur als handgroßes Videobild auf ihrem Laptop sehen und höchstens erahnen können, ob daheim Ordnung herrscht, aber für Fosseck ist es trotzdem fast so, als stünde er der 17-Jährigen und ihren Gasteltern gleich gegenüber.
Er setzt sich an seinen PC, öffnet das Internettelefonie-Programm Skype und sieht in seinen Kontakten nach, ob Sarah online ist. Mit einem Klick auf das grüne Hörersymbol baut er die Verbindung auf und blickt dann in die Linse der Webkamera, die über seinem Bildschirm befestigt ist. Sobald seine Enkelin am anderen Ende der Leitung „abhebt“, öffnet sich auf seinem Monitor ein Videobild von Sarah – „Hey!“, ruft sie dann, Tausende Kilometer entfernt.
„Ich kann es kaum glauben, wie einfach das alles geht“, sagt Fosseck. Er staunt immer noch ein bisschen über die neuen digitalen Möglichkeiten. Seine Enkelin ist damit groß geworden, er hingegen musste sich erst langsam daran gewöhnen. Doch inzwischen nutzt der Pensionär die Technik souverän. Neuerdings ist er auch bei Facebook und mischt dort in einer Blankenese-Gruppe mit; er schreibt Texte über seinen Stadtteil und lädt Fotos hoch.
Fosseck sieht das Internet und Technologien wie Skype wie vor allem als Chance. „Ich kann zwar nicht immer nachvollziehen, was sich bei den jungen Leuten tut“, sagt er. „Mitbekommen möchte ich es trotzdem.“
Von den Über-70-Jährigen nutzt jeder Dritte das Internet
Man darf annehmen, dass Senioren wie er eine Vorreiterrolle einnehmen. Zwar wächst die Zahl der älteren Menschen, die das Internet nutzen, seit Jahren. Der ARD/ZDF-Onlinestudie 2013 zufolge sind von den 50- bis 59-Jährigen rund 83 Prozent online; bei den Über-60-Jährigen sind es rund 43 Prozent. Und von den Über-70-Jährigen, zu denen Fosseck zählt, nutzen 30 Prozent das Internet. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Umfragen für den (N)Onliner Atlas der Initiative D21.
Diese Zahlen dürfe man jedoch nicht so deuten, dass die Senioren das Internet eroberten, sagt Michael Doh, Mediengerontologe von der Abteilung für Psychologische Alternsforschung an der Universität Heidelberg. Vielmehr lasse sich zumindest der inzwischen große Anteil der 60- bis 70-Jährigen Internet-Nutzer damit erklären, dass Menschen, die um das Jahr 2000 herum, als das Internet populär wurde, etwa 50 Jahre alt und bereits technikaffin waren, nun eben über 60 Jahre alt seien. „Jene Menschen hingegen, die damals 60 Jahre alt waren und heute über 70 sind, haben noch längst nicht in gleichem Maße Zugang zum Internet gefunden“, sagt Doh. „Insofern gibt es auch weiterhin eine digitale Kluft zwischen Älteren und Jüngeren.“
Eine solche Kluft zeigt sich auch in den Einstellungen zum Internet und zu Technologien. Während von den Unter-30-Jährigen etwa 35 Prozent mit Hoffnungen auf die Veränderungen blicken, die sich aus der Digitalisierung der Gesellschaft ergeben, tun dies nur 16 Prozent der 45- bis 59-Jährigen und lediglich zehn Prozent der Über-60-Jährigen. Die Jüngeren „sähen weit stärker als die anderen Generationen die Chancen, die das Internet bietet“, heißt es in einer kürzlich veröffentlichten Umfrage, die das Allensbacher-Institut im Auftrag des Bundesforschungsministeriums durchführte.
„Mit zunehmendem Alter und mehr Erfahrungswissen kann auch die Skepsis zunehmen“, sagt Michael Doh. „Und jene Senioren, die der Digitalisierung bereits skeptisch gegenüberstanden, dürften sich durch den NSA-Skandal bestätigt fühlen.“
Ob und wie ältere Menschen das Internet nutzten, hänge allerdings auch stark von jungen Menschen ab, sagt der Forscher. „Die jüngeren geben Senioren oft den Impuls, die neuen digitalen Möglichkeiten zu nutzen. Der Türöffner ist dann etwa die Enkelin, die auf Weltreise geht und den Großeltern erzählt, dass sie auf ihrem Blog von ihren Erlebnissen berichtet.“
So ähnlich war es auch bei Heiner Fosseck. E-Mail nutzte er schon länger, doch zum Skypen forderte ihn erst seine Enkelin Sarah auf. Und zu Facebook kam er, weil seine Tochter ihn in das soziale Netzwerk eingeladen hatte.
Barbara Nakielski, Vorsitzende des Deutschen Senioren-Computer Clubs Hamburg, hat auf Bitte des Abendblatts eine kleine Umfrage zum Thema „Jung und Alt im Netz“ unter ihren Mitgliedern durchgeführt. Es sei dank E-Mail und Skype leichter geworden, mit Kindern und Enkeln in Verbindung zu bleiben, antworteten einige Mitglieder. Wer Familien- und Freundesverbindungen auch per Internet wolle, lerne meist schnell, mit der modernen Technik umzugehen. Andere schrieben allerdings, ihnen gehe manches zu schnell: Wenn sich ihre Kinder und Enkel über Prozessoren und Vernetzung unterhielten, sei das so, als spreche der Nachwuchs Chinesisch. Die Jüngeren seien oft auch sehr ungeduldig, wenn die Älteren etwas nicht verstünden.
Facebook könnten die meisten Vereinsmitglieder gar nichts abgewinnen, Alltagserlebnisse und Gefühlslagen im Internet zu verbreiten, erscheine vielen überflüssig, erzählt Barbara Nakielski.
Kein Problem, findet Michael Doh. „Nur allein deshalb, weil bei Facebook viele Jüngere mitmachen, müssen Senioren dies nicht auch tun“, sagt der Mediengerontologe. „Soziale Netzwerke sind eher eine zusätzliche Option, die einen Gewinn bedeuten können.“
Doh glaubt aber, dass sich ältere Menschen zumindest mit Computern und einfachen Internetanwendungen beschäftigen sollten – etwa aus gesundheitlichen Gründen. Dieser Meinung ist auch der Alzheimer-Forscher Konrad Beyreuther, Direktor des Netzwerks Alternsforschung in Heidelberg. „In Studien hat sich gezeigt, dass Senioren durch die Nutzung des Internets länger geistig fit bleiben, sagt Beyreuther. „Das Gehirn will gefordert werden, es braucht permanent neue Informationen, damit bereits gebildete Kontakte zwischen Nervenzellen im Gehirn nicht verloren gehen und sich auch neue Kontakte bilden.“
Gefordert werden will auch Heiner Fosseck. Manchmal wird es ihm zwar etwas zu viel bei Facebook. Zunächst habe er nur vier oder fünf enge Freunde bei Facebook eingeladen, aber allein das habe schon eine „Lawine von Freundschaftsanfragen“ ausgelöst. Doch unter anderem deshalb, weil er gerne schreibe und ihm die Leichtigkeit gefalle, mit der er Texte in dem sozialen Netzwerk veröffentlichen könne, sei er immer noch dabei, erzählt Fosseck.
Eines sei ihm noch wichtig, sagt der 74-Jährige am Ende des Gesprächs mit dem Abendblatt: „Nicht nur die Jungen, auch wir Alten haben etwas zu erzählen – das sollte in Ihrem Artikel rüberkommen.“ Er meint nicht Geschichten von früher, sondern vielmehr sein digitales Engagement.
Einen Tag darauf erreicht die Redaktion eine E-Mail mit ähnlicher Botschaft. „Zu Ihrer Information: Auch viele ältere Leute nutzen das Smartphone für verschiedene Dienste“, schreibt Leserin Ingke Tjebbes. Sie bezieht sich darauf, dass wir zum Auftakt unserer Serie über die digitale Gesellschaft auf der Titelseite ein Bild mit jungen Menschen gezeigt hatten, die mit ihren Handys beschäftigt sind. „Es wird häufig unterschätzt, dass auch wir damit umgehen können. Und nicht nur mit dem Smartphone!“, lässt Tjebbes, 73 Jahre alt, uns wissen. Die E-Mail hatte sie mit ihrem Tablet verschickt.