AOK-Gesundheitsreport: Kinder gehen deutlich seltener zu Vorsorgeuntersuchungen als in anderen Bundesländern

Hamburg. Man könnte fast meinen, die Hamburger gingen etwas lax mit der Gesundheit ihrer Kinder um. Im Vergleich mit anderen Bundesländern schicken hanseatische Väter und Mütter ihren Nachwuchs seltener zu den Routineuntersuchungen beim Arzt, lassen oft die Impfungen gegen Masern und Röteln ausfallen. Und bei Diphtherie und Tetanus zeigen sich Hamburger als ausgesprochene Impf-Muffel. Dabei können sich Masern rasant unter Klassenkameraden verbreiten und sogar Eltern wie Lehrer heimsuchen, wie grassierende Erkrankungen an Hamburger Schulen gezeigt haben. Und dann wird aus einer Kinderkrankheit schnell eine ernsthafte medizinische Krise.

Die Zahlen, die der neue Gesundheitsreport 2013 der AOK Rheinland/Hamburg aufführt, sind in Teilen erschreckend. Sie offenbaren den Gesundheitszustand der Hamburger – und den Willen, im Vorwege etwas gegen die weit verbreiteten Krankheiten zu tun. Vorsorge und Prävention heißen die Schlagworte. Jeder fünfte gesetzlich Versicherte in Hamburg (21 Prozent) hat eine AOK-Karte. Da die Kasse auch im Rheinland zu Hause ist, sind die Statistiken von dort aufschlussreich im Vergleich von westdeutschen Großstädten und im Vergleich mit der Provinz.

Demnach schicken Kölner und Düsseldorfer ihre Kinder auffallend häufiger zu den Untersuchungen U 11 (9./10. Lebensjahr) und J 1 (13 bis 15 Jahre) als die Hamburger. Im Rheinland sind es vier oder fünf von zehn Kindern, die zu diesen Routinechecks bei den Ärzten gehen. In Hamburg sind es nur ein bis zwei Kinder bei den Neun- und Zehnjährigen.

Die U-Untersuchungen, die fast ausnahmslos von den Kassen bezahlt werden, sind ein Gradmesser für das gesunde Erwachsenwerden der Kinder. In Großstädten sind sie auch ein Maßstab für eine drohende Fehlentwicklung. Das beginnt bei Sprechschwierigkeiten und endet bei körperlichen Anzeichen für Misshandlungen. Für Hinweise darauf sind Ärzte sensibilisiert und können Eltern, Schulen oder Behörden Tipps geben.

Nach mehreren Fällen von misshandelten und getöteten Kindern wirbt die Stadt Hamburg nun in einer Kampagne für die Kinder-Untersuchungen. Eine Teilnahmepflicht gibt es nicht. Diese würden viele Eltern wohl als Eingriff in die Selbstbestimmung empfinden. Für überforderte Väter und Mütter wäre sie aus Expertensicht allerdings sinnvoll.

Ähnlich sieht es beim Impfen aus. „Bei etlichen Kindern wird die Grundimmunisierung gegen Diphtherie und Tetanus beziehungsweise Masern und Röteln versäumt“, heißt es im AOK-Report. Dabei lassen die Harburger (nur 3,1 Prozent schwänzen die Spritze) ihre Kinder deutlich häufiger gegen Masern und Röteln immunisieren als die Eltern im Bezirk Hamburg-Nord (5,9 Prozent).

Im Gespräch mit dem Abendblatt sagte der Vorstandschef der AOK Rheinland/Hamburg, Günter Wältermann: „Eine konsequente Impfung ist sinnvoll, damit Leid vermieden wird. Fehlende Impfungen bei Röteln, Masern, Diphtherie und Tetanus sind keine Bagatelle dem Kindeswohl gegenüber.“

Bei den Erwachsenen ist das Bild nicht besser. In der gesamten AOK Rheinland/Hamburg sind ausgerechnet die aufgeklärten Hanseaten die größten Muffel bei Krebsvorsorgeuntersuchungen. 43,2 Prozent der Hamburgerinnen gehen zur Vorsorge, in Bonn sind es fast 50 Prozent. Bei den Männern sind es 15,9 Prozent in Hamburg, in Köln 17,4, in Krefeld 21,6 Prozent. In dem Gesundheitsreport heißt es: „Die Diagnose einer Krebserkrankung in einem frühen Stadium erhöht die Behandlungs- und Heilungschancen.“ AOK-Vorstandschef Wältermann sagt: „Die Menschen müssen daher verstärkt und auch sachgerecht über Nutzen und Risiken der Untersuchungen aufgeklärt werden.“

Für eine Stadt, die sich eine Medizinmetropole mit ausgezeichneten Ärzten und Krankenhäusern nennen kann, ist die Zahl der Brustkrebstoten hoch. Auf 100.000 Einwohner kommen bundesweit statistisch 24,3 Frauen, die an Brusttumoren sterben. In Hamburg sind es 28,2. Gleichzeitig, das zeigen die AOK-Zahlen für das Rheinland, sind es in Bonn nur 19,7. Es liegt nahe, dass Früherkennung und Todesrate unmittelbar zusammenhängen.

In anderen Bereichen steht Hamburg besser da. Bei Herzschwächen liegt die Zahl der Sterbefälle (16,9 auf 100.000 Einwohner) deutlich unter dem Deutschland-Durchschnitt (24,1). In Duisburg, Essen und Oberhausen liegt die Zahl der Sterbefälle bei über 30. Allerdings neigen Hamburger Ärzte auch zu häufigen Herzkatheter-Untersuchungen. 619 Koronarangiografien auf 100.000 Versicherte sind weit über dem AOK-Durchschnitt von 391 und Meilen entfernt von den 167 in Aachen. Es bestehe der Verdacht, dass mit dieser Untersuchung viel Geld verdient wird, heißt es bei der AOK.

Für Schlaganfall-Patienten offenbart der Bericht eine gute Nachricht: „Spezialisierte Zentren, ,stroke units‘, bieten im Falle eines Schlaganfalls die bestmögliche Erstbehandlung. Im Notfall sollten Rettungsdienste diese Kliniken ansteuern. Die Stadt Hamburg ist hier vorbildlich“, schlussfolgert die AOK in ihrem Bericht.