Ins Netz zu gehen ist dank Smartphones und Tablets erheblich leichter geworden. Im besten Fall werden wir dadurch flexibler und produktiver. Doch die neuen digitalen Möglichkeiten bergen auch Risiken.
Seinen Beitrag auf dem Online-Portal „gutefrage.net“ hatte Nutzer Paul zwar mit einem Smiley versehen, trotzdem war er offenbar ziemlich sauer. Seine Freundin sei tagsüber „andauernd online“, zumindest zeige dies ihre Statusmeldung von WhatsApp (zul. online um ...), die sich immer wieder verändere. Seine Liebste beteuere zwar, das Programm nur selten zu nutzen, schreibt Paul, dennoch sei er inzwischen misstrauisch und komme sich etwas „vera ...scht“ vor. Ob es an der Technik liege? Es sei unwahrscheinlich, dass „die App spinnt“, antwortete etwa Nutzer ZandoM und riet Paul, sich „ganz genau zu erkundigen“.
Nach einer weiteren Antwort enden die Beiträge, deshalb ist nicht überliefert, ob Paul schließlich doch wieder Vertrauen schöpfte, oder ob die Beziehung zu seiner Freundin in die Brüche ging. Klar ist allerdings: Pauls Problem ist kein Einzelfall – im Internet finden sich viele ähnliche Schilderungen.
Zwar erfreut sich der Kurznachrichtendienst enormer Beliebtheit: 430 Millionen Menschen – 30 Millionen davon in Deutschland – nutzen WhatsApp nach Angaben des Herstellers. Der Erfolg hat vor allem damit zu tun, dass die App ein Jahr lang nichts und dann 0,89 Cents pro Jahr kostet; die einzelnen SMS sind kostenlos. 50 Milliarden Botschaften werden inzwischen angeblich per WhatsApp verschickt – pro Tag.
Doch das Programm hat auch seine Tücken. Weil es auf den Adressspeicher des Smartphones zugreift, kann es dem Nutzer auflisten, wer von seinen Kontakten ebenfalls WhatsApp nutzt. Hat man eine Nachricht verschickt, wird dies durch ein Häkchen bestätigt; ist die Mitteilung angekommen, wird dies durch zwei Häkchen angezeigt. Sobald ein Nutzer das Programm aufruft, sehen seine Kontakte, dass er online ist. Das kann die Kommunikation vereinfachen und beschleunigen. WhatsApp hat dazu geführt, dass viele Nutzer heute mehr Kurznachrichten verschicken. Das heißt aber auch, dass sie öfter auf eine Antwort warten. Und nicht wenige fragen sich, verärgert auf ihr Handy starrend, mit wem die Partnerin oder der Freund gerade kommuniziert – siehe Paul. Bei iPhones immerhin lässt sich der zuletzt online-Status deaktivieren.
Es ist eine neue Medienkompetenz nötig
Das Programm ist ein Paradebeispiel für die Vorteile der zunehmenden Digitalisierung unseres Lebens, aber eben auch für die Herausforderungen, die sich aus dieser Entwicklung ergeben. Das Internet nutzen wir schon seit vielen Jahren, doch Smartphones und Tablets machen es erheblich leichter, ständig online zu sein – am Frühstückstisch, in der Kantine, beim Einkaufen, im Sportverein. „Smartphones haben die Online-Kommunikation um Schauplätze erweitert, die früher medienfreie Räume waren“, sagt Leonard Reinecke, Psychologe und Juniorprofessor für Publizistik an der Universität Mainz. „Viele Menschen lernen allerdings noch, mit dieser Situation umzugehen. Es ist eine neue Medienkompetenz nötig, die sich gerade erst entwickelt.“
Der Reiz von Smartphones hänge damit zusammen, dass die Geräte gleich mehrere Bedürfnisse befriedigten, sagt der Psychologe: „Man kann sich informieren, unterhalten lassen und mit Freunden kommunizieren.“ Doch auch externer Druck lasse den Nutzer immer wieder zu seinem Gerät greifen. „Wer ein Smartphone nutzt, meint häufig auch, dass er deshalb ständig erreichbar und in sozialen Netzwerken kontinuierlich dabei sein muss, weil er sonst sozial ausgeschlossen sein könnte.“
Die Nutzung von Smartphones ähnele dem Umgang mit Glückspielautomaten, sagt Thomas Montag, Psychologe von der Universität Bonn. „Man schaltet das Gerät mit der Erwartung ein, in irgendeiner Weise belohnt zu werden, etwa mit Neuigkeiten. Die Ungewissheit verleitet dazu, immer wieder einzuschalten.“
Die Auswirkungen kann man schon morgens in der U-Bahn beobachten: Jeder zweite tippt und scrollt, die Augen auf ein leuchtendes Display gerichtet. Dieses Verhalten allein habe noch keine größeren Auswirkungen auf unser Miteinander, sagt Leonard Reinecke: „Auch früher gab es auf dem Weg zur Arbeit das Bedürfnis, sich sozial abzukoppeln. Auch früher lagen sich in der U-Bahn nicht wildfremde Menschen in den Armen. Da lasen die Leute eben eher Bücher oder hatten Kopfhörer an.“
Stärker treibe ihn die Frage um, welche Folgen die zunehmende Smartphone-Nutzung für Beruf und Privatleben hätten. Die Forschung dazu stehe bisher erst am Anfang.
Keine Vorgaben, wann Mitarbeiter erreichbar sein sollen
Wie eine repräsentative Studie des Branchenverbands Bitkom 2013 ergab, sind 77 Prozent aller Berufstätigen auch nach Dienstschluss in ihrer Freizeit per Handy oder E-Mail für Kollegen und Vorgesetzte zu erreichen. 30 Prozent sind jederzeit erreichbar, 32 Prozent zu bestimmten Zeiten, 15 Prozent nur in Ausnahmefällen.
BMW rechnet Dienstmails in der Freizeit neuerdings aufs Stundenkonto. Die Telekom rät ihren Führungskräften, nach Feierabend vor jeder E-Mail zu überlegen, ob die Nachricht nicht Zeit hat bis zum nächsten Tag. Bei VW setzte der Betriebsrat durch, dass die E-Mail-Funktion für Blackberry-Geräte 30 Minuten nach Feierabend abgeschaltet wird. Doch das sind Ausnahmen: Die meisten Unternehmen haben der Bitkom-Studie zufolge bisher kein Konzept für den Umgang mit den neuen digitalen Möglichkeiten entwickelt. Zumindest gibt es in 62 Prozent der befragten Firmen keine Vorgaben, wann Mitarbeiter elektronisch erreichbar sein sollen und wann nicht.
Ex-Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte sich zwar gegen E-Mails nach Feierabend ausgesprochen, gesetzliche Regelungen aber gemieden. Solche forderte kürzlich der neue IG-Metall-Chef Detlef Wetzel. Passiert ist aber noch nichts.
Während viele Menschen bisher nicht umhinkommen, ihr Smartphone ungewollt oft für berufliche Dinge zu nutzen, könnten sie sich privat einschränken. Etliche täten das jedoch nicht, sagt Leonard Reinecke. Folgendes könne man derzeit oft erleben: Zwei Freunde unterhalten sich, da bekommt einer der beiden eine SMS – und unterbricht das Gespräch. „Das verhindert, dass Intimität entsteht und kann zu Konflikten führen“, sagt Reinecke. Sein Kollege Christian Montag kennt ähnliche Geschichten: „Da treffen sich Leute in einer Bar, weil sie Geselligkeit suchen – und dann starrt ein Teil der Gruppe auf sein Handy.“ Selbst im Urlaub findet mancher zeitweise mehr Gefallen an seinem Smartphone als am menschlichen Miteinander.
Dabei sei gerade physische Nähe nötig, um glücklich zu sein, sagt Sabine Trepte, Professorin für Medienpsychologie an der Universität Hohenheim. Virtuelle Kontakte im Internet könnten einen zwar auf grandiose Weise mit Informationen versorgen. „Wenn ich in meinen Büroflur rufe, was ich abends in der Stadt unternehmen kann, bekomme ich vielleicht drei Antworten. Wenn ich die gleiche Frage bei Facebook stelle, antworten vielleicht 150 Menschen. Das ist ein toller Effekt.“ Studien zeigten aber, dass diese sogenannte informationelle Unterstützung nur bedingt zu unserem Wohlbefinden beitrage – anders als etwa Treffen mit Freunden.
„Wir werden ein Gefühl dafür bekommen, wann es angebracht ist, ein Smartphone zu benutzen und online zu sein und wann nicht“, sagt Leonard Reinecke. „Es werden sich Normen entwickeln, im Beruf und im Privatleben“, glaubt der Psychologe und verweist auf die Frage, wie viele private Daten man im Internet veröffentlichen sollte. „Anfangs hatten viele Nutzer kein Problembewusstsein und gingen sorglos mit ihren Daten um. Dann, insbesondere im Zuge der NSA-Affäre, hat die öffentliche Diskussion dazu geführt, dass viele Nutzer zurückhaltender geworden sind.“
Wie viel Smartphone-Nutzung ist „normal“?
Die meisten Studien zum Handygebrauch basierten auf Selbsteinschätzungen der Nutzer, sagt Christian Montag. Diese Angaben seien unzuverlässig. In einer bislang unveröffentlichten Studie hat Montags Team sechs Wochen lang das Telefonverhalten von 50 Studenten mit untersucht – mit Hilfe der eigens entwickelten App „Menthal“. Demnach schalteten die Studienteilnehmer 80-mal täglich ihr Telefon ein; 40-mal davon nutzen sie bestimmte Funktionen.
„Die Studie ist nicht repräsentativ, dennoch finde ich die Ergebnisse erschreckend, weil sie vermuten lassen, dass Smartphones das Potenzial haben, uns permanent von wichtigen Dingen abzulenken“, sagt Montag. „Zwar können die Geräte auch zu einer höheren Produktivität führen. Aber es dürfte einen Scheitelpunkt geben, an dem es kippt und die Produktivität und die Lebenszufriedenheit leiden.“ In weiteren Studien will Montag nun herausfinden, wie viel Smartphone-Nutzung „normal“ ist und ab wann man von einem Zuviel sprechen muss – und womöglich eine Sucht droht (siehe Text rechts).
Für Leonard Reinecke hängen Wohl und Wehe davon ab, „ob Smartphones uns neue Autonomie ermöglichen, oder in einer Art und Weise unser Leben bestimmen, wie wir es eigentlich nicht möchten“. Er liest Nachrichten auf seinem Handy und nutzt es zur Navigation; die E-Mail-Push-Funktion hat er aber deaktiviert. Ansonsten würde nämlich jede Mail automatisch auf das Gerät geschickt – angezeigt durch ein verführerisches Blinken.