Wie Ärzte unter wirtschaftlichem Druck ihrem Eid nachkommen können, sollte eine Diskussion in der Evangelischen Akademie der Nordkirche klären.
Hamburg. Großes Thema, kleines Publikum – nur 19 Zuschauer hatten sich am Montagabend in der Evangelischen Akademie der Nordkirche eingefunden, um eine Diskussion zu verfolgen, die eigentlich viele Menschen betrifft. „Ärzte zwischen Renditedruck und hippokratischem Eid“, darum sollte es gehen, und Moderator Jürgen Heilig kündigte an, darüber sprechen zu wollen, wie sehr Mediziner heute auf die Kosten einer Behandlung achten müssen – und wie sie dabei noch auf das Wohl des Patienten achten können.
Doch eben diese Zwänge und Spielräume wurden in der Diskussion bestenfalls gestreift, obwohl oder vielleicht gerade weil auf dem Podium mit Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer und Radiologe am UKE, und Thomas Wolfram, Sprecher der Geschäftsführung der Asklepios Kliniken Hamburg und Chirurg, zwei Ärzte saßen, die auf das Image ihrer Zunft achten müssen. Missstände könne es geben, so die beiden, aber dafür seien eher Politik und Krankenkassen verantwortlich. Diese konnten darauf allerdings nicht antworten, weil die Akademie sie nicht eingeladen hatte.
Die Rollen, weitere Standpunkte zu vertreten, kamen Kerstin Hagemann zu, Geschäftsführerin der Hamburger Niederlassung der Patientenberatung Deutschland, und Stephan Heinrich-Nolte, Kinderarzt und Mitgründer der hessischen Bürgerinitiative Notruf 113, die 2009 aus Unzufriedenheit mit der Situation im privatisierten Uniklinikum Gießen und Marburg entstand.
Nolte berichtete, die Privatisierung habe unter anderem zu Einsparungen beim Pflegepersonal geführt; Patienten hätten schlechtere Diagnosen erhalten als vermutet; lukrative Operationen seien zunehmend durchgeführt worden. Frank Ulrich Montgomery sagte dazu, ähnliche Klagen höre er auch aus staatlichen Kliniken. Schuld an solchen Problemen sei vielmehr die falsche Anwendung des Fallpauschalensystems (siehe Kasten), das die Politik durchgesetzt habe. „Wir haben damals schon davor gewarnt, dass ein sozial gebundener Beruf sich mit rein ökonomischen Kriterien nur sehr schwer vereinbaren lässt. Aber es kam trotzdem.“
Thomas Wolfram sprach von einer „Flurbereinigung“. Politiker wollten sich nicht durch Schließungen von Kliniken unbeliebt machen. „Deshalb wird versucht, das Überangebot an Krankenhäusern durch massiven wirtschaftlichen Druck zu beseitigen.“ Man könne jedoch nicht die Ärzte „für ein System verantwortlich machen, das geeignet ist, Fehlanreize zu setzen“.
Kerstin Hagemann sagte, unnötige Operationen hätten nur bedingt etwas mit Privatisierungen oder Fallpauschalen zu tun. Das Problem sei grundsätzlicher Natur: „Der Anreiz für Ärzte liegt heute darin, etwas zu tun – also nicht abzuwarten und die Rückenschmerzen erst einmal zu beobachten, bevor man eine Bandscheiben-OP empfiehlt.“ Dadurch habe sich etwas verändert. Eigentlich sollten Patienten keine Kunden sein und Ärzte keine Verkäufer. „Es geht um eine Beziehung. Das ist jedoch aus dem Blick geraten.“
Gilt das auch für die Asklepios Kliniken in Hamburg? Mit diesem Ansatz wandte sich Moderator Jürgen Heilig an den bis dahin meist locker zurückgelehnten Thomas Wolfram. In der Hansestadt habe Asklepios zuletzt ein gutes operatives Ergebnis von etwa 100 Millionen Euro pro Jahr erzielt; bei einer Befragung zur Patientenzufriedenheit (pflegerische Betreuung, ärztliche Versorgung, Weiterempfehlung, Organisation und Service) landeten die Asklepios Kliniken Wandsbek und Harburg auf den letzten Plätzen – ob es einen Zusammenhang zwischen Unternehmensgewinn und Patientenzufriedenheit gebe? Wolfram richtete sich auf: „Klares Nein.“ Die mangelnde Zufriedenheit habe in erster Linie mit „Kommunikationsproblemen“ zu tun; so werde etwa die Entlassung nicht immer ideal vorbereitet. „Damit bin ich weiß Gott nicht zufrieden“, sagte Wolfram.
Ob es Zielvereinbarungen mit Chefärzten über eine Mindestanzahl von Operationen gebe, wollte der Moderator wissen. Nein, sagte Wolfram, jedoch könnten Chefärzte ihr Einkommen aufstocken, indem sie etwa auf die Wirtschaftlichkeit ihrer Abteilung achteten, also möglichst nicht mehr Geld ausgäben, als die Kassen erstatteten, und ihre Mitarbeiter förderten.
Was geschehe, wenn ein Chefarzt gegenüber der Geschäftsführung erkläre, er wolle eine OP aus medizinischen Gründen nicht durchführen? „Diese Frage stellt sich bei uns nicht“, entgegnete Wolfram, jetzt lauter. „Sie stellen ein Bild von Ärzten dar, die sich für jede OP ein O. K. vom Geschäftsführer holen müssen – das ist falsch.“
Dass Ärzte unter einem stärkeren Kostendruck stehen, deutet sich in Studien an. So berichtete 2012 das wissenschaftliche Institut der AOK, dass nie zuvor so viele Menschen in deutschen Kliniken stationär behandelt wurden wie 2011. Seit sieben Jahren steige die Zahl an. Es gebe besonders dort starke Zuwächse, wo die Eingriffe Gewinn versprächen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft wies die Vorwürfe zurück. Der starke Anstieg von Operationen rühre von der Zunahme älterer Patienten und vom medizinischen Fortschritt.
In die gleiche Kerbe schlug Montgomery. Die Herzklappen-Operation mittels Katheter über die Leiste etwa schone den Patienten und sei „einer der segensreichsten Eingriffe überhaupt“. „Dass dieser Eingriff am Anfang explosionsartig zunimmt, ist doch klar.“ Anders sei es mit bestimmten Rückenoperationen. Da hätten die Fachgesellschaften früher propagiert, dass die alleinige Entfernung der Bandscheibe nicht helfe, sondern mehr nötig sei. „Heute wissen wir, dass ein Großteil dieser Klempnerei nicht gut ist.“ Künftig werde die Zahl der Rückenoperationen deshalb wohl abnehmen.
Gegenwind kam aus dem Publikum. „Sie lavieren“, sagte eine Zuschauerin, die früher als Oberärztin arbeitete, an die Adresse von Montgomery sowieWolfram. „Das System ist ein ökonomisches. Sicherlich werden Chefärzte auch mit Fallzahlen konfrontiert.“