Wissenschaftler des Forschungsinstituts Kinderkrebszentrum Hamburg haben eine neue Erklärung für Leukämien gefunden. Die Erkenntnisse aus der Studie könnten der Schlüssel für neue Therapieansätze sein.
Hamburg Wissenschaftler des Forschungsinstituts Kinderkrebszentrum Hamburg haben eine neue Ursache für Leukämien bei Kindern entdeckt. Laut ihrer Studie, die jetzt in der Fachzeitschrift „The Journal of Experimental Medicine“ veröffentlicht wurde, ist die sogenannte Akute Lymphatische Leukämie (ALL), anders als bisher angenommen, eine rein genetische Erkrankung.
Eine wesentliche Rolle spielt, dass das Gen chemische Markierungen, sogenannte Methylgruppen, verloren hat, dadurch falsch abgelesen wird und so zur Entstehung der Leukämie beiträgt. Entscheidend ist, dass dabei der sogenannte Zinkfingerfaktor (ZNF 423) aktiviert wird. „Er bindet sich an den Dirigenten, der die Reifung bestimmter weißer Blutkörperchen, der sogenannten B-Zellen, steuert. Dadurch funktioniert dieser Dirigent nicht mehr richtig und kann keine Befehle mehr erteilen“, sagt Prof. Martin Horstmann, wissenschaftlicher Direktor des Instituts und Leiter der Studie. Dieser Mechanismus führt dazu, dass die junge Blutzelle nicht mehr ausreifen kann. „Eine gesunde Zelle stirbt dann ab, eine Zelle mit weiteren Defekten verwandelt sich in eine bösartige Leukämiezelle“, erklärt Horstmann.
Die Wissenschaftler hoffen nun, mit den neuen Erkenntnissen den Blutkrebs an der Wurzel packen zu können. „Wir haben zum ersten Mal die Tür zu einer sogenannten Reifungstherapie aufgestoßen. Wenn wir den Zinkfinger-Faktor ausschalten könnten, könnte man sich vorstellen, dass die Zellen zur Ausreifung gezwungen werden. Das wäre ein völlig neues Konzept zur Therapie der kindlichen Leukämie“, sagt Horstmann.
Und noch etwas haben die Wissenschaftler in ihrer Studie herausgefunden: Mithilfe des ZNF-423-Spiegels lassen sich möglicherweise gewisse Vorhersagen treffen. „Denn Patienten mit einem hohen ZNF-423-Spiegel neigen nach einer zunächst erfolgreichen Chemotherapie häufiger zu Rückfällen“, sagt Horstmann.
Auf jeden Fall sei es wichtig, in Zukunft ein genaues epigenetisches Profil jeder Leukämie-Erkrankung zu erstellen, also chemische Besonderheiten am Erbgut, die beeinflussen, wann und wie stark Gene ein- oder ausgeschaltet werden. Denn die neue Wirkstoffgruppe der DNA-Methylierungshemmer, die in der Krebstherapie eingesetzt werden, könnten bei Patienten mit niedrigem ZNF-423-Spiegel die Heilungschancen verschlechtern. Durch diese Medikamente werden Markierungen am Gen (Methylgruppen) reduziert, dadurch wird der Zinkfingerfaktor aktiviert.
Die Akute Lymphatische Leukämie ist die häufigste Krebserkrankung bei Kindern. In Deutschland erkranken jedes Jahr 500 Kinder neu an diesem Blutkrebs, der vor allem im Vorschulalter auftritt. Behandelt wird die Erkrankung mit einer Chemotherapie, bei der verschiedene Medikamente kombiniert werden. Die Therapie wird in Blöcken im Krankenhaus durchgeführt, nach denen die Kinder wieder nach Hause gehen können. Die Therapie kann mit starken Nebenwirkungen einhergehen, etwa schweren Infektionen, Entzündungen der Schleimhaut, Haarausfall und Übelkeit. Wenn die Chemotherapie nicht erfolgreich ist, braucht das Kind eine Knochenmarktransplantation.
Dank der modernen Therapiemöglichkeiten sind die Überlebensraten bei dieser Erkrankung, die unbehandelt innerhalb kurzer Zeit zum Tode führt, von fünf Prozent in den 60er-Jahren auf heute 80 Prozent gestiegen.