Es geht bei der Konferenz in Bremerhaven nicht nur um Pinguine, Wale und Delfine: Im Südpolarmeer sollen 3,9 Millionen Quadratkilometer geschützt werden. Auch Ministerin Ilse Aigner macht für die Antarktis stark.
Hamburg/Bremerhaven. Sollten die Verhandlungen dieses Mal erfolgreich verlaufen und alle Mitgliedstaaten am Ende zustimmen, könnte am kommenden Dienstag das weltweit größte Meeresschutzgebiet ausgewiesen werden. Vom heutigen Donnerstag an treffen sich Vertreter der „Internationalen Kommission zum Schutz lebender Ressourcen in der Antarktis“ (CCAMLR) aus 24 Mitgliedstaaten und der Europäischen Union in Bremerhaven und diskutieren über zwei Vorschläge, wonach bestimmte Zonen im Rossmeer und in den östlichen Küstengebieten der Antarktis unter Schutz gestellt werden sollen. Insgesamt geht es um eine Fläche von 3,9 Millionen Quadratkilometern – und um unterschiedliche Interessen an diesen Gebieten. Daran waren auch die ersten Verhandlungen im November 2012 gescheitert.
„Um die natürlichen Meeres-Ressourcen langfristig zu schützen, brauchen wir weltweit vernetzte Systeme von Meeresschutzgebieten. Die internationale Staatengemeinschaft hat sich verpflichtet, bis zum Jahr 2020 mindestens zehn Prozent der Küsten- und Meeresgewässer als Schutzgebiete auszuweisen. Bisher sind es gerade einmal zwei Prozent. Die internationale Staatengemeinschaft hat jetzt die einmalige Chance, im internationalen Meeres- und Naturschutz erneut Geschichte zu schreiben“, sagte Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) im Vorfeld der Verhandlungen dem Hamburger Abendblatt. Sie appellierte an die internationale Staatengemeinschaft: „Lassen Sie uns diese Chance jetzt nicht ungenutzt verstreichen, lassen sie uns die Zukunft der Antarktis entscheidend mitgestalten und der Schaffung von Meeresschutzgebieten weltweit neue Impulse geben.“
Nach der ergebnislosen CCAMLR-Sitzung in Tasmanien im Vorjahr hatte sich Deutschland als Gastgeberland für eine Sondersitzung im jetzigen Juli angeboten und damit sein Engagement bei der Ausweisung der Gebiete bekräftigt. „Die deutsche Position ist sehr positiv“, bestätigt auch Tim Packeiser, der für den World Wide Fund For Nature (WWF) als Beobachter an der Sitzung teilnehmen wird. Zur Abstimmung stehen zwei Vorschläge: Neuseeland und die USA haben Gebiete mit unterschiedlichem Schutzstatus (komplette Schutzzone, limitiertes Fanggebiet und Schutzzone zum Laichen) im Rossmeer definiert, ein Randmeer im Südlichen Ozean (Südpolarmeer) vor der antarktischen Küste. Und Kommissions-Mitglieder aus Australien, Frankreich und der Europäischen Union haben für die östlichen Küstengebiete der Antarktis mögliche Schutzzonen benannt. „Für diesen Prozess wurde das Südpolarmeer in neun Gebiete unterteilt, die aus biologischer und ökologischer Sicht begutachtet werden. Es geht darum, die Vielfalt der Lebensräume repräsentativ zu erfassen“, sagt Packeiser. So werde etwa der Meeresboden auf Besonderheiten hin angeschaut; zudem würden Fischerei-Erkenntnisse zu Vorkommen und -mengen berücksichtigt und Laichgebiete, Ruheplätze und Wanderrouten von Meerestieren ausgemacht.
„Es geht hier nicht um eine riesige, zusammenhängende Schutzzone rund um die Antarktis“, betont Packeiser. „Ökologisch ist es auch korrekt, mit einem Netzwerk aus verschiedenen Schutzgebieten zu arbeiten.“ Allerdings hat die Antarctic Ocean Alliance (AOA), ein Zusammenschluss von mehr als 30 Umweltschutzorganisationen – darunter für Deutschland der WWF, Greenpeace und Deepwave –, zusätzlich 19 weitere Gebiete identifiziert, deren Schutz sie vorschlägt und die einige der von der Kommission ausgearbeiteten Zonen miteinander verbinden. In die Abstimmung werden diese Gebiete jedoch nicht mit einfließen.
Was macht das Südpolarmeer, das etwa zehn Prozent der Weltmeeresfläche ausmacht, so besonders? Es gehört zu den produktivsten Meeren der Erde. Zirkumpolares Tiefenwasser ist einer der globalen Meeresströmungsmotoren, der dafür sorgt, dass wärmeres und mit Mineralstoffen angereichertes Wasser aus den subtropischen Regionen der Erde in den Süden gelangt. Dank der 24-stündigen Sonneneinstrahlung während des antarktischen Sommers kann sich massiv Phytoplankton bilden, ein wichtiger Bestandteil des marinen Nahrungsnetzes. Dieses ist wiederum Voraussetzung für das massenhafte Auftreten des wichtigsten Proteinlieferanten der Meere, des Krills. Die garnelenartigen, bis zu sechs Zentimeter langen Krebse, die in Schwärmen von bis zu 30.000 Individuen pro Kubikmeter Meereswasser vorkommen, sind die Hauptnahrung von vielen Tintenfischen, Fischen, Pinguinen und anderen Seevögeln, Robben und Walen.
Diese außerordentliche Nahrungsgrundlage sorgt dafür, dass sich trotz der extremen Klimabedingungen in diesem Lebensraum – minus 60 Grad Celsius im Winter, Stürme mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 300 Kilometern in der Stunde – vielfältige Arten ansiedelten. Und etliche davon nur hier: So sind im Lebensraum Antarktis sechs verschiedene Robbenarten beheimatet, zwanzig Wal- und Delfinarten, 120 Fischarten, fünf der 18 Pinguin- und 18 der zwanzig bekannten Albatrossarten.
Bereits jetzt ist die Antarktis durch verschiedene Abkommen geschützt, die sich hauptsächlich auf bestimmte Tierarten oder Formen der Nutzung beziehen. So untersagt der internationale Antarktisvertrag seit 1959 die wirtschaftliche Ausbeutung und militärische Nutzung des Festlandsockels. Seit 1972 sind die Robben in der Region umfassend geschützt. 1994 wurde das Südpolarmeer auf einer Fläche von 18 Millionen Quadratkilometern zum internationalen Walschutzgebiet erklärt. Und 1998 trat das Madrid-Protokoll über den Umweltschutz in der Antarktis in Kraft, welches ein mindestens 50 Jahre umfassendes Verbot der Rohstoffausbeutung beinhaltet.
Um auch das marine Ökosystem der Antarktis zu bewahren, wurde mit dem CCAMLR-Abkommen 1980 die Voraussetzung für ein Fischereimanagement im Südlichen Ozean geschaffen. Die CCAMLR-Kommission setzt das Abkommen um und bestimmt z.B. Fischereiquoten. Die beiden Meeresschutzgebiete, die jetzt ausgewiesen werden sollen, wären die ersten ihrer Art. Sie setzen sich aus nutzbaren Zonen und solchen mit Fischereiverbot zusammen – jedes der beiden Gebiete wäre das größte Meeresschutzgebiet weltweit.
„Das Besondere an den neuen Zonen wäre auch, dass es sich um internationale Gewässer und keine staatlichen Hoheitsgebiete handelt. Solche Schutzgebiete sind derzeit fast noch nicht vorhanden“, sagt Packeiser. Ihre Größe würde zudem die Schutzgebietsbedeckung der weltweiten Meere von jetzt knapp zwei auf dann knapp drei Prozent steigern. Ein wichtiger Schritt zum Erreichen des Zehn-Prozent-Ziels bis 2020, auf das sich die internationale Staatengemeinschaft geeinigt hat.
Im vergangenen Herbst waren laut Packeiser Russland, die Ukraine und China die Hauptgegner einer Schutzgebietsausweisung. „Wirtschaftliche Interessen“ nennt der Meeresökologe als Gründe. Etwa die Fischerei auf den Schwarzen Seehecht und den Antarktischen Seehecht. Dazu kommt der Krill: Mit seinen wertvollen Omega-3-Fettsäuren ist er nicht nur als Fischfutter, sondern auch immer mehr auf dem Gesundheitsmarkt nachgefragt. Erstmals hatte mit der Doggerbank Seefischerei aus Bremerhaven im vergangenen Jahr auch ein deutsches Unternehmen ein Fangmenge von 75.000 Tonnen der Krebse im Südpolarmeer genehmigt bekommen. Und eine weitere Sache macht Packeiser Sorgen: „Norwegen spricht sich für einen zeitlich begrenzten Schutzstatus aus. Wenn das durchginge, würde hier ein Präzedenzfall geschaffen, der jeglichem langfristigen Schutzgedanken widerspricht.“
So bleibt es abzuwarten, ob die Verhandlungen in der kommenden Woche tatsächlich zu einem Ergebnis führen. Die Bundesregierung denkt jedoch schon einen Schritt weiter: „Deutschland ist gewillt, die Anstrengungen zum Schutz der Meeresgebiete in der Antarktis mit einem eigenen Beitrag zu unterstützen. Derzeit bereiten wir zusammen mit dem Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven die Einrichtung eines weiteren Meeresschutzgebietes im Weddellmeer vor“, sagte Aigner.