Eine schwedische Studie hat gezeigt, dass im Zentrum von Stockholm die Häufigkeit der Erkrankung in den vergangenen 20 Jahren nicht zugenommen hat.
Hamburg. Demenz gilt heute als eine der größten Volkskrankheiten bei älteren Menschen. In Deutschland gibt es zurzeit 1,4 Millionen Demenzkranke; Prognosen gehen davon aus, dass 2050 drei Millionen Menschen davon betroffen sein werden. Umso überraschender ist das Ergebnis einer schwedischen Studie, die jetzt in der Fachzeitschrift „Neurology“ veröffentlicht wurde: Beim Vergleich von zwei Untersuchungen im Stockholmer Stadtteil Kungsholmen haben Wissenschaftler des renommierten Karolinska-Instituts festgestellt, dass dort die Häufigkeit von Demenz in einem Zeitraum von 20 Jahren nicht zugenommen hat.
Die erste Untersuchung wurde von 1987 bis 1989 durchgeführt, die zweite von 2001 bis 2004. Einbezogen wurden nur Menschen, die 75 Jahre und älter waren: 1700 in der ersten und knapp 1600 in der zweiten Gruppe. Die Diagnose einer Demenz wurde mithilfe eines Screening-Verfahrens und spezieller Tests gestellt. Damit wurden in der ersten Gruppe 225 Personen (17,5 Prozent) mit einer Demenz gefunden, in der zweiten Gruppe 298 Personen (17,9 Prozent), wobei allerdings nicht zwischen unterschiedlichen Formen von Demenz unterschieden wurde. Außerdem stellten die Forscher in beiden Untersuchungen fest, dass Frauen häufiger betroffen waren als Männer und dass die Häufigkeit ab dem 85. Lebensjahr deutlich ansteigt. Und sie fanden heraus, dass die Lebenserwartung insgesamt gestiegen ist, auch bei Menschen mit einer Demenz.
„Allerdings muss man dabei bedenken, dass die beiden untersuchten Gruppen nicht identisch waren“, sagt Prof. Wolfgang von Renteln-Kruse, Altersforscher und Chefarzt im Zentrum für Geriatrie und Gerontologie im Albertinen-Haus. In der zweiten Gruppe habe der Anteil der über 90-Jährigen bei 30 Prozent gelegen, in der ersten Gruppe nur bei zehn Prozent.
Weil Menschen mit Demenz heute länger leben und die Zahl der Demenzkranken in der zweiten Gruppe trotzdem etwa gleich hoch geblieben ist, ziehen die Forscher den vorsichtigen Schluss, dass die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen in der zweiten Gruppe vermindert sein könnte. „Zu den Ursachen gibt es in der Studie keine Untersuchungen, nur Spekulationen“, sagt von Renteln-Kruse. So vermuten die Wissenschaftler, dass es eine Rolle gespielt hat, dass das Ausbildungsniveau der Mitglieder der zweiten Gruppe im Durchschnitt höher war und die Lebensbedingungen besser als in der ersten Gruppe.
Von Bedeutung scheint auch zu sein, dass sich die Häufigkeit von Risikofaktoren für Arteriosklerose, wie Rauchen, Diabetes, Bluthochdruck und erhöhte Fettwerte in Schweden verändert hat. Außerdem hat der Anteil der Menschen, die sich mehr körperlich bewegen, zwischen 1960 und 2000 deutlich zugenommen. „Das sind die Faktoren, die die Forscher als Gründe dafür diskutieren, dass der Lebensstil in dieser Population in Stockholm eher gesünder geworden ist“, sagt Wolfgang von Renteln-Kruse.
Die Forscher bezeichnen ihre Studie aber selbst auch als nicht repräsentativ, weil das sozioökonomische Niveau der Menschen, die in Kungsholmen wohnen, das höchste in ganz Schweden ist. „Diese Befunde müssten in anderen Regionen des Landes überprüft werden und könnten dort durchaus anders aussehen“, sagt der Hamburger Altersforscher.
Eindeutig aber sei, dass die Studie Hinweise darauf gebe, dass auch Menschen mit einer Demenz, die eigentlich das Leben verkürzt, die Krankheit länger überleben. Dazu trage sicherlich eine bessere Versorgung und Betreuung der Kranken bei, sagt von Renteln-Kruse. „Ich bin überzeugt davon, dass dafür eine bewusste, gesündere Lebensweise eine Rolle spielt.“ Das gilt vor allem für die vaskuläre Demenz, die aufgrund von Durchblutungsstörungen im Gehirn entsteht und etwa 40 Prozent aller Demenzerkrankungen ausmacht. Für diese Form der Erkrankung gelten die bereits genannten Risikofaktoren für eine Arteriosklerose und damit auch für Herzinfarkt und Schlaganfall. „Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass eine gute Einstellung von erhöhtem Blutdruck dazu führt, das Risiko für eine vaskuläre Demenz zu reduzieren. Mit der Aufdeckung und Behandlung von Risikofaktoren für Herzinfarkt und Schlaganfall können wir mit hoher Wahrscheinlichkeit vaskuläre Demenzen verhindern“, sagt der Experte.
Günstig wirkt sich auch eine geistige Beschäftigung aus, weil dadurch im Gehirn Reserven eingeübt und geschaffen werden, die die durch Demenz bedingten Defizite länger kompensieren können. „Wichtig sind außerdem auch viel Bewegung, soziale Kontakte und gesunde Ernährung.“