Vorläufiger Bericht des Weltklimarats liefert neuen Diskussionsstoff zur Güte der Klimamodelle und zum Einfluss des Treibhauseffekts.
Hamburg. Nach dem Wärmerekordjahr 1998 haben sich die globalen Durchschnittstemperaturen auf hohem Niveau eingependelt - der Klimawandel hat eine Pause eingelegt. Das bestätigt der neueste Bericht des Weltklimarats IPCC. Der erste Teil zu den wissenschaftlichen Grundlagen soll zwar erst im September 2013 präsentiert werden, doch sickerte kürzlich ein Entwurf des Papiers ins Internet und sorgt nun für rege Diskussionen.
Der vorläufige Text zeigt sehr deutlich, dass der globale Temperaturanstieg nicht mit dem ungebrochenen Wachstum des CO2-Ausstoßes übereinstimmt. Das ist Wasser auf die Mühlen der Klimaskeptiker, die bestreiten, dass Treibhausgase, allen voran das Kohlendioxid (CO2), die Erde erwärmen und dies vielmehr dem Einfluss der Sonne zuschreiben. Auch geraten die Klimamodelle in die Kritik: Wie verlässlich sind Computerszenarien, die den CO2-Anstieg für die vergangenen 15 Jahren zwar richtig erfasst haben, bei der Temperaturentwicklung jedoch klar danebenliegen, da sie eine kontinuierliche Erwärmung errechnet hatten?
Zum Einfluss der Sonne: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschheit die Erderwärmung verursacht, stuft der Berichtsentwurf höher ein als der vorangegangene IPCC-Bericht aus dem Jahr 2007. Damals lag sie bei mindestens 90 Prozent, jetzt sind es 99 Prozent. Sehr wahrscheinlich (mindestens 90 Prozent) sei, so der aktuelle Textentwurf, dass natürliche Einflüsse nur einen geringen Beitrag zum Klimawandel leisten.
Zu den Computermodellen: Die von der tatsächlichen Temperaturentwicklung abweichenden Szenarien spiegelten die wohlbekannten Unsicherheiten der Modelle wider, sagt Prof. Jochem Marotzke, Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg. Marotzke ist einer der beiden leitenden Autoren des Kapitels "Bewertung von Klimamodellen" im neuen IPCC-Bericht. "Bei keinem der weltweit führenden Modelle lässt sich ein Temperaturanstieg ohne erhöhte CO2-Konzentrationen errechnen; nur mit ihnen ist die Erwärmung der vergangenen 50 Jahre zu erklären", sagt Marotzke. "Aber es gibt, etwa durch unterschiedliche Darstellungen der Wolken, eine große Bandbreite der Ergebnisse."
Als Beispiel nennt der Physiker eine Arbeit seiner Kollegen vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Sie gingen der Frage nach, wie viel Kohlendioxid die Menschheit noch ausstoßen kann, um die Erderwärmung bis Ende dieses Jahrhunderts unter zwei Grad zu halten. Die Ergebnisse liegen zwischen einer Gesamtemission von 350 Milliarden (Mrd.) Tonnen (t) Kohlenstoff (C) und 1000 Mrd. t C - das Hamburger Modell errechnete 500 Mrd. Die Abweichungen basieren vor allem auf zwei Grundeinstellungen der Modelle: Wie empfindlich reagieren sie auf eine CO2-Erhöhung, und wie effizient nimmt die in den Modellen abgebildete Pflanzenwelt das Klimagas auf? Marotzke: "Unserem Modell liegen eine mittlere Klimasensitivität und eine hohe CO2-Aufnahme durch die Pflanzen zugrunde."
Fieberkurve der Erde stagniert seit Jahrtausendwende
Unabhängig von Klimaszenarien bleibt die Tatsache, dass die Fieberkurve der Erde seit der Jahrtausendwende stagniert. "Wir haben ein Plateau auf sehr hohem Niveau erreicht. Solche Plateaus tauchen auch in unseren Modellen auf", sagt Marotzke. "In solchen Perioden wird die Wärme stärker vom tiefen Ozean aufgenommen. Wir können noch nicht erklären, warum dies so ist." Die Forscher haben den begründeten Verdacht, dass im südlichen Ozean Wärme von der Oberfläche in die Tiefe gelangt. Dadurch würde der Wärmegehalt der Meere allmählich ansteigen, ohne dass dies an der globalen Durchschnittstemperatur ablesbar wäre, denn gemessen wird nur an der Meeresoberfläche.
Dass die Erwärmung bereits ein für Ökosysteme kritisches Maß erreicht hat, zeigte sich 2012 sehr deutlich am arktischen Meereis. Es war so stark geschrumpft wie nie zuvor gemessen. Mitte September war die Eisfläche mit 3,41 Millionen Quadratkilometern 18 Prozent kleiner als der bisherige Minusrekord aus dem Jahr 2007. "Es wird immer klarer, dass das Eis auf die Erwärmung reagiert. Allerdings gibt es große, wetterbedingte Schwankungen", sagt Jochem Marotzke.
Aus Sicht des IPCC-Hauptautors kommt die Diskussion um den fünften IPCC-Bericht zur Unzeit: Das Werk sei noch unvollendet und gehöre in diesem Stadium noch nicht in die Öffentlichkeit. "Es ist so, als wenn man ein unfertiges Auto aus einer Fabrik klaut und sich anschließend beschwert, dass es nicht komplett ist." Bei einem solchen Mammutwerk, bei dem mehr als 800 Autoren wissenschaftliche Studien aus mehreren Jahren sammeln und auswerten, könne nicht alles beim ersten Anlauf richtig sein, deshalb seien die Korrekturrunden, in denen weitere Wissenschaftler die Ergebnisse überprüfen, so wichtig.
In der jüngsten Prüfrunde, die am 30. November abgeschlossen worden war, hat der IPCC 31.422 Kommentare von 800 Experten und 26 Regierungen eingesammelt. Zudem sollen noch Studien, die bis zum 15. März 2013 publiziert werden, in den Bericht einfließen. Anschließend stehen weitere Korrekturdurchläufe an. Marotzke: "Jeder, der sich über das Internet anmeldet und sich als Experte ausgibt, wird am Prüfungsprozess beteiligt. Er muss fünf eigene Veröffentlichungen benennen, die aber nicht vom IPCC bewertet werden. Wir verlassen uns darauf, dass die Angaben stimmen. Diese Offenheit macht uns verwundbar."