Schon heute entstehen hohe Kosten, wenn die Produktion nicht dem Bedarf entspricht. Ganz unabhängig von den erneuerbaren Energien.
Hamburg. Die erneuerbaren Energien stören die Stabilität der Stromnetze. Neue Puffersysteme sind nötig, die bei Flaute und Wolken fehlenden Wind- und Solarstrom ersetzen oder bei einem Überangebot schnell vom Netz genommen werden können. Während mit Bezug auf den Ökostrom oft die hohen Kosten für solche Puffer beklagt werden, bleibt ein anderer Faktor unbeachtet: Auch der heutige Strommarkt verursacht hohe Kosten für sogenannte Regelenergie. Sie ließen sich technisch vermeiden, sagt Hans Schäfers, Leiter der Forschungsprojekte Smart Power Hamburg und e-harbours an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW).
Die Tatsache, dass der Strommarkt bis vor Kurzem Käufe und Verkäufe im Stundentakt abwickelte, hat dazu geführt, dass zu jeder vollen Stunde das Netz sprunghaft be- oder entlastet wird - "um dies auszugleichen, muss teure Regelenergie eingesetzt werden", sagt Schäfers. Während beispielsweise in den frühen Morgenstunden der Bedarf nahezu linear steigt, werden Kraftwerksleistungen oft nur zur vollen Stunde zugeschaltet. Wie viel zusätzlicher Strom eingespeist wird, hängt vom für die Stunde prognostizierten Durchschnittsverbrauch ab. Das führt in der ersten Hälfte zu einem Überangebot, während in der zweiten Hälfte tendenziell zu wenig Energie bereitsteht. Schäfers: "Heute sind die Bedarfermittlung und der Stromhandel zwar viertelstündlich getaktet. Aber die Kraftwerke werden weiterhin vorwiegend im Stundenrhythmus gefahren."
Geraten Angebot und Nachfrage aus der Waage, so führt dies zu leicht schwankenden Frequenzen im Stromnetz. Das europäische Verbundnetz wird mit 50 Hertz (Hz) betrieben. Das heißt: 50-mal in der Sekunde wechselt die Spannung zwischen plus und minus 230 Volt hin und her. Speisen die Kraftwerke zwischen Portugal und Polen insgesamt mehr Strom ins Netz, als nachgefragt wird, erhöht sich die Frequenz in allen Ländern minimal. Umgekehrt sinkt sie unter 50 Hz, wenn der Bedarf das Angebot übersteigt.
Schon bei einer Abweichung von 0,02 Hz müssen die Netzbetreiber die Stromerzeugung drosseln oder zusätzliche Energie ins Netz einspeisen. Zunächst reagieren alle Kraftwerke automatisch. Sie messen kontinuierlich den Lastfluss und erhöhen oder senken ihre Leistung um wenige Prozent Richtung 50-Hz-Wert. Diese Soforthilfe währt 30 Sekunden. In dieser Zeit wird ermittelt, in welchem Netzabschnitt der Verbrauch von der Prognose abweicht. Sind die Verursacher der Instabilität gefunden, müssen sie nach der 30-sekündigen Karenzzeit das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage wiederherstellen. Das kann geschehen, in dem die Betreiber zum Beispiel mit einem Gaskraftwerk gegensteuern oder ein Pumpspeicherkraftwerk aktivieren.
Der Einsatz solcher Regelenergie verursacht höhere Kosten. Diese legen die Netzbetreiber auf die Stromkunden um. Ein Drittel der Kosten müssen größere Abnehmer zahlen, deren Stromverbrauch kontinuierlich zeitgenau festgehalten wird. So entstehen individuelle Lastprofile und Bedarfsprognosen. Bei abweichenden Verbräuchen gibt es Preisaufschläge. Zwei Drittel der Kosten haben pauschal die privaten Haushalte zu tragen.
Die automatische Umverteilung der Kosten auf die Kundschaft sei für die Kraftwerks- und Stromnetzbetreiber sehr komfortabel, urteilt Hans Schäfers. Deshalb bestünde wenig Druck, den Einsatz der Regelenergie zu minimieren. Dies könne theoretisch mit einer flexibleren Stromeinspeisung durch die Kraftwerke geschehen, so Schäfers. Doch hier dominieren die relativ trägen Kohlekraftwerke (Anteil am deutschen Strommix: 44 Prozent). "Kohlekraftwerke sollten möglichst kontinuierlich durchlaufen. Das Hoch- und Runterfahren erhöht die Wartungskosten, vor allem durch die dann auftretenden Temperaturschwankungen im Kessel. Die damit verbundenen thermischen Ausgleichsbewegungen des Materials bedeuten mehr Verschleiß."
Während der herkömmliche Ausgleichsbedarf kurzfristig ist, erstrecken sich bei den erneuerbaren Energien die Zeiträume, in denen Regelungsbedarf herrscht, oft über viele Stunden. Schäfers: "Die erneuerbaren Energien sind für einen störungsfreien Betrieb der Stromversorgung eine zunehmende Herausforderung. Schon heute ist davon auszugehen, dass in den nächsten zehn Jahren Situationen auftreten werden, in denen die Öko-Energien über mehrere Stunden 100 Prozent des deutschen Strombedarfs decken können, während an anderen Tagen, etwa bei winterlichem Hochdruckwetter mit Nebel, weder Sonnen- noch Windenergie verfügbar sind."
Deshalb müssen neue Lösungen her. Moderne, flexible Gaskraftwerke sind ein Ansatz, ein zweiter ist die Zwischenspeicherung von überschüssigem Strom. Da Strom nicht gelagert werden kann, muss ein Umweg über ein anderes Medium gegangen werden. Pumpspeicherkraftwerke nutzen Wasser; das neue Konzept "Power zu Gas" will mit Überschussstrom Wasserstoff und daraus Methan produzieren, das zum Beispiel im öffentlichen Gasnetz zwischengespeichert werden kann. Wenn Strommangel herrscht, kann ein Gas- oder ein Wasserkraftwerk die eingelagerte Energie wieder aktivieren.
Beim dritten Ansatz könnten zukünftig einzelne Verbraucher einen Beitrag zur Netzstabilität leisten: Sie sind an sogenannte intelligente Netze (Smart Grids) angeschlossen und können (verbilligten) Strom beziehen, wenn gerade Überfluss herrscht, oder aber bei hoher Nachfrage (und hohem Preis) vom Netz gehen. "Kühlhäuser können überschüssigen Strom nutzen, um ihre Temperatur weiter abzusenken, sie speichern die Energie dann als Kälte. Wenn Strom knapp wird, setzen sie die Kühlung aus", sagt Schäfers, der an der HAW zu intelligenten Netzen forscht. Ähnliches könnte für Belüftungsanlagen gelten, die bei hoher Stromnachfrage in Takten von einigen Sekunden vom Netz gehen, oder für Waschmaschinen, die bei günstigen Strompreisen anfangen zu rotieren.
Das heutige Geschäftsmodell der kontinuierlich durchlaufenden Grundlastkraftwerke, die einen Großteil des deutschen Strombedarfs decken, sei ein Auslaufmodell, prognostiziert Schäfers. Damit wandelt sich die Anforderung an die Energiepuffer: Es gilt zukünftig nicht mehr, die Schwerfälligkeit der Kraftwerke auszugleichen, sondern die Wechselhaftigkeit des Wetters.