Die ethische Motivation der Landwirte entscheidet über die ökologische Qualität der Betriebe. Bei einigen steht die Vermarktung im Vordergrund.
Hamburg. Glückliche Hühner, Schweine oder Rinder, die auf grünen Wiesen artgerecht nach Futter suchen - ein solches Bild der Landwirtschaft gehört längst der Vergangenheit an. Wenn überhaupt, dann erwarten Verbraucher eine solche Idylle vom Biobauern. Doch auch dort dominieren oft ökonomische Ziele. Die ARD-Reportage "Wie billig kann Bio sein?" zettelte nun mit drastischen Bildern von Mastschweinen ohne Auslauf und kahl gerupften Legehennen eine Diskussion an, die nach Expertenmeinung überfällig ist.
Augenscheinliche Auswüchse im Biobereich zeigten die Fernsehreporter mit einem Besuch der Agrar GmbH Pampow nahe der polnischen Grenze: Bilder von mit Kot beschmutzten Schweinen, die in Ställen vor sich hinvegetieren, schreckten die Zuschauer auf. Der Sauenhalter Reinhard Senckpiel ist beim Biopark-Verband zertifiziert.
Der Anbauverband sieht keinen Grund, dem Betrieb die Mitgliedschaft zu kündigen. Biopark-Geschäftsführerin Dr. Delia Micklich reiste einen Tag nach der Sendung und einige Wochen nach den Filmaufnahmen nach Pampow - und sah dort einen ganz anderen Betrieb: Die Schweine lagen auf Stroh und waren bei sonnigem Wetter im Freien unterwegs. Die gezeigten Aufnahmen aus dem Stall seien "entweder mindestens ein bis zwei Jahre alt oder gehören nicht zu diesem Betrieb", behauptet Micklich und spricht von einer "bösartigen Darstellung".
+++ Bio ist besser +++
+++ Die Haltungsformen +++
Unabhängig von dieser Stellungnahme gehört die Marke Biopark nach Expertenmeinung nicht gerade zu den Vorbildern des Ökolandbaus. "Der Verband ist nur an der Vermarktung interessiert. Er ist nicht gesprächsbereit, wenn es um die Umsetzung von Forschungsergebnissen geht, um den ökologischen Landbau weiter voranzubringen", sagt Prof. Gerold Rahmann, Leiter des von-Thünen-Instituts für ökologischen Landbau in Trenthorst bei Lübeck.
Mit dem Einstieg von Supermarktketten und Discountern hat sich offenbar eine Zweiklassengesellschaft gebildet: Da sind zum einen alteingesessene Biobetriebe, die etwa in den Anbauverbänden Bioland, Demeter oder Naturland organisiert sind, zum anderen Betriebe, die - von außen nicht erkennbar - nach der EU-Öko-Verordnung produzieren. Diese stellt schwächere Anforderungen an die Umwelt- und Tierverträglichkeit der Produktion als die Anbauverbände.
"Man kann sich nach den EU-Regeln zertifizieren lassen und dennoch aus meiner Sicht nicht ökologisch produzieren", sagt Rahmann. "In den Richtlinien steht, dass Tiere artgerecht zu halten sind. Doch die Bandbreite, was darunter zu verstehen ist, ist groß. Es steht dort beispielsweise nicht, dass alle Hühner alle Federn haben müssen."
Die Bio-Anbauverbände riskierten durch schwarze Schafe in ihren Reihen einen Imageverlust, so Rahmann. Sie werden deshalb Mitglieder ausschließen, bei denen Tiere nicht ordentlich gehalten werden. Dieses Risiko haben die EU-Betriebe nicht. Sie verlieren allerdings ihre Zertifizierung, wenn sie die gesetzlichen Standards (s. Beitext) nicht erreichen.
Gerade bei der Legehennenhaltung sieht Rahmann Herausforderungen: Auch in den Bioställen stünden Hybridrassen, die durch die angezüchtete Höchstleistung ausgelaugt werden - das Thema gäre seit 15 Jahren. Weltweit gebe es nur zwei, drei Züchter, die die Genetik der Legehennen weiterentwickeln. Und das eher Richtung Käfig- und nicht zur Freilandhaltung.
Hühner, die zum Biolandbau passen, finden sich am ehesten unter den alten Rassen oder durch Kreuzungen solcher Rassen. Forscher arbeiten an einem sogenannten Zweinutzungshuhn, einer Rasse, die so viel Fleisch liefert, dass es sich lohnt, auch die männlichen Küken großzuziehen. Da diese keine Eier legen, werden männliche Nachkommen der heutigen Hochleistungstypen gleich nach dem Schlüpfen getötet, auch im Biobereich.
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Das Betriebsmanagement entscheide über eine gute oder weniger gute Tierhaltung, so Rahmann. Er sieht generell Defizite im Kontrollsystem: Zwar werde im Ökolandbau jedes Jahr jeder Betrieb mindestens einmal kontrolliert (im konventionellen Bereich seien es unter zwei Prozent der Betriebe), doch konkurrierten bundesweit 21 Kontrollstellen um 22 000 Biobetriebe. Rahmann: "Mancher Kontrolleur sagt sich: Je weniger ich sehe und je preiswerter ich bin, desto eher beauftragt mich der Landwirt."
Dennoch gebe es "tolle Betriebe", betont Rahmann, "für 90 Prozent würde ich meine Hand ins Feuer legen". Er rät den Verbrauchern, möglichst regional zu kaufen: "Wenn Sie von Höfen im Umkreis von 100 Kilometern einkaufen, können Sie dort hinfahren und sich selbst von der artgerechten Tierhaltung überzeugen. Oder Sie kennen jemand, der für Sie dort einmal vorbeischaut. Kaufen Sie auf dem Wochenmarkt oder im Bioladen, denn dort kennen die Verkäufer meist die Betriebe, von denen sie ihre Ware beziehen."
Supermärkte und Discounter brauchen große Warenmengen zu festen Lieferterminen. Das können vor allem größere Betriebe garantieren. Prof. Jürgen Heß, Leiter des Fachgebiets Ökologischer Land- und Pflanzenbau der Universität Kassel, warnt allerdings davor, von der Größe eines Betriebes auf dessen ökologische Ambitionen zu schließen: "Nicht die Strukturen sind entscheidend, sondern die Motivation des einzelnen Landwirts: Will er ethisch verantwortlich wirtschaften oder steht allein die Gewinnmaximierung im Vordergrund?" Bei zunehmender Größe könne sich allerdings das Interesse verstärken, die Biorichtlinie auszureizen, schränkt Heß ein.
+++ Bio-Lebensmittel: nur ein bisschen gesünder? +++
"Bioprodukte sind für wenig Geld nicht zu haben", betont Prof. Fritz Titgemeyer von der Fachhochschule Münster. Er untersuchte für das ARD-Team 30 Gemüseproben aus dem ökologischen Anbau auf Darmbakterien, die gegen mehrere Antibiotika resistent sind - und wurde in 14 Fällen fündig. "Es gibt bislang nur sehr wenige Untersuchungen von Lebensmitteln auf solche Keime. Jedoch sollten konventionelle Produkte genauso betroffen sein", urteilt Titgemeyer. Es bestehe der Verdacht, dass die Verbreitung der multiresistenten Keime mit dem massiven Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung zusammenhängt, sagt der Mikrobiologe. Dafür sprächen Untersuchungen nach Bakterien vom Typ MRSA (multiresistente Hautkeime). Titgemeyer: "Der Anteil der Tiere, die in konventionellen Betrieben multiresistente Keime tragen, ist sehr hoch. Bei Ökobetrieben ist er sehr niedrig."
Auch bei der Analyse nach Pestizid-Rückständen schneiden Bioprodukte besser ab. Das heißt jedoch noch nicht, dass sie gesünder sind - schließlich hält auch konventionelle Ware in der Regel die gesetzlichen Rückstandsgrenzwerte ein, die gesundheitliche Risiken ausschließen sollen. Bei den Nährstoffgehalten ist konventionelle und Bioware ungefähr gleichwertig. Das zeigte jetzt eine Auswertung von 300 Studien der Universität Stanford (Kalifornien).
Auch bei den Transportwegen nähert sich der Bio- an den konventionellen Markt an - wie ökologisch sind Bio-Frühkartoffeln, die unter hohem Trinkwasserverbrauch in Ägypten heranwuchsen? Im Frühjahr listen manche Supermärkte und Discounter deutsche Lagerware aus und geben den weit gereisten Frühkartoffeln den Vorzug.
Im Niltal gebe es sehr wohl einen ökologischen Kartoffelanbau, so Heß. Dennoch bleibe der Import von Produkten, die auch in Deutschland wachsen, kritikwürdig. Heß: "Die EU-Verordnung regelt nur den Pflanzenanbau und die Tierhaltung, betrachtet aber nicht die ökologischen Nebenwirkungen wie Transportwege oder eine nicht nachhaltige Wassernutzung. Dieses Fass will man noch nicht aufmachen, denn dann müsste man fast unendlich viele zusätzliche Kriterien betrachten."