Wie viel Nachtruhe wir brauchen, ist auch in unserem Erbgut programmiert. Und wer lange schlummert, beugt damit Krankheiten vor.
München. Sieben Stunden und 14 Minuten - so lange schläft der erwachsene Bundesbürger pro Tag. Allerdings nur im Durchschnitt. Denn etwa 20 Prozent schlafen gerne länger, oder sie würden es zumindest tun, wenn man sie denn ließe. Das Morgenmuffeldasein wird gerne als Zeichen von Willens- und Charakterschwäche interpretiert. Was es aber, wie jüngere Studien belegen, wohl gar nicht ist. Denn über unser Schlafbedürfnis entscheiden auch unsere Gene.
"Vermutlich sind es mehr als ein halbes Dutzend", schätzt der englische Schlafmediziner Neil Stanley. Eins davon hat nun ein internationales Forscherteam aufgespürt, an dem Karla Allebrandt und Till Roenneberg von der Ludwig-Maximilian-Universität in München beteiligt waren. Sie haben eine "genomweite Assoziationsstudie" durchgeführt. Dazu wurden mehr als 4000 Menschen aus sieben europäischen Ländern nach ihren Schlafgewohnheiten befragt und ihr Erbgut auf ein Gen namens ABCC9 untersucht. Es enthält den Bauplan eines Proteins, das als Sensor für die innerzelluläre Energiegewinnung fungiert. Liegt es in einer bestimmten Variante vor, wird dem Gehirn hoher Erholungsbedarf signalisiert - und das sollte, so die Theorie, einen besonders langen Schlaf einleiten.
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Der Vergleich von Schlafgewohnheiten und Gentest bestätigte dieses Modell: Probanden mit dem besonders energiesensiblen ABCC9-Typ schliefen ungefähr 30 Minuten länger als andere. Um das Gen aber wirklich als Ursache für die längere Schlafdauer dingfest machen zu können, führte man noch einen Versuch durch, in dem man es bei Fruchtfliegen ausschaltete. Mit dem Ergebnis, dass die Insekten deutlich kürzer schlummerten als sonst. Damit kann man ABCC9, wenn es in einer bestimmten Variante vorliegt, getrost als Langschläfergen bezeichnen.
US-Forscher fanden vor drei Jahren eine Genvariante, die offenbar das Nachtruhebedürfnis schrumpfen lässt. Zwei Frauen, deren Erbgut damit ausgestattet war, wachten regelmäßig nach sechs Stunden Kurzschlaf um vier Uhr morgens auf, während der Rest ihrer Familie acht Stunden schlief. Als man das betreffende Genprotein hDEC2-P385R bei Mäusen einschleuste, schliefen sie etwa anderthalb Stunden weniger als ihre unbehandelten Artgenossen. Die Forscher hatten also ein Kurzschläfergen gefunden.
Prinzipiell sollte es also möglich sein, das individuelle Schlafbedürfnis durch Genmanipulation zu verändern. Doch der individuelle Schlafbedarf ist Teil unserer Persönlichkeit, wer an ihm herumdreht, dreht vermutlich auch am Charakter und dem intellektuellen Leistungsvermögen.
Trotzdem kann es in einigen Fällen ratsam sein, das nächtliche Ruhebedürfnis zu verändern. So betont Schlafforscherin Allebrandt, dass das Gen ABCC9 "besonders spannende" Nebenrollen spielt, etwa bei Herzleiden und Diabetes. Von Säugetieren weiß man schon länger, dass es in diversen Geweben aktiv ist, vom Hirn über die Herz- und Skelettmuskeln bis zur Bauchspeicheldrüse. All dies könnte bedeuten, dass Schlafdauer und schwere Erkrankungen auf molekularer Ebene eng miteinander verbunden sind - und dann wäre es doch sinnvoll, aus dem Kurz- einen Langschläfer zu machen. In letzter Zeit häufen sich Hinweise darauf, dass Schlafdauer und Fettleibigkeit miteinander verflochten sind.
Im Frühjahr 2011 titelte das Deutsche Ärzteblatt: "Schlafmangel macht Kinder dick" und berichtete über eine neuseeländische Studie, die Schlafverhalten und Gewichtsentwicklung von 244 Kindern erfasst hatte. Es zeigte sich: Jede zusätzliche Stunde Schlaf am Tag senkt das Körpergewicht um ein Kilogramm und das Risiko für ein gesundheitsgefährdendes Übergewicht um 61 Prozent. Wer also ein halbwegs schlankes Kind haben will, sollte es, rät Studienleiter Rachael Taylor von der Otago-University, früh ins Bett schicken.
Dabei klingt es auf den ersten Blick zunächst unlogisch, dass ein Schlafdefizit zum Übergewicht beiträgt. Denn wer schläft, bewegt sich wenig bis gar nicht, sodass sein Kalorienverbrauch deutlich geringer ist als im Wachzustand. Doch das sei, wie Taylor betont, nur die eine Seite der Medaille. Die andere sei, "dass müde und unausgeschlafene Menschen am Tage mehr Appetit und weniger Lust auf Bewegung verspüren".
Auch der Typ-2-Diabetes zeigt Zusammenhänge mit einem Schlafdefizit: Wer im Durchschnitt weniger als sechs Stunden schläft, hat ein fast fünffach höheres Risiko für erhöhte Blutzuckerwerte als jemand, der sechs bis acht Stunden pro Nacht ruht. Und auch hier stecken wohl die Gene dahinter.
Ein internationales Wissenschaftlerteam identifizierte ein Gen namens MTNR1B, das über seinen Einfluss auf den Melatoninspiegel die Insulinausschüttung steuert. Dies deutet auf einen Zusammenhang zwischen Schlaf-Wach-Rhythmus und Blutzuckerspiegel. Denn das Schlafhormon Melatonin wird nachts verstärkt ausgeschüttet, während der Blutzuckerregulator Insulin vor allem tagsüber zum Einsatz kommt. Weitere Studien müssen klären, wie Melatonin auf den Insulinspiegel wirkt und ob man über einen Eingriff an ihrem "Verbindungsgen" MTNR1B therapeutischen Einfluss nehmen kann.
In jedem Fall gehören Schlafgene zu den perspektivreichen Zielen der künftigen Forschung. Überschätzen sollte man sie aber nicht. Denn selbst wenn es gelingen sollte, genetisch aus übergewichtigen und Diabetes-gefährdeten Kurzschläfern gesunde Langschläfer zu machen, liegt es an jedem persönlich, ob er diese neuen Vorgaben nutzt oder die Nächte an seinem PC-Monitor durchwacht. "Die Gene für unseren Schlaf sind interessant", resümiert Schlafforscher Stanley, "doch sie sind ohne Bedeutung, solange wir ihnen nicht gehorchen."