Spiele-Apps für Smartphones erobern den Markt. Währenddessen entwickeln die etablierten Hersteller Konsolen, die das Internet besser nutzen.
Hamburg. Vögel, die sich per Katapult auf eine Horde Schweine schleudern, um die Eier zurückzuholen, die ihnen die Schweine geklaut haben - das mag als Idee für ein Computerspiel verrückt anmuten. Aber wahrscheinlich ist eben dies das Erfolgsgeheimnis von "Angry Birds", das weltweit schon 250 Millionen Menschen auf ihr Handy geladen haben. Die "zornigen Vögel" sind das Vorzeigemodell für eine neue Generation von digitalen Spielen, die in erster Linie als Apps vermarktet werden, die auf Smartphones wie Apples iPhone oder auf Tablet-Computern laufen.
Rückblickend hat sich eine erstaunliche Evolution vollzogen: Wer sich mit dem Spielebrett nicht mehr begnügen wollte, konnte in den Achtzigerjahren erstmals auf Computern wie dem legendären C64 daddeln. Ab den Neunzigern wurden dann Konsolen wie Sonys Playstation und Nintendos Gameboy immer populärer, die sich millionenfach verkauften und bis heute um etliche Ausstattungsdetails erweitert wurden.
Die Spiele-Apps sorgen nun für einen neuen Hype - und setzen die Hersteller der etablierten Konsolen zunehmend unter Druck. Denn die meisten Spiele für die gängigen Smartphones, die sich in Apples App Store und im Android Market tummeln, kosten keinen müden Cent, und die kostenpflichtigen sind oft für weniger als einen Euro zu haben. Nintendo-Chef Satoru Iwata griff auf der diesjährigen Games Developer Conference Apple und Google scharf an, allerdings ohne die Konzerne direkt beim Namen zu nennen. "Der Wert von Spielen interessiert sie nicht", schimpfte Iwata. "Tatsache ist, dass wir diesen Wert herstellen, und diesen sollten wir auch bewahren."
Wie schwer die Billig-Games den japanischen Erfindern des legendären Gameboy das Leben machen, legt die ab heute greifende Preissenkung für Nintendos 3-D-Konsole 3DS nahe. Zwar wurden bis Ende April bereits 3,61 Millionen Geräte verkauft. Hersteller und Analysten hatten jedoch mit deutlich mehr gerechnet. Während der offizielle Preis derzeit noch bei 250 Euro liegt, kann man die 3DS auf Amazon bereits für rund 170 Euro vorbestellen - gerade einmal vier Monate nach dem Verkaufsstart des technisch innovativen Geräts. Für einige Entwickler von Spielen für Smartphones und Tablet-PCs geht es dagegen steil bergauf, obwohl sie ihre Apps so extrem günstig verkaufen. So vermeldete etwa Gameloft, der weltgrößte Herausgeber von Videospielen für Mobilgeräte, zweistellige Zuwachsraten. Im ersten Halbjahr 2011 erzielten die Franzosen einen Umsatz von 76,8 Millionen Euro - 15 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Womöglich werden Apps den Spielemarkt schon bald dominieren, wobei Apple eine Schlüsselrolle zukommt, glauben einige Experten. "Vorausgesetzt, das Wachstum geht in dieser Form weiter, dann ist die Chance sehr groß, dass Apple selbst die Spiele-Industrie wird", sagte etwa Phil Harrison, einst zweitmächtigster Mann beim Playstation-Hersteller Sony, in einem Interview mit dem Magazin "Edge". Das sich rasant verbreitende iPad, so Harrison, werde schon jetzt von seinen Besitzern bevorzugt zum Spielen genutzt. Darin zeige sich ein starker Trend.
Die Einschätzung deckt sich mit aktuellen Marktanalysen. So spielen laut Parks Associate bereits zwei Drittel der Smartphonenutzer in den USA auf ihren mobilen Begleitern. Dank leistungsfähiger Hardware würden die Spiele immer attraktiver. Im Gegensatz zu anderen Experten sind die Analysten des Marktforschungsunternehmens allerdings nicht der Meinung, dass der Boom der Spiele-Apps den etablierten Konsolen schadet. "In Wirklichkeit haben mobile Spiele den Markt vergrößert und erreichen völlig neue Käuferschichten", sagt Parks-Analyst Pietro Macchiarella.
Auch Winnie Forster, Hardware-Experte und Chef des Fachverlags Gameplan, sieht die aktuelle Situation positiv: "Noch nie zuvor haben so viele Menschen aller Altersstufen gespielt." Die Zukunft der klassischen Konsolen sieht auch Forster nicht gefährdet. Apple sei nur "ein weiterer Mitbewerber, den anfangs niemand auf der Rechnung hatte und der einen bis dahin weitgehend ungenutzten Vertriebskanal zu seinem Vorteil ausreizt". Während andere nach wie vor auf physische Datenträger wie DVD oder Softwaremodule setzten, habe Apple erstmals Geräte geschaffen, die allein auf Download-Inhalte basieren. "Die Konkurrenz wird sich damit auseinandersetzen müssen und überlegen, wie sie darauf reagiert."
Sony hat die Zeichen der Zeit offenbar schon erkannt. Bei seiner neuen Playstation Vita setzt das Unternehmen im Gegensatz zu den vorigen Modellen der Konsole nicht mehr Module, sondern auf Flash-Speicherkarten als Träger für die Spiele. So können Nutzer die Inhalte, die sie mit ihrem Smartphone aus dem Internet geladen haben, schnell und einfach auf die stationäre Konsole übertragen. Außerdem haben sie über die interaktive "LiveArea" Zugriff auf Apps, Zusatzinhalte und Spiele aus dem Playstation-Angebot. Alternativ können die Nutzer auch nur über die Playstation zugreifen, weil die gekauften Inhalte auf den Sony-Servern zwischengespeichert werden. So gesehen beherrscht Vita also auch das Cloud Computing.
Gleichzeitig setzt der Konzern auf eine Hardware, die so ziemlich alles bietet, was derzeit technisch möglich ist, etwa zwei Kameras, zwei Touchscreens, einen GPS-Sensor und Sensoren, die jede Bewegung des Nutzers in die Spielewelt übertragen. Gegen Aufpreis gibt es sogar ein 3G-Modul für mobile Verbindungen ins Internet.
Entgegen anderslautenden Meldungen wird der Nachfolger der Playstation Vita in Europa und den USA erst Anfang kommenden Jahres erscheinen. Ob die Japaner damit angesichts der derzeit recht ungemütlichen Marktsituation an frühere Erfolge anknüpfen können, wird sich dann erweisen.