Die gutbürgerliche deutsche Küche sollte den Franzosen Konkurrenz machen
Hamburg. Sie lassen sich nicht genau beziffern und sind oft vielfältiger als die Kontinente, denen sie entstammen: Länderküchen haben eine lange Tradition und unterliegen bis heute verschiedenen Strömungen und Entwicklungen. Als Produkt der Nationalstaatenbildung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die nationalen Küchen ursprünglich als Element der Abgrenzung und Identitätsstiftung verstanden. Sie dienten dazu, Regionalküchen zu vereinheitlichen und zu einer charakteristischen Einheit zu formieren. "Man ist, was man isst", wusste schon damals der deutsche Philosoph Ludwig Feuerbach. "Beispiele für den Versuch, sich mithilfe einer eigenen Länderküche als Nation zu behaupten, gibt es dementsprechend viele", sagt Dr. Maren Möhring, Historikerin an der Universität Köln.
So entwickelte sich die deutsche Nationalküche beispielsweise vor dem Hintergrund der traditionellen Fehde zwischen Deutschland und Frankreich. "Die Deutschen wollten im 19. Jahrhundert die Dominanz der französischen Küche nicht länger akzeptieren und bezeichneten sie als gekünstelt, dekadent und übertrieben", erklärt Möhring. Die deutsche Küche sei dagegen aufgewertet worden. Man hob hervor, dass sie besonders bodenständig, einfach und natürlich sei. "Attribute, die sich für die 'gutbürgerliche' deutsche Küche bis heute erhalten haben", sagt Möhring.
Die Frage nach dem Nährwert einer Länderküche stellte sich lange Zeit überhaupt nicht. Denn ein wirkliches Gesundheitsbewusstsein entstand erst mit der Etablierung der modernen Ernährungswissenschaft im späten 19. Jahrhundert. In den 1950er-Jahren entdeckten Forscher erstmals die Vorzüge bestimmter Nationalküchen. In Deutschland etablierte sich ein gesteigertes Ernährungsbewusstsein flächendeckend sogar erst in den 1960er- und 1970er-Jahren. Hier machte die Italien-Reisewelle zu Beginn des Wirtschaftswunders zunächst Pizza und Pasta salonfähig. Ein paar Jahrzehnte später wurde die asiatische Küche zum Ernährungs-Highlight. Und nun geht der Trend in Deutschland und vielen anderen Ländern nach der Einschätzung von Ernährungsexperten wieder in Richtung Bio, Nachhaltigkeit und regionale Küche.
Global betrachtet gibt es weiterhin Anzeichen für eine Internationalisierung der Küchen. "Untersuchungen haben gezeigt, dass in Asien immer mehr Fleisch konsumiert wird und die Anzahl der übergewichtigen Menschen steigt. Eine Entwicklung, die auf das Vorbild westlicher Industrieländer - vor allem der USA - zurückzuführen ist", sagt Prof. Kirsten Schlegel-Matthies aus Paderborn.
Ob ein solcher Trend die jeweilige Ernährungstradition der Chinesen oder Japaner verdrängen wird, ist fraglich. "Esskulturen unterliegen zwar Einflüssen, verändern lassen sie sich jedoch nur langsam", sagt Schlegel-Matthies. Ein Verdrängen der Nationalküchen scheint insofern unwahrscheinlich. Auch deshalb, weil sich das Geschmacksempfinden nicht einfach so verändern lässt. "Menschen haben zwar die Neigung zu Süßem, weil bereits die Muttermilch süß ist, und Bitteres signalisiert Gefahr, da entsprechende Substanzen dem Körper meist nicht guttun. Aber alles, was darüber hinausgeht, ist erlernt", sagt Ernährungswissenschaftlerin Prof. Christine Brombach. Ob wir Scharfes bevorzugen oder aber Herzhaftes, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass wir bereits in unseren Kindertagen bestimmten Geschmäckern und Speisen ausgesetzt wurden. "Wir wissen aus Studien, dass wir nicht essen, weil es uns schmeckt. Nein, es ist umgekehrt: Etwas schmeckt uns, weil wir es essen", sagt Brombach.
Solange Fast Food nicht zur alltäglichen Mahlzeit wird und Geschmack und Gewohnheit zusammenhängen, wird sie uns wohl erspart bleiben: die Vermengung der Landesküchen in eine einzige große Esskultur.