Was den Austausch von 59 Nobelpreisträgern mit 650 Jungforschern so speziell macht

Lindau. "Es ist einfach ein Traum. Man kennt die meisten dieser Titanen aus Schulbüchern oder Vorlesungen. Man hat eine Idee, wie sie als Menschen vielleicht sind, und hier trifft man sie, die Physiker, Chemiker, Biologen oder Mediziner, die so viel bewegt haben. Wir erleben, wie groß die Welt des Wissens ist, was wir alles noch entdecken können. Das ist ein Highlight im Leben eines jeden jungen Wissenschaftlers", schwärmt Manuel Schottdorf. Seine Augen leuchten. Der Physiker aus Würzburg ist einer von 650 jungen Forschern weltweit, die ausgewählt wurden, an der 60. Tagung der Nobelpreisträger in Lindau am Bodensee teilzunehmen und mit 59 Nobelpreisträgern aus Europa, Japan, Taiwan, Israel und den USA zu sprechen. Bis zum 2. Juli diskutieren Wissenschaftler aus insgesamt 70 Ländern über Wissenschaft und Gesellschaft - damit sind auf diesem Treffen doppelt so viele Nationen vertreten wie bei der Fußball-Weltmeisterschaft. Weltumspannende Dialoge werden so begonnen.

Das Treffen dient auch dem Austausch der Kulturen

Sie freue sich darauf, viele Menschen zu treffen, mit denen sie sich über die Grenzen ihrer Disziplin hinweg austauschen könne, sagt die Physikerin Els Heinsalu aus Estland, die gegenwärtig in Spanien forscht. Das Treffen sei eine riesige Chance, um Menschen aus anderen Kulturen kennenzulernen und zu erfahren, wie Wissenschaft in den Kulturkreisen läuft, ergänzt Martine Philipp aus Luxemburg, die gerade mit einem Jordanier über Arbeitsbedingungen für den Nachwuchs debattiert.

Begeistert erzählt die Ägypterin Rasha Hassahein, die in Bremen studiert, dass sie Frauen aus anderen arabischen Ländern getroffen habe. Die teilweise verschleierten Forscherinnen haben sie in ihrer Überzeugung bestärkt, dass sich in den Ländern etwas ändert. "Dass wir Nobelpreisträger treffen, stärkt unser Selbstbewusstsein, auch als Frauen in die Wissenschaft zu gehen", sagt sie. Lindau prägt Karrieren. Das gilt seit 60 Jahren.

"Dieses Treffen, an dem ich erstmals 1971 teilgenommen habe, hat mein Leben enorm mitbestimmt", betont Prof. Ernst Rietschel, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft. Damals habe er sein großes Idol Linus Pauling in Lindau getroffen. Pauling war Nobelpreisträger der Chemie (1954) und erhielt zudem den Friedensnobelpreis (1962). "Seine Vorträge und die Gespräche während der Tagung - die Amerikaner waren damals schon viel ungezwungener im Umgang mit dem Nachwuchs als deutsche Professoren - haben mich bestärkt, meinen wissenschaftlichen Interessen zu folgen."

Für ihn als 21 Jahre alten Diplomanden war es vor knapp 50 Jahren "eine einmalige Chance, die Großen meines Faches zu treffen, ihnen zuzuhören, mit ihnen zu reden, sie auch zwanglos zu erleben", erinnert sich Prof. Joachim Treusch, Präsident der Jacobs-Universität Bremen. Kein Wunder also, dass Prof. Rolf-Dieter Heuer, Chef des Europäischen Forschungszentrums Cern in Genf, bedauert, dass er als Student nicht die Chance hatte, in Lindau zu sein. "Es muss faszinierend sein, mit diesen Giganten der Wissenschaft in völlig entspannter Atmosphäre zusammen sein zu können."

Selbst wenn im Zentrum des Lindauer Treffens nicht die neuesten Forschungsergebnisse, die Jagd nach wissenschaftlichen Sensationen steht, kommt die Wissenschaft natürlich nicht zu kurz, wie ein Blick in das prall gefüllte Programm lehrt. Fast 60 Vorträge von Nobelpreisträgern über Kosmologie, künstliches Leben, Krebs, Evolution, Cholesterin, Laserphysik, Augenerkrankungen, Nervensystem oder Dunkle Materie und fast ebenso viele Diskussionen in kleinen Gruppen mit dem hochbegabten Nachwuchs stehen auf dem Programm.

Wissenschaftliche Erfahrungen aus 700 Sichtweisen

Die Gespräche bereichern nicht nur die jungen Gäste. Auch die Nobelpreisträger genießen es, wie Prof. Theodor Hänsch (Physik, 2005) versichert. "Ich unterhalte mich gern mit Studierenden, weil immer neue Gesichtspunkte auftauchen, und das ist interessant", betont Prof. Harald zur Hausen (Medizin, 2008). Man sei in seiner Arbeit doch so oft auf sein Spezialgebiet fixiert, so Prof. Aaron Ciechanover (Chemie, 2004), da sei Lindau eine Frischzellenkur: "Wir treffen hier auf die Welt des Wissens. Und auch wenn wir nichts Neues austauschen, tauchen in den Gesprächen plötzlich völlig neue Gedanken auf, denn hier hat jeder die Möglichkeit, wissenschaftliche Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Blickwinkel von 70 Kulturen und 700 Sichtweisen zu erleben. Lindau ist ein unglaublicher Schmelztiegel des Wissens. Ich lerne immer noch."

Das können auch alle, die nicht persönlich am Treffen in Lindau teilnehmen können. Erstmalig gibt es Blogs mit Nobelpreisträgern, und die vier Podiumsdiskussionen werden live im Internet übertragen. Der Lindauer Dialog wird offiziell am 2. Juli mit einer Podiumsdiskussion über Energie und Nachhaltigkeit auf der Insel Mainau beendet sein. Doch das weltumspannende Netzwerk, das alle Kontinente umfasst, wird aktiv bleiben. Lindau ist eben ein Marktplatz für die Zukunft.