Wissenschaftler der Uni Hamburg errechnen an Modellen, wie Naturschutz und Landwirtschaft miteinander in Einklang zu bringen sind
Fast 40 Prozent der weltweiten Landoberfläche werden derzeit für Ackerbau und Viehzucht genutzt. Unser Bedarf an Nahrung wirkt sich damit spürbar auf Klima und Ökosysteme aus. Denn es gehen Wälder verloren, die große Mengen des Treibhausgases CO2 binden. Gleichzeitig schwindet der Lebensraum für Tiere und Pflanzen, sodass immer mehr Arten vom Aussterben bedroht sind. Wie lassen sich Konflikte zwischen Landnutzung und Artenschutz reduzieren? Am KlimaCampus entwickeln meine Kollegen und ich mathematische Modelle, die Wechselwirkungen von Nahrungsmittelproduktion und Naturschutz analysieren. Daraus können wir Empfehlungen für die Politik ableiten, wie sich wirtschaftliche und ökologische Interessen bestmöglich in Einklang bringen lassen.
Mit unserem Habitat-Modell untersuchen wir zum Beispiel geschützte Feuchtgebiete in Europa. Dabei spielen Kosten-Nutzen-Bilanzen eine wichtige Rolle. Denn um Lebensräume für Pflanzen und Tiere zu erhalten, müssen diese gepflegt und überwacht werden. Das kostet Geld. Gleichzeitig entstehen Kosten, um Landwirte zu entschädigen, die auf Nutzfläche verzichten müssen. Wie viel Geld für Naturschutz und Ausgleichszahlungen bereitgestellt wird, hängt von den politischen Rahmenbedingungen in der EU ab. Der Wert der Schutzgebiete wird daran gemessen, wie viele Arten geschützt werden und wie stark diese bedroht sind.
Es sind also viele Faktoren zu berücksichtigen, um ökonomisch wie auch ökologisch sinnvolle Entscheidungen zu treffen und die wertvollsten Feuchtgebiete zu erhalten. Entsprechend komplex ist unser Ansatz: Ein geografisches Modell liefert uns Standortdaten der Feuchtgebiete, die wir in 2725 räumliche Zellen eingeteilt haben. Mithilfe der Populationsbiologie haben wir für 72 Tierarten die Anforderungen an ihren jeweiligen Lebensraum bestimmt, um diese mit den Zellen abzugleichen. Zudem fließen Daten über Nutzung und landwirtschaftliche Erträge der Flächen sowie Nachfrage und Preise in die Berechnungen ein. All dies verknüpfen wir in unserem Modell, sodass wir für die ausgewählten Tierarten die kostengünstigste Verteilung von Schutzgebieten errechnen können.
Unsere Rechner bearbeiten dafür knapp 150 000 mathematische Gleichungen mit fast 235 000 Variablen. Zu berücksichtigen ist auch, dass sich Feuchtgebiete durch den Klimawandel verschieben. In den nächsten 20 Jahren wird sich dies noch nicht deutlich abzeichnen. Langfristig werden die Änderungen in einigen Regionen aber stark ausgeprägt sein. Verliert ein geschütztes Gebiet dadurch seinen Schutzcharakter, ist es vielleicht sinnvoller, ein anderes stabileres Gebiet zu fördern.
Unsere Forschung zeigt: Wird der Schutz von Feuchtgebieten europaweit abgestimmt, können bis zu 30 Prozent mehr Landfläche genutzt werden, ohne die ausgewählten Tierarten zu gefährden. So kann ein wirksames Netz von Schutzgebieten zu minimalen Kosten verwirklicht werden.