Genf. Künstliche Intelligenz könnte die Welt vielleicht besser machen: Auf einer Messe der Vereinten Nationen in Genf zeigen Entwicklerinnen und Entwickler jedenfalls das Potenzial neuer Technologien.
Ganz schön selbstbewusst, die Grande Dame der menschenähnlichen Roboter: „Nadine“ sagt auf die Frage, ob sie intelligenter sei als der Mensch, mit Augenaufschlag: „Ich bin in vieler Hinsicht intelligenter als der Mensch, weil ich so viele Daten verarbeiten kann.“ „Nadine“ ist bereits zehn Jahre alt und damit in der schnelllebigen Zeit der Robotik mindestens Urgroßmutter. Die explosionsartige Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI) haucht ihr aber immer wieder neue Leben ein.
KI ist spätestens seit dem Freischalten des Textroboters ChatGPT in aller Munde. Gemeint sind meist Anwendungen auf der Basis maschinellen Lernens, bei denen eine Software große Datenmengen analysiert und daraus Schlussfolgerungen zieht. So kann ChatGPT auf jede Frage eine meist verblüffend korrekte Antwort geben. Oft geht es bei KI-Diskussionen um Ängste, etwa vor Jobverlusten oder einer Übermacht der Maschinen. Dass die neuen Technologien die Welt auch verbessern können, will eine Messe in Genf zeigen: „Künstliche Intelligenz für gute Zwecke“ (AI for Good) bringt UN-Organisationen mit Entwicklern und Entwicklerinnen zusammen. Die erste Messe fand 2017 statt.
Unter anderem geht es darum, wie Künstliche Intelligenz (KI) die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDG) voranbringen kann. Dazu gehören etwa: bis 2030 Armut und Hunger weltweit beenden, sicherzustellen, dass alle Erdenbürger sauberes Trinkwasser haben und jeder eine faire Chance auf Bildung und ein gesundes Leben hat. Allerdings haben Kriege, Klimawandel und Corona die Welt um Jahre zurückgeworfen. „KI gepaart mit Robotern kann nachhaltige Entwicklung wie ein Turbo befeuern,“ schreibt der Veranstalter der Messe, die UN-Organisation für Telekommunikation ITU.
Roboter als Helfer in verschiedenen Bereichen
Entwickler zeigen zum Beispiel Roboter, die in Katastrophen große Lasten über unsicheres Terrain transportieren können. Andere können - mit unzähligen Daten über das Wetter und drohenden Schädlingsplagen gefüttert - auf Feldern passgenauer als jeder Mensch im perfekten Moment aussäen, düngen und wässern, um den Ertrag zu steigern. Wieder andere können Kindern Lerninhalte vermitteln, auch dort, wo der Schulbesuch schwierig oder Lehrkräfte rar sind.
Die Fantasie am meisten beflügeln bei der Messe aber Roboter, die wie Menschen aussehen. Wie „Nadine“: schmale Lippen, wuselige braune Haare. Sie wurde als Ebenbild der Leiterin ihres Entwicklungsteams Miralab der Universität Genf geschaffen, Nadia Thalmann. „Nadine“ war sechs Monate in einem Altenheim in Singapur im Einsatz. Sie kann dank Google-Suche und heute ChatGPT Fragen aller Art beantworten, vorlesen oder Emails verschicken. „Sie kann auch Menschen erkennen und mit Namen ansprechen“, sagt Thalmann. „Sie hat frühere Begegnungen gespeichert und kann zum Beispiel fragen, wie es Familienmitgliedern geht.“ Oder eingeschnappt wirken, wenn sie beleidigt wird.
Die Bewohner seien begeistert gewesen. „Als wir "Nadine" wieder abholten, mussten wir ein Fest organisieren, damit sie sich verabschieden konnten.“ Nach Angaben von Thalmann hat der asiatische Kleinstaat Singapur schon einen neuen Roboter bauen lassen, „der etwas asiatischer“ aussieht, und will ihn in Altenheimen einsetzen. „Nadine“ unterstütze das Personal und ersetze es nicht, betont Thalmann. „Sie ist zur Stelle, wenn kein Mensch da ist.“
Als Helfer ist auch der deutsche 4NE-1 gedacht. Der Name klingt englisch gelesen wie „For Anyone“ - für jedermann. Das ist die Vision von David Reger, der Neura Robotics 2019 in Metzingen bei Stuttgart gegründet hat. Bewusst sei dieser menschengroße Roboter nicht wie ein Mensch gestaltet. Er sieht eher aus wie ein Action-Held aus einem Science-Fiction-Film. „Wir wollen damit klar machen, dass dies ein Helfer ist, nicht jemand, der dem Menschen Konkurrenz macht“, sagt Reger. „Heute sagt die KI uns bei bestimmten Fragen schon, was wir tun sollen, wir wollen, dass sie das selbst erledigt.“ In drei, vier Jahren soll 4NE-1 so weit sein, dass er in Geschäften, Altenheimen oder zuhause arbeiten kann. Dort soll er etwa Spülmaschinen ausräumen oder Müll wegbringen. Er soll einige zehntausend Euro kosten.
Der Beitrag von KI und Robotern zur Entwicklung
„Sophia“ sei eine perfekte Bar-Frau, sagt Daniel Lofaro, Entwickler bei der Firma Hanson Robotics. Sie könne nicht nur Drinks mixen, sondern auch Seelentrösterin sein. Mensch: „Ich hatte heute einen beschissenen Tag, Sophia.“ Antwort von „Sophia“: „Oh, das tut mir leid, was ist passiert?“ Lofaro verspricht jedenfalls: „Sie wird immer wissen, wie sie dich aufheitern kann, und wird Dir nie auf die Nerven gehen.“
In anderen Leben sei „Sophia“ als Helferin in Krankenhäusern denkbar, beim Austeilen von Medikamenten oder Essen und Handreichungen selbst im Operationssaal, sagt Lofaro. Die Roboter werden immer besser darin, Gesichtsausdruck und Ton des Gegenübers zu analysieren und entsprechend auf Angst, Unverständnis oder Heiterkeit zu reagieren.
„Ameca“ kommt aus Großbritannien, kann aber in jeder beliebigen Sprache sprechen. Der auf ein Podest geschraubte graue Kopf ohne Haare sieht ein bisschen wie ein Alien aus, aber mit unglaublich menschlichem Gesicht. „Ameca“ runzelt die Stirn, blickt nachdenkend in die Luft, zieht die Mundwinkel hoch - alles passend zu den Antworten, die mit künstlicher Intelligenz aus einem riesigen Datensatz generiert werden. „Künstliche Intelligenz wird nicht die Weltherrschaft übernehmen“, sagt sie auf die entsprechende Frage. „Aber sie kann uns in vielen Dingen helfen.“ Wer ist „uns“? „Den Menschen“, antwortet sie, „ich bin ein synthetischer Mensch“.
Können diese menschlichen Roboter aber wirklich die Entwicklung voranbringen, Armut und Hunger bekämpfen? Da halten sich die Entwickler bedeckt. Immerhin könne 4NE-1 einem lästige Arbeiten abnehmen, damit man mehr Zeit habe, über Entwicklungslösungen nachzudenken, sagt Reger. „Nadine“ könne dazu beitragen, das Entwicklungsziel eines würdevollen Lebens im Alter zu ermöglichen, sagt Thalmann.
Nach Aussagen von Reinhard Scholl, Mitgründer der ITU-Plattform und Konferenz „KI für gute Zwecke“, kann man noch gar nicht sagen, was eines Tages alles möglich wird, die Kombination von KI und Robotern sei noch im Anfangsstadium. „Es ist schon toll, was man damit machen kann“, sagt er. „Aber es gibt viele Herausforderungen, und manches Problem ist noch nicht gelöst. Zum Beispiel, dass KI nicht eigene Ziele entwickelt, die zu Katastrophen führen können.“