Berlin. Der Hefepilz Candida auris ist auf dem Vormarsch, auch in Deutschland. Warum er so gefährlich ist und was Experten jetzt fordern.
Der Hefepilz Candida auris ist offenbar auf dem Vormarsch. Angesichts seiner weltweiten Verbreitung sprachen Gesundheitsbehörden in den USA und Europa schon im vergangenen Jahr von einer „dringenden Bedrohung“. Und auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rät dazu, den Krankheitserreger mit „oberster Priorität“ zu bekämpfen.
Candida auris: Zahl der Fälle hat sich versechsfacht
2023 wurden alleine in Deutschland 77 Fälle nachgewiesen – das seien sechsmal mwhe gewesen als in den Vorjahren, wie aus der Auswertung des Nationalen Referenzzentrums für Invasive Pilzinfektionen (NRZMyk) hervorgeht. „Wir gehen aktuell mit hoher Sicherheit davon aus, dass es sich um einen realen Anstieg der Fallzahlen handelt und nicht um eine ‚bessere Erfassung‘“, so Oliver Kurzai, Leiter des NRZMyk gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Todesfälle seien allerdings nicht bekannt.
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„Der enorme Anstieg 2023 hat uns überrascht. Ausschlaggebend sind hier vor allem auch Ausbruchsgeschehen in Krankenhäusern. Wenn diese nicht frühzeitig erkannt und adäquat bekämpft werden, sind sie später sehr schwer in den Griff zu bekommen“, erklärte Alexander M. Aldejohann vom Institut für Hygiene und Mikrobiologie der Universität Würzburg gegenüber der dpa.
Wann ist Candida auris erstmals entdeckt worden?
Laut einer 2019 im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichten Studie von Kurzai und dem Mikrobiologen Johannes Wagener wurde 2009 aus dem äußeren Gehörgang einer Patientin in Japan ein Hefepilz isoliert, der sich molekularbiologisch von allen bekannten Pilzen der Art Candida unterschied. Aufgrund des Ohres als Isolierort wurde er Candida auris genannt. Auris ist Latein und bedeutet Ohr. Nachträgliche Analysen aufbewahrter Proben ergaben, dass der bislang früheste Erreger-Nachweis sogar bis ins Jahr 1996 zurückreicht und aus einer Blutprobe eines Kleinkindes in Südkorea stammt.
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Was ist das Besondere an dem Pilz?
Der anspruchslose Pilz kann nicht nur monatelang auf Oberflächen und bis zu einer Temperatur von 42 Grad Celsius überleben, er lässt sich auch bei Menschen nur schwer eliminieren. Und: Candida auris kann bei Ausbrüchen in Krankenhäusern von Patient zu Patient übertragen werden. „Das ist ein Alleinstellungsmerkmal unter allen pathogenen Candida-Arten“, heißt es in der Studie von 2019.
Ungewöhnlich ist auch, dass dieser aus der Umwelt stammende Pilz auf den Menschen übergesprungen ist und Krankheiten auslöst. „Nur 0,01 Prozent der insgesamt fünf Millionen Pilzarten können beim Menschen Krankheiten verursachen“, sagte Bernhard Hube vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena der dpa. Die Übertragung erfolgt über Schmierinfektionen. Durch die Luft verbreitet sich der Erreger nicht, anders als etwa das Coronavirus.
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Besonders gefährlich ist der Pilz, weil 86 Prozent der im Jahr 2020 ermittelten Stämme gegen Anti-Pilzmedikamente, sogenannte Antimykotika, aus der Gruppe der Azole resistent waren, 26 Prozent der Stämme reagierten nicht auf das Reserve-Antimykotikum Amphotericin B.
Manche Erreger seien sogar immun gegen sämtliche drei Gruppen von Antimykotika, erklärt die US-Gesundheitsbehörde CDC. Darüber hinaus gibt es laut der Studie von Johannes Wagener und Oliver Kurzai eine erhöhte Resistenz gegen Desinfektionsmittel.
Welche Erkrankung kann Candida auris auslösen?
Für gesunde Menschen ist der Pilz für gewöhnlich trotz möglicher Besiedlung nicht gefährlich. In Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen aber ist er eine große Gefahr. Denn wenn er - etwa über Katheter oder Beatmungsschläuche - in den Körper von vorerkrankten oder immungeschwächten Menschen gelangt, kann er gefährliche Infektionen auslösen, die auch tödlich verlaufen können. Gerät der Pilz in den Blutkreislauf, kann er eine Blutvergiftung auslösen.
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Wie ist die internationale Situation?
Candida auris ist bereits in mehr als 30 Ländern aller Kontinente aus menschlichen Proben identifiziert worden. „In einigen Ländern verdrängt er bereits die klassischen Arten“, schreiben Wagener und Kurzai. Eine im Fachblatt „Annals of Internal Medicine“ veröffentlichte Analyse der CDC zeigt, dass der Pilz in den USA schon 2013 angekommen, aber erst 2016 entdeckt worden war. Anschließend kam es zu einer „dramatischen Steigerung“. Von 53 klinischen Fällen im Jahr 2016 auf 756 Fälle 2020. 2021 lag die Zunahme im Vergleich zum Vorjahr sogar bei 95 Prozent - de facto eine Verdoppelung auf 1471 Fälle.
Wie ist die Situation in Deutschland?
Obwohl die absolute Zahl der Candida-auris-Fälle in Deutschland nach wie vor niedrig ist, wurde seit 2020 ein deutlicher Anstieg der Nachweise verzeichnet, heißt es in einer am 11. Mai im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichten Studie. Zudem wurden ab 2021 die ersten Übertragungsereignisse in Deutschland dokumentiert. Bislang blieben entsprechende Infektionen ohne tödlichen Ausgang.
Wie kann man den Pilz bekämpfen?
Zunächst müssen Labore in der Lage sein, den Pilz zu erkennen. Dann gilt es, Patienten in Einzelzimmern zu isolieren, Kontaktpersonen zu screenen und besondere Hygiene einzuhalten, schreiben Wagener und Kurzai. „Für die Therapie von Infektionen, nicht von Besiedelungen, kommt als Erstlinientherapie eine Behandlung mit Anti-Pilzwirkstoffen aus der Klasse der Echinocandine infrage.“
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Was fordern die Experten?
Experten gehen von einer Untererfassung der Verbreitung in Deutschland aus. Heißt: Es dürfte eine Dunkelziffer von Besiedlungen und Infektionen geben. Um schnell und zielgerichtet eingreifen zu können und die Übertragung einzudämmen, sprechen sie sich für die verpflichtende und systematische Meldung und Erfassung von Candida-auris-Fällen aus. Bisher ist eine solche Besiedlung oder Infektion nicht meldepflichtig. Das Epidemiologische Bulletin des Robert Koch-Instituts rät zudem zu umfassenden Tests auf Candida auris