Hamburg. Alltagsbeschwerden – und was dagegen hilft. Teil 16: Viele Menschen wachen nachts auf und können nicht wieder einschlafen.
Diese Erfahrung hat sicher jeder schon einmal gemacht. Man liegt todmüde im Bett, dreht sich dann aber von einer Seite auf die andere, guckt ständig auf den Wecker und kann keinen Schlaf finden. Wer das nur selten erlebt, macht sich darüber nicht weiter Gedanken. Passiert das aber ständig, ist es für Betroffene sehr zermürbend. „40 Prozent aller Patienten in allgemeinmedizinischen Praxen leiden unter anderem an Schlafstörungen“, sagt Dr. Jörg Putensen, stellvertretender Leiter des Universitären Schlafmedizinischen Zentrums Hamburg. Dieses wird betrieben von Mitarbeitern des Agaplesion Diakonieklinikums Hamburg und des Universitätsklinikums Eppendorf.
Die häufigsten Schlafstörungen sind Ein- und Durchschlafstörungen. Die Patienten erzählen, dass sie abends nicht zur Ruhe finden oder nachts aufwachen und nicht wieder einschlafen können. Um zu beurteilen, wie erholsam der Nachtschlaf war, ist für die Schlafmediziner auch die Befindlichkeit am Tag danach wichtig. Sie fragen die Patienten, ob sie tagsüber ungewollt einschlafen, beim Fernsehen, beim Lesen, vor dem Computer.
Um den Grad der Tagesschläfrigkeit zu messen, setzen Ärzte u. a. die Pupillografie ein. Dabei wird mit einer Kamera in einem abgedunkelten Raum die Größe der Pupille aufgezeichnet. Normalerweise ist diese bei gleichbleibender Lichtstärke gleich weit. Sind die Patienten schläfrig, tritt eine Pupillenunruhe auf: Die Pupillen werden mal enger, mal weiter. „Das hilft uns vor allem bei sehr aktiven Menschen weiter, die nicht wahrnehmen, dass sie am Tage müde sind“, erklärt Putensen. Außerdem können die Ärzte im Schlaflabor untersuchen, wie der Nachtschlaf tatsächlich ist. Dort werden die Patienten verkabelt. Insgesamt 16 verschiedene Kanäle werden aufgezeichnet, unter anderem die Gehirnströme, ein EKG, die Atmung und die Muskelspannung.
Mit Untersuchungen im Schlaflabor lässt sich auch die dritthäufigste Schlafstörung feststellen. Sie tritt in Zusammenhang mit Schnarchen auf. Schnarchen ist eigentlich harmlos, es sei denn, es geht mit Atemaussetzern einher. Diese Schlafapnoe entsteht dadurch, dass im Schlaf die Schlundmuskulatur so stark erschlafft, dass die Atemwege irgendwann verschlossen sind. Dann wird der Schlaf des Betroffenen durch eine „Miniweckreaktion“ gestört, die der Schläfer nicht als bewusstes Erwachen wahrnimmt, aber die Muskelspannung wieder so weit erhöht, dass er kurzfristig wieder atmet, bis der nächste Atemstillstand folgt. Solche Atemstillstände können sich viele Hundert Male pro Nacht wiederholen. Die Folge ist zum einen eine ausgeprägte Tagesschläfrigkeit, die auch zur Gefahr im Straßenverkehr werden kann. „Die Schlafapnoe hat aber auch weitere gefährliche körperliche Folgen: das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle steigt, ein Diabetes verschlechtert sich, es kann ein Bluthochdruck entstehen oder ein bereits bestehender sich verschlechtern“, sagt Putensen. Zur Therapie wird eine Atemmaske eingesetzt. Über diese wird nachts mit Überdruck Luft in den Rachenraum geblasen, der die Schlundmuskulatur offen hält. „Diese Methode ist sehr erfolgreich, und es gibt in schweren Fällen keine alternativen Therapieverfahren mit Operationen oder Medikamenten, um einen ähnlich wirksamen Effekt zu erzielen“, sagt Putensen.
Patienten mit einer Schlafapnoe spüren selbst keinen Leidensdruck, ganz anders als diejenigen, die unter Ein- und Durchschlafstörungen leiden. „Normalerweise dauert es maximal 30 Minuten, bis man eingeschlafen ist, und jeder Mensch wacht bis zu 27-mal in der Nacht auf, schläft danach aber wieder ein und erinnert sich am nächsten Morgen nicht mehr daran. Doch Patienten mit Schlafstörungen brauchen wesentlich länger zum Einschlafen oder können, wenn sie einmal aufgewacht sind, nicht wieder einschlafen“, sagt Putensen.
Der häufigste Auslöser für eine Schlafstörung ist eine akute, oft psychische Belastung. Die Patienten müssen Schicksalsschläge verkraften oder leiden unter Stress. „Während des Nachtschlafes wird der Tag verarbeitet. Nach Lösung des Konflikts ist diese Störung meist vorbei“, sagt Putensen. Allerdings kann sich diese Schlafstörung verselbstständigen. Mediziner sprechen dann von der erlernten Insomnie: Jemand hat wegen eines Problems eine Zeit lang schlecht geschlafen. Der Betreffende nimmt sich vor, in der kommenden Nacht verpassten Schlaf nachzuholen. Doch kaum liegt er im Bett, ist er hellwach. Denn dort hat er schon so lange schlecht geschlafen, dass er auch jetzt damit rechnet. Gleichzeitig steigt der Druck: „Ich muss jetzt schlafen“ – und vorbei ist es mit der erholsamen Nachtruhe: Der Teufelskreis beginnt. „Typisch bei dieser Form der Schlafstörung ist es, dass die Betroffenen in ungewohnter Umgebung häufig viel besser schlafen“, sagt Putensen.
Einfache Maßnahmen können helfen, besser zur Ruhe zu kommen
Leichte Schlafstörungen kann man zunächst selbst behandeln, mit positiven Ritualen und der sogenannten Schlafhygiene. Das sind einfache Maßnahmen, mit denen man selbst für einen gesunden Schlaf sorgen kann. Dazu gehört eine Raumtemperatur von 16 bis 18 Grad im Schlafzimmer, Verdunklung, Lärmdämmung, das richtige Bett, atmungsaktive Bettwäsche. Hilfreich sind auch positive Schlafrituale, die den Körper zur Ruhe bringen. Das kann ein Glas Milch mit Honig sein, das ein wohliges Gefühl erzeugt, das Hören einer Lieblings-CD, ein paar Seiten lesen. „Ausgeprägte körperliche Aktivität ist dagegen hinderlich. Sie putscht den Körper auf“, sagt der Schlafmediziner.
Man kann sich auch mit pflanzlichen Arzneimitteln wie Baldrian, Hopfen, Melisse und Johanniskraut behelfen. Putensen warnt aber vor anderen rezeptfreien Schlafmitteln: „Das sind oft Medikamente, die ursprünglich gegen Allergien eingesetzt wurden und als Nebenwirkung müde machen. Bei diesen Antihistaminika kann eine psychische Abhängigkeit entstehen. Eine Gefahr ist auch, dass am nächsten Tag die Mittel oft noch nicht aus dem Körper verschwunden sind. Dieser Überhang kann zur Gefährdung im Straßenverkehr führen und bei alten Menschen die Sturzgefahr erhöhen.“ Putensen rät auch davon ab, alkoholische Getränke als Schlaftrunk einzusetzen: „Man schläft zwar schnell ein, ist aber auch früh wieder wach und leidet dann unter Durchschlafstörungen. Und wer chronischen Alkoholmissbrauch betreibt, hat häufig sowohl Ein- als auch Durchschlafstörungen.“ Hält die Schlafstörung länger als drei Monate an, sollte man zum Hausarzt gehen. „Wer an reaktiver Schlaflosigkeit leidet, kann auch mal für 14 Tage Schlafmittel einnehmen. Bei schweren Schlafstörungen kann der Arzt Benzodiazepine wie etwa Diazepam verschreiben, die aber abhängig machen können. Deshalb sollte die Einnahme immer kurzfristig und unter ärztlicher Kontrolle sein“, sagt Putensen.
Bei schweren Schlafstörungen kommen auch psychotherapeutische Verfahren zum Einsatz. Das Universitäre Schlafmedizinische Zentrum Hamburg bietet eine Schlafschule an, die von dem bekannten Schlafforscher Prof. Jürgen Zulley entwickelt wurde. In einem viertägigen Kurs erhalten die Patienten Informationen über Schlaf und Schlafstörungen und erlernen Entspannungsmethoden wie die progressive Muskelentspannung nach Jacobson, bei der Muskeln gezielt angespannt und entspannt werden.
Seinen Patienten mit Schlafstörungen gibt Putensen gern folgenden Merksatz mit auf den Weg: „Schlaf ist wie ein Schmetterling: Versucht man ihn zu erhaschen, flattert er davon. Wenn ich ganz ruhig meine Hand ausstrecke, habe ich vielleicht Glück, und er lässt sich darauf nieder.“