Frankfurt/Main . Zehn bis 15 Prozent der Frauen leiden nach der Geburt unter einer Wochenbettdepression. Krankheit kann Entwicklung des Kindes stören.

Sorgen um das Neugeborene oder ein absolutes Stimmungstief sind normal für einen sogenannten Babyblues. Damit kämpft fast die Hälfte der Frauen kurz nach der Geburt. Meist vergeht er innerhalb von Tagen. Schwerwiegender und oft unerkannt ist dagegen die Wochenbettdepression. Öffentliche Aufmerksamkeit erhielt die Erkrankung jüngst durch die Schauspielerin Hayden Panettiere, 26, die Frau von Ex-Boxweltmeister Wladimir Klitschko. Sie gab bekannt, dass sie sich vor einigen Wochen freiwillig in Therapie begeben habe.

„Die Wochenbettdepression tritt meistens schleichend im Laufe der ersten sechs Wochen auf und vergeht nicht von alleine“, sagt Dr. Silvia Oddo-Sommerfeld, Psychotherapeutin und Wissenschaftlerin in der Abteilung Geburtshilfe und Pränatalmedizin an der Uniklinik Frankfurt. Unter der Krankheit leiden zehn bis 15 Prozent der Mütter, etwa die Hälfte der Betroffenen hatte schon vor oder während der Schwangerschaft einmal mit Depressionen zu kämpfen.

Die Symptome gleichen zum Teil denen einer Depression, wie sie in jeder Lebensphase auftreten kann – mit dem Unterschied, dass besonders die Mutterrolle im Fokus steht. „Anstatt sich über die neue Lebenssituation mit Kind zu freuen, sind da Ängste und die große Scham, der Mutterrolle nicht gerecht zu werden“, sagt Silvia Oddo-Sommerfeld. Zu den Schuldgefühlen, die die Frauen empfinden, gesellt sich häufig der Druck von außen, gut funktionieren zu müssen. Die Beschwerden werden verdrängt – auch weil die Familie häufig die Situation falsch einschätzt und die Erkrankung dahinter nicht wahrnimmt.

Die Ursachen für eine Wochenbettdepression umfassen körperliche, psychische und soziale Komponenten. „Körperliche Ursachen können durch Komplikationen während der Schwangerschaft oder einer schweren Geburt hervorgerufen werden. Aber auch hormonelle Veränderungen nach der Geburt beeinflussen die Erkrankung“, sagt Silvia Oddo-Sommerfeld. Das Risiko zu erkranken steigt, wenn es schon psychische Vorbelastungen gibt oder wenn die soziale Unterstützung fehlt. „Es gibt aber auch Frauen, die trotz einer funktionierenden Partnerschaft und einem guten sozialen Netzwerk erkranken“, sagt die Psychotherapeutin.

Auch die Persönlichkeit der Frau scheint eine große Rolle zu spielen: Gerade perfektionistische und autonome Frauen würden ein höheres Risiko tragen. „Der ungewohnte Kontrollverlust ist hier ein großer Faktor“, sagt die Psychologin. Mit dem Kind ändert sich alles, das Leben scheint zu entgleiten. Psychologen sprechen auch von einer Anpassungsstörung. Menschen haben große Probleme, sich auf neue Lebenssituationen einzustellen. Bei manchen Frauen verschlimmern sich die Symptome, wenn sie aus ihrer „perfekten Mutterrolle“ ausscheren. „Das Stillen etwa wird als das Sinnbild einer guten Mutter-Kind-Bindung empfunden“, sagt Silvia Oddo-Sommerfeld. Treten dabei Probleme auf, werden Gedanken losgetreten, die um Minderwertigkeit und Versagen kreisen.

Auch die Partner fühlen sich ofthilflos und überfordert

Doch nicht nur für die Frau ist die Erkrankung eine Belastung: Auch die Partner fühlen sich oft hilflos und überfordert. Auf der einen Seite müssen sie sich bei schweren Verläufen alleine ums Kind kümmern, auf der anderen Seite braucht die kranke Frau Hilfe. Die Wochenbettdepression ist Experten zufolge besonders schambesetzt und wird oft tabuisiert. Über Depressionen sprechen viele Menschen generell ungern, es hat lange gedauert, bis diese als Erkrankung gesellschaftlich anerkannt wurde. Eine Depression nach der Schwangerschaft aber ist besonders negativ besetzt. „Die Frauen tragen schwere Schuldgefühle mit sich herum. Sie ziehen sich dadurch eher zurück“, sagt Oddo-Sommerfeld. Dabei sei soziale Isolation bei einer Depression ein schwerwiegender Fehler.

Die Mutter-Kind-Beziehung steht bei einer Wochenbettdepression besonders im Fokus – auch in der Behandlung. „In manchen Fällen kommt es zu einem ambivalenten Verhältnis zum Nachwuchs. Die Mütter lieben ihr Kind, aber wünschen sich auf der anderen Seite ihr altes Leben zurück“, sagt Silvia Oddo-Sommerfeld. Manche Frauen entwickelten Aggressionen. „Es kann zu Zwangsgedanken kommen, die darum kreisen, dass man dem Kind etwas antun könnte.“ Ist die Depression besonders ausgeprägt, hat das auch Folgen für das Kind. „Wenn Mütter mit einer Wochenbettdepression dem Kind gegenüber reserviert sind und nicht richtig auf die Bedürfnisse eingehen können, kann es zu Entwicklungsstörungen kommen“, sagt Silvia Oddo-Sommerfeld. Das äußere sich bei den ganz Kleinen manchmal mit häufigem Schreien oder Problemen beim Stillen.

Die Therapie besteht in erster Linie aus einer Psychotherapie, je nach Schweregrad werden auch Medikamente eingesetzt. Stillende Mütter müssen hier mit ihrem Arzt genau besprechen, welche Medikation möglich ist. Oddo-Sommerfeld: „Die Heilungschancen stehen gut – vor allem, wenn die Behandlung früh beginnt.“