Eine neue Studie zeigt, dass die Multiple Sklerose bei Rauchern schwerer verläuft als bei Nichtrauchern. Ein Hamburger Experte erklärt, wie der Lebensstil die Krankheit beeinflussen kann.
Hamburg. Die Multiple Sklerose verläuft bei Rauchern schwerer als bei Nichtrauchern und und schreitet auch schneller voran. Ein Rauchstopp hingegen kann das Risiko für einen schwereren Verlauf senken. Das ist das Ergebnis einer Studie von Neurologen der britischen Universität von Nottingham, die jetzt in der Fachzeitschrift „Brain“ veröffentlicht wurde.
Unklar aber ist, warum sich das Rauchen auf die Krankheit auswirkt. „Ist wirklich das Rauchen das Entscheidende oder liegt das Ergebnis daran, dass Raucher häufiger an anderen Krankheiten leiden, wie zum Beispiel einer Erkrankung der Herzkranzgefäße, oder weniger Sport treiben?“, sagt dazu Prof. Christoph Heesen, Leiter der MS-Sprechstunde in der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Eppendorf.
Denn bei dieser Erkrankung, bei der es immer wieder zu Entzündungsherden in Gehirn und Rückenmark der Betroffenen kommt, liegt noch vieles im Dunkeln. Es wird aber davon ausgegangen, dass es sich um eine Autoimmunerkrankung handelt, bei der die Abwehr des Körpers das eigene Gewebe angreift. Bei der Erkrankung werden grundsätzlich zwei Formen unterschieden. Am häufigsten ist die Variante, bei der die MS in Schüben verläuft. Bei dem kleineren Teil der Patienten handelt es sich um die sogenannte chronisch progrediente Form, bei der die Krankheit schleichend voranschreitet. In Deutschland leben nach Schätzungen etwa 130.000 Menschen mit MS.
Untersuchungen wie die neue Studie über den Einfluss des Rauchens werfen auch die Frage auf, welche Lebensstilfaktoren bei der Erkrankung noch eine Rolle spielen, wie zum Beispiel die Ernährung. „Bisher gibt es keinen eindeutigen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass MS-Patienten, die sich mehr bewegen oder eine bestimmte Ernährung verfolgen, davon einen Nutzen haben“, sagt Heesen. Allerdings habe sich gezeigt, dass ein niedriger Vitamin-D-Spiegel ein Risikofaktor für den Ausbruch der Erkrankung sei. Vitamin D wird im Körper mithilfe des Sonnenlichts gebildet und ist unter anderem für die Regulation des Immunsystems von Bedeutung. „Anscheinend kann sich schneller eine Autoimmunreaktion entwickeln, wenn der Vitamin D-Spiegel niedrig ist. Wie dieser Spiegel aber den Verlauf der Krankheit beeinflusst und ob die zusätzliche Gabe von Vitamin D hilfreich ist, weiß man nicht“, so der MS-Experte. Es gebe einige Hinweise, dass der Nachweis von aktiven Entzündungsherden in der Kernspinaufnahme und der Vitamin D-Spiegel in Zusammenhang stünden. Möglicherweise beeinflusse das Ausmaß der Erniedrigung nicht nur, ob die Krankheit ausbreche, sondern auch, um welche Form es sich handle und wie aktiv sie sei. Das werde zur Zeit unter Experten diskutiert. Untersuchungen dazu dauern noch an.
Beeinflussbar sei die Krankheit möglicherweise auch durch Sport, aber auch das sei bisher noch eine Hypothese, meint Heesen. „Wir haben jetzt eine kleine Studie bei Patienten mit der chronisch progredienten Form durchgeführt. Dabei hat sich gezeigt, dass ihre Hirnleistungen besser werden, wenn sie Sport treiben. Ergebnisse aus Tierexperimenten geben Grund zu der Annahme, dass Sport die beste Therapie zum Schutz der Nerven ist, die wir im Augenblick haben.“
Wie viel körperliche Aktivität nötig ist, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. „Die einen sagen, es reiche schon aus, möglichst viel zu laufen und jede Gelegenheit körperlich aktiv zu sein. Meine Meinung dazu ist, dass ein ausdauerorientiertes Training zwei bis dreimal die Woche für eine halbe bis dreiviertel Stunde mit 60 bis 70 Prozent der maximalen Belastung wahrscheinlich positive Effekte auf Immun- und Nervensystem hat“, sagt Heesen.
Auch Stress durch psychische und soziale Belastungen kann sich negativ auf den Krankheitsverlauf auswirken. „Viele Studien geben Hinweise darauf, dass Stress Schübe auslösen und möglicherweise auch zum Ausbruch der Krankheit führen kann. Eine Untersuchung aus dem letzten Jahr hat gezeigt, dass ein Training zur Stressbewältigung den Verlauf verbessert. Bei den Patienten waren weniger aktive Entzündungsherde in den Kernspinaufnahmen nachweisbar, wenn sie in diesem Training waren. Der Effekt war allerdings sehr schnell wieder verschwunden, wenn das Training beendet war.
Veränderungen des Lebensstils können vor allem für Patienten, die sich noch in der Frühphase der Erkrankung befinden oder nur an geringgradigen Einschränkungen leiden, eine Möglichkeit sein, besser mit der Krankheit zurechtzukommen und ihre Lebensqualität zu verbessern. „Insbesondere bei den Patienten, bei denen sich die Krankheit zum ersten Mal zeigt, überlegen wir zunächst, ob sich an der Lebenssituation etwas verändern lässt. Aber das schließt nicht aus, dass ein Jahr später doch die Entscheidung für ein Medikament fällt“, sagt Heeren. Verhaltensänderungen könnten Medikamente aber nicht ersetzen. „Mit den richtigen Verhaltensmaßnahmen und Medikamenten bin ich bei zwei Drittel der Patienten so optimistisch, dass sie ein für sie befriedigendes qualitativ hochwertiges Leben führen können. Es ist oft schon sehr beeindruckend, zu sehen, wie die Betroffenen sich mit der Krankheit auseinandersetzen und dann einen Weg finden, trotz der Einschränkungen ihr Leben zu meistern.“
Voraussagen über den weiteren Verlauf der Krankheit lassen sich kaum treffen. „Wir können zu Beginn nicht sagen, bei wem der Verlauf schubförmig bleibt oder wann daraus eine chronisch progrediente Form wird. Das kann nach zwei Jahren geschehen, aber auch erst nach zwanzig. Für die Prognose ist am wichtigsten, welche Beeinträchtigung sich in den ersten fünf Jahren entwickelt, und ob man von Anfang an einen chronischen oder schubförmigen Verlauf hat. Der chronische Verlauf hat eine schlechtere Prognose. Auch wenn im Kernspin sehr viele Entzündungsherde zu sehen sind oder man in den ersten zwei Jahren der Erkrankung drei oder mehr Schübe hat, ist das prognostisch ungünstig.“ Aber ob man schwere oder leichte erstmalige Symptome habe, ob man sich davon in vier Wochen erhole oder nach einem halben Jahr, oder ob man viel oder wenig Kontrastmittelanreicherungen in den Kernspinaufnahmen habe, spiele nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand keine Rolle. Auch die jährliche Zahl der Schübe nach den ersten zwei Jahren sage nichts über den weiteren Verlauf. „Diese Unvorhersehbarkeit ist ein großes Problem für die Patienten. Man muss den Leuten sagen, dass sie im schlimmsten Fall in fünf Jahren pflegebedürftig sind, aber wenn alles günstig verläuft, auch in zwanzig Jahren noch normal gehen können. Eine Reaktion darauf ist: Ich mach gar nichts mehr, denn ich kann ja morgen im Pflegeheim sein, die andere Reaktion: Es ist nach wie vor alles möglich, deswegen lebe ich mein Leben und bin mir bewusst, dass es übermorgen ganz anders sein kann.“
Patienten, die mit der Diagnose konfrontiert werden, empfiehlt Heesen, sich zunächst umfassend zu informieren, über Diagnosekriterien und Therapiemöglichkeiten, und darüber, ob eine frühe Medikamenteneinnahme sinnvoll ist. Dazu kommen, trotz fehlender eindeutiger wissenschaftlicher Belege, die Verhaltensempfehlungen zum Sport, zur Ernährung und zum Stressmanagement. Sinnvoll kann es auch sein, mithilfe eines Experten einen kritischen Blick auf den Umgang mit der Krankheit zu werfen, auf die Arbeitsbelastung im Job und andere Faktoren, die die psychische Belastung verstärken könnten. Ansprechpartner für solche Gespräche, in denen auch geklärt wird, ob eine längere psychotherapeutische Betreuung nötig ist, vermittelt die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft, Landesverband Hamburg, Eppendorfer Weg 154-156, 20253 Hamburg, Tel. 422 44 33, Fax: 422 44 40, E-Mail: info@dmsg-hamburg.de
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