Stress, Mobbing, persönliche Probleme oder Angst vor Arbeitslosigkeit setzen vielen Erwerbstätigen zu. Nicht wenige sehen im Alkohol einen Ausweg.
Schwerin. In Mecklenburg-Vorpommern greifen überdurchschnittlich viele Arbeitnehmer zur Flasche. Nach einem Gesundheitsreport der Krankenkasse Barmer GEK waren im vorigen Jahr 1,59 Prozent der versicherten Erwerbstätigen im Nordosten alkoholabhängig gegenüber 1,17 Prozent im Bundesdurchschnitt, wie Landesbereichsleiter Henning Kutzbach am Donnerstag in Schwerin erklärte. Hamburg (1,57 Prozent) und Bremen (1,5 Prozent) erreichten bei der Auswertung von Versichertendaten ähnlich hohe Werte. Nach Schätzungen hat jeder fünfte bis zehnte Erwerbstätige einen riskanten Alkoholkonsum. Jede sechste Kündigung gehe auf eine Abhängigkeitserkrankung zurück, so Kutzbach.
Am häufigsten betroffen von Alkoholsucht sind der Erhebung zufolge Männer zwischen 50 und 59 Jahren mit geringerer Schul- und Berufsausbildung. Alkoholabhängige meldeten sich in Mecklenburg-Vorpommern pro Jahr 40 Tage mehr krank als Arbeitnehmer ohne Suchtproblem. Im Bundesvergleich habe es 2011 in Mecklenburg-Vorpommern die meisten Krankschreibungen wegen Alkoholmissbrauchs gegeben. Mit 40 Fällen je 10 000 Versicherten lag die Rate um 60 Prozent über dem Bundesmittel, wie Kutzbach erläuterte.
Claudia Diekneite von der Schweriner Landesstelle für Suchtfragen rechnet eigenen Worten zufolge nicht mit einer Entspannung beim Alkoholproblem in Mecklenburg-Vorpommern. Bei geschätzten 80 000 Alkoholikern und einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauch von mehr als 13 Litern reinem Alkohol im Jahr (Deutschland: 9,6 Liter) sei die Dunkelziffer extrem hoch. Gerade im strukturarmen Nordosten laste ein hoher Druck auf Arbeitnehmern, erklärte Diekneite. Angst vor Arbeitslosigkeit, Stress, Mobbing oder persönliche Probleme ließen Erwerbstätige häufiger zur Flasche greifen, sagte sie.
Suchtprävention sei mindestens ebenso wichtig wie Rückenschule oder Anti-Stress-Training am Arbeitsplatz, betonte Henning Kutzbach. Bei rechtzeitiger Intervention des Arbeitgebers könnten betroffene Mitarbeiter zu einer Therapie bewegt und letztlich wieder ins Unternehmen integriert werden. „Suchtkranke mit sicherem Job haben gute Aussichten auf dauerhafte Abstinenz“, betonte Diekneite.