Die Zahl der mit Psychopharmaka behandelten Kinder stieg zwischen 2006 und 2010 um 32 Prozent. Anstieg ist alarmierend, so Experten.
Hamburg. Eine Auswertung der Techniker Krankenkasse (TK) hat ergeben, dass Kinder immer häufiger mit Psychopharmaka behandelt werden. Am häufigsten verschrieben werden Medikamente gegen die Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung ADHS, das sogenannte "Zappelphilipp"-Syndrom. Dies teilte die TK am Mittwoch in Hamburg mit. Aber auch gegen Aggressionen oder Depressionen werden die Mittel verschrieben.
Erhielten 2006 noch fast 20.000 TK-versicherte Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 17 Jahren Pillen gegen ADHS, waren es 2010 bereits rund 29.000 - ein Anstieg um 32 Prozent.
Auch die Behandlungszahlen mit Risperidon, einem Wirkstoff gegen Aggressionen bei Verhaltensstörungen, seien alarmierend, hieß es. Die niedergelassenen Ärzte verschrieben den Wirkstoff 2006 noch 682 Kindern und Jugendlichen, 2010 waren es schon 1532. „Versichertenbereinigt hat sich die Anzahl der betroffenen Kinder damit mehr als verdoppelt.“
Auffällig bei den Antidepressiva: Ein Fünftel der Verordnungen sind den Angaben zufolge Medikamente, die bei Kindern und Jugendlichen nicht eingesetzt werden sollten. Zudem verschrieben viele fachfremde Mediziner wie etwa Hausärzte Antidepressiva.
Der Mediziner Prof. Hannsjörg Seyberth warnte, die Spätfolgen und Langzeitwirkungen von Psychopharmaka bei Kindern seien bisher nur wenig erforscht. Seyberth ist Vorsitzender der Kommission für Arzneimittelsicherheit im Kindesalter der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. „Die Kinder stehen heute unter einem enormen familiären und schulischen Druck zu funktionieren“, erklärte er. „Verhaltensauffälligkeiten sofort mit Medikamenten zu bekämpfen, ist dabei der falsche Weg.“ Statt mit Psychopharmaka sollten sie zunächst etwa mit Psycho- oder Verhaltenstherapien behandelt werden.
Die TK hatte erst im Mai eine Auswertung zu den steigenden Verordnungen von Medikamenten gegen ADHS veröffentlicht. (dpa/abendblatt.de)