Manch Übergewichtiger werde nicht verbeamtet, andere beim Arbeitsamt als “schwer vermittelbar“ eingestuft. Krankenkassen forderten Aufschläge.

Übergewichtige würden von diversen Institutionen dikskriminiert. Das kritisieren verschiedene Vereine, die sich für die Belange von Übergwichtigen einsetzen. Dazu gehöre zum Beispiel, dass das Gewicht auch bei der Verbeamtung eine Rolle spiele und der Anwärter im Zweifelsfall zu einer Crash-Diät gwungen würde. Laut Gisela Enders, Vorsitzende des Vereins Dicke e.V., liege die Grenze hier bei einem BMI-Wert um die 30. "Manche Amtsärzte drücken bei einer leichten Überschreitung ein Auge zu, es kommt aber auch auf den gesamten Gesundheitszustand der Patienten an," so Enders.

Als Begründung hieß es in diesen Fällen, dass das Übergewicht im Laufe der Beamtenlaufbahn zu schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie zum Beispiel Diabetes-Typ-2 führen könne.

Seit drei Jahren kämpft die Vorsitzende Gisela Enders mit ihrem Verein Dicke e.V. gegen den Schlankheitswahn und für die Rechte von Dicken. Im Gespräch berichtet sie von Diskriminierung durch Ärzte und den Staat, „dicke“ Models und den Anti-Diät-Tag, der am 6. Mai zum 20. Mal stattfindet.

Ihrer Meinung nach werden übergewichtige Menschen in Deutschland diskriminiert. Was sind Ihre konkreten Vorwürfe?

Enders: Ich werfe zum einen dem Staat vor, dass er dicke Menschen nicht verbeamtet. Die Tatsache, dass jemand dicker ist als andere, führt dazu, dass der Staat sagt: „Dieser Mensch wird bestimmt krank werden und deswegen werden wir ihn nicht verbeamten.“

Ist das aus Ihrer Sicht generell der Fall?

Enders: Ja, das ist generell so. Vor jeder Verbeamtung muss der Betroffene zum Amtsarzt. Und wenn der Amtsarzt feststellt, dass der Mensch zu viel Gewicht hat, dann sagt er: „Nehmen Sie doch mal mit einer Crash-Diät ordentlich ab.“ Das ist eine Form der Umgehung, die halten wir für extrem gesundheitsgefährdend. Es ist nachgewiesen, dass das viel ungesünder ist. Wenn man dann das nächste Mal beim Amtsarzt ist und in sechs Wochen 30 Kilo abgenommen hat, dann wird man verbeamtet. Wenn es überhaupt eine Gesundheitsgefährdung gibt, wird es durch dieses Verhalten eher erhöht, als dass es hilft. Weder für den Staat, der dann sozusagen einen verdeckten dicken Menschen verbeamtet hat, und schon gar nicht für die Person selbst. Das ist eine Diskriminierungsform, die sich an anderen Stellen fortsetzt.

+++Übergewicht beeinflusst auch die Hirnströme+++

+++Wie krankhaftes Übergewicht auf den Kreislauf wirkt+++

Wo zum Beispiel?

Enders: Wir hatten neulich einen Fall, von einer arbeitslosen Frau, die abgenommen hatte und zur Arbeitsagentur kam. Dann sagte die Beraterin vom Arbeitsamt: „Dann kann ich sie ja aus der Schublade der Schwervermittelbaren rausnehmen.“ Wenn ich mit zu viel Gewicht in die Arbeitsagentur komme, dann wird aufgrund der Optik und nicht aufgrund der Qualifikation schon von vornherein eingeschätzt, dass diese Person schwer vermittelbar ist. Und damit haben die Arbeitsagenturen wahrscheinlich sogar Recht. Antidiskriminierungsrichtlinien sind inzwischen erlassen, aber die Diskriminierung aufgrund der Körperform ist dort nicht aufgenommen.

Ein anderes Ziel ihrer Kritik sind die privaten Krankenversicherungen. Diesen werfen sie vor, dass dicke Menschen deutliche Aufschläge zahlen müssen.

Enders: Ja, die Vermutung, dass dick sein per se ein Gesundheitsrisiko ist, wird hochgehalten. Wenn dies von unabhängigen Studien untersucht wird, die nicht von Diät- und Pharmaindustrie finanziert werden, kann das so überhaupt nicht nachgewiesen werden. Es gibt selbstverständlich die ein oder andere Gefahr. Aber in keiner anderen Bevölkerungsgruppe, beispielsweise bei schlanken oder bei großen Menschen, wird dermaßen unter der Erwartung „Das muss doch gesundheitsgefährdend sein“ geforscht und auch mit dem Vorwurf „Sie könnten ja etwas daran ändern“.

Eine Ihrer Forderungen ist das Ende des Schlankheitswahns. Einige Modemagazine haben schon vor Jahren erklärt, dass sie auf Magermodels verzichten wollen. Erkennen Sie da Fortschritte?

Enders: Wir hatten früher Frauen mit Größe 34, die Knäckebrot essen. Magersucht ist viel tödlicher und birgt ein viel größeres Gesundheitsrisiko als es jemals bei einem dicken Menschen geben würde. Jetzt gibt es etwas dickere Models, aber das bedeutet nur: Die tragen jetzt Größe 36. Ich behaupte, das sind keine Frauen, die sich ganz normal und lebensfroh ernähren.

Das ist auch eines der Themen, das sie beim Internationalen Anti-Diät-Tag am 6. Mai anprangern wollen. Was haben Sie konkret geplant?

Enders: Im Vorfeld haben wir in Berlin einen europäischen Workshop, bei dem sich zum ersten Mal Dicken-Aktivisten aus ganz Europa treffen. Dort wird ein Manifest ausgearbeitet und verabschiedet, das dann hoffentlich für ganz Europa gilt.

Was soll dieses Manifest ihrer Meinung nach enthalten?

Enders: Für mich ist das Hauptziel, dass die EU die Körperdiskriminierung in ihre Richtlinie gegen Diskriminierung aufnimmt. In einigen Bundesstaaten der USA ist das bereits der Fall. Das wäre ein Signal an die Gesellschaft, dass auch diese Leute nicht diskriminiert werden dürfen.

Den Aktionstag gib es seit 20 Jahren. Was hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten verändert?

Enders: Es ist eher schlimmer geworden. Ich glaube, dass der Schlankheitswahn und der Wahn von Frauen, Kontrolle über ihre Figur zu bekommen und Erfolg an ihrer Figur messbar zu machen, eher zugenommen hat. Es hat in den letzten 20 Jahren sogar auch noch die Männer erreicht.