Hamburg. Wildblumensamen sind derzeit ein Riesengeschäft. Um Insekten zu helfen, gibt es aber auch andere Möglichkeiten.
Energiekonzernen traue ich so recht nicht über den Weg. Ob früher beim Ausstieg aus der Atomkraft oder jetzt aus der Kohle. Gerne drohten sie: In Deutschland gehen die Lichter aus. Aber wenn sie recht haben, haben sie recht – wenn jetzt etwa der baden-württembergische Stromriese EnBW warnt, man hinke bei der Energiewende gefährlich hinterher.
Im ersten Quartal dieses Jahres sind 90 Prozent weniger Windräder ans Netz gegangen als im Vorjahr. In Zahlen: genau 41. In den Jahren 2016, 2017 und 2018 waren es im gleichen Zeitraum noch jeweils deutlich über 300. „Das mit Abstand schwächste Quartal in diesem Jahrtausend“, klagt etwa die Fach-Agentur Windkraft. Arbeitsplätze werden weniger. Insolvenzen bedrohen Hersteller, Zulieferer und Wartungsfirmen. Senvion in Hamburg musste die Insolvenz beantragen. Allein der Bau von 200 Windkraft-Anlagen liegt derzeit auf Eis, weil Bürger und Verbände dagegen klagen. Deswegen wird eher der Berliner Flughafen fertig als die Stromtrasse von Nord nach Süd.
Typisch deutsche Krankheit
Eine typisch deutsche Krankheit. Alle sind für den Klimaschutz, die Energiewende, den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, für mehr Wohnungen und, und, und ... Aber bitte nicht vor meinem Haus, nicht in der Nähe meiner Wohnung, nicht am Weg zum Arbeitsplatz. Einfach nicht dort, wo ich betroffen bin.
Bienen haben es da leichter als Windräder. In Bayern war die Imme Symbol für das Volksbegehren „Rettet die Biene“ – und nicht zu stoppen. Nicht mal von der CSU. Die Landesregierung in Wiesbaden startete da lieber gleich freiwillig eine Kampagne für ein „Bienenfreundliches Hessen“. Halle an der Saale, zu DDR-Zeiten dank der Chemieriesen Buna und Leuna zu dreckiger Berühmtheit gelangt, wirbt mittlerweile mit dem Slogan „Bienenfreundliche Stadt“. Mit Bildern von Wildwiesen. Blühenden Landschaften. Wie die Provence in Frankreich mit ihren Lavendel-Feldern.
Anke fand Bellis perennis einfach süß
„Wäre“, fragte meine Frau Anke, „so eine Wildwiese nicht auch was für uns?“ Im Prinzip schon – wäre aus dem Rasen in unserem kleinen Mühlenpark im Wendland im Lauf der letzten 20 Jahre nicht längst eine Wiese geworden. Mit Krokussen und Narzissen. Wiesensalbei, Günsel, Löwenzahn und Co. kamen von selbst dazu. Und natürlich Gänseblümchen.
Anke fand Bellis perennis einfach süß. Die ersten drei Pflänzchen stammten noch aus dem Rasen einer Nachbarin, die etwas ungläubig fragte: „Wollt ihr die wirklich?“ Heute, fast 20 Jahre später, bedecken stellenweise ganze Teppiche den „Rasen“ auf dem gut 6000 Quadratmeter großen Grundstück. Anke findet das immer noch süß – ich denke mehr an das üppige Büfett, das die Tausendschönchen von März bis November bedrohten Insektenarten bieten.
Mit Lavendel, wildem Oregano, Schafgarben, Katzenminze oder Ziest zum Beispiel hätten wir ja auch eine Art Blühstreifen an dem ebenso sonnigen wie trockenen Weg, der zu unserer kleinen Mühle führt. Die beste Zeit, Wildblumen einzusäen, sei ohnehin so gut wie vorbei – nämlich von März bis Ende Mai. Zur Sicherheit zeigte ich meiner Frau noch die Homepage von Rieger-Hofmann, einem der Branchenführer unter den Händlern für Bio-Samen. „Keine Auftragsannahme für Privatkunden“, stand da. Und: Bis zum 30. Juni könnten auch nur noch Bestellungen mit einem Mindestwert von „64,26 Euro inkl. Mwst“ angenommen werden. Ankes Tütchen „Blühende Landschaft“ für 9,95 Euro, ausreichend für zehn Quadratmeter, falle da ja wohl nicht drunter.
Neue Liebe der Deutschen zur Biene
Durch die neue Liebe der Deutschen zu Biene und Konsorten seien regelrechte „Goldgräberzeiten“ bei Händlern von Wildblumensamen-Mischungen ausgebrochen, schrieb neulich die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“. Ich gönne das den Samenhändlern, die sonst ein eher ruhiges, aber durchaus auskömmliches Einkommen in einer Art Öko-Nische hatten. Offenbar haben sie genügend Wildsamen auf Lager, aber nicht genug Leute zum Mischen, Verpacken und Versenden. Obwohl sie, wie der Branchenführer, ihr Personal deutlich aufgestockt haben. Facharbeitermangel also auch im Öko-Gewerbe.
Was ich Anke zunächst nicht gesagt habe: Bei einer meiner Lieblingsgärtnerinnen, Karen Schoebel vom Duft- und Wandelgarten in Bergen an der Dumme, hätte ich so ein Tütchen „Blühende Landschaften“ noch bekommen. Aber mal ehrlich: So ein Blühstreifen wäre auch mit richtig Arbeit verbunden gewesen. Man kann die Samenmischung nämlich nicht einfach über den Rasen streuen. Erst einmal muss die Grasnarbe weg, dann wird umgraben. Echt mühsam, bis man endlich die erste Wildblume gesät hat.
Stattdessen habe ich Silberkerzen-Pflanzen (Cimicifuga racemosa) gekauft. Die Sorten C. „White Pearl“ und C. „Brunette“ werden gut anderthalb Meter hoch, sind pflegeleicht und winterhart. Sie wachsen gut im Schatten und blühen im September und Oktober. Manchmal bis November – wenn das Büfett für bedrohte Insekten nicht mehr so reich gedeckt ist wie im Frühjahr und Sommer.
Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth