Hamburg. Kann ein Elektro-VW für 40.000 Euro eine Antwort auf den Klimawandel sein? Einstweilen tue ich was gegen das Artensterben.
Mein erstes Auto war ein Käfer. Ein Volkswagen, Standard-Ausführung mit 27 PS und Seilzugbremse. Gebraucht natürlich. Baujahr 1957, Neupreis 3770 Mark, also weniger als 2000 Euro. Die Farbe war Gelb, ich hatte ihn auf einer Versteigerung der Bundespost erstanden. 300.000 Kilometer hatte er schon auf dem Buckel, 200 Mark musste ich bezahlen.
Das war 1969 und die Bundestagswahl im September auch mein erstes Mal. Ich 21 geworden, damals noch das Mindestalter. Die SPD erhielt 42,7 Prozent der Stimmen. Eine Volkspartei. Willy Brandt wurde Kanzler.Heute dümpelt die Partei in den Umfragen bundesweit unter 20 Prozent. Ist die SPD immer noch eine Volkspartei?
Dann wäre Volkswagen in Wolfsburg auch eine Firma, die Wagen fürs Volk herstellt – ganz abgesehen davon, dass sie beim Diesel das Volk jahrelang betrogen hat. Dafür musste sie gerade ein Bußgeld von über einer Milliarde Euro zahlen. Diese Woche hat VW in Berlin das neue Elektro-Auto vorgestellt. ID.3 soll der neue Hoffnungsträger des Konzerns heißen – im nächsten Jahr sollen erst einmal 30.000 Exemplare zu kaufen sein.
Auto fürs Volk?
Aha, dachte ich, das ist also der neue Volkswagen, das Elektro-Auto fürs Volk. Der Nachfolger von Käfer und Golf, von denen weltweit jeweils über 20 Millionen Exemplare verkauft wurden. 30.000 ID.3 will VW also im nächsten Jahr ausliefern. Kostenpunkt: 40.000 Euro. Später soll es noch eine Version für knapp unter 30.000 Euro geben. Aber ist das ein Auto fürs Volk, ein Volkswagen?
Den Namen führt der Konzern immerhin noch. Ich weiß, dass Vergleiche hinken. Wegen der unterschiedlichen Kaufkraft, zum Beispiel. Als Neuwagen hatte mein späterer Käfer 1957 weniger als 2000 Euro gekostet, und ein durchschnittlicher Arbeitnehmer verdiente monatlich umgerechnet 200 Euro. Okay, ein Fernseher war fast unerschwinglich, dafür die Miete deutlich geringer.
Einen Golf in der preiswertesten Version gibt es heute für unter 20.000, einen Polo für 15.000. Auch wenn es 4000 Euro Prämie vom Staat gibt, sind 40.000 oder 30.000 Euro für einen ID.3 kaum ein Preis, bei dem Krankenschwestern, Altenhelfer, Paketzusteller, Rentner oder Mindestlöhner Verkaufsstellen von Volkswagen stürmen werden.
Pflanze per Zufall entdeckt
Was wird wohl Juso-Chef Kevin Kühnert zum neuen Volkswagen von Volkswagen sagen? Ich weiß es natürlich nicht. Aber egal, was er sagen wird, die halbe Republik wird in eine Schnappatmung verfallen. Wie neulich die halbe SPD, die alte Volkspartei, bei seiner Kritik am Turbo-Kapitalismus, die er mit Verstaatlichungsideen garnierte. Ich glaube, Kühnert hat bei vielen Menschen einen Nerv getroffen. Da läuft was schief, meinen auch die Menschen in meinem Dorf im Wendland, wo sich auch unser kleiner Mühlenpark befindet. Unsere Nachbarn sind sonst gegen sozialistische Ideen so immun wie Kinder nach der Impfung gegen die Masern. Aber nachdenklich machen seine Ideen schon – auch wenn man nicht gleich BMW verstaatlichen will.
Sind 40.000 Euro teure Elektro-Autos von VW also die deutsche Antwort auf den Klimawandel? Ich lasse mich da gern eines Besseren belehren und pflanze erst einmal zum Beispiel Melittis melissophylum gegen das Artensterben bei Insekten. „Melittis was?“, fragte meine Frau Anke. Hatte sie noch nie gehört. Ich auch nicht, bis ich die Pflanze per Zufall in einem Katalog entdeckte.
Auf Deutsch heißt sie „Immenblatt“, weil sie offenbar Bienen magisch anzieht – und natürlich auch Hummeln und Schmetterlinge, vom Artensterben so bedroht wie die Schwestern und Brüder von Maja und Willi. Und ich tue was für die Artenvielfalt bei Pflanzen. Das Immenblatt, das auch Bienensaug oder Waldmelisse heißt, gibt es in der freien Natur kaum noch. Wer es also im Garten pflanzt, tut auch etwas für die Vielfalt oder Biodiversität, wie das heute heißt.
Kleine Horste
Im Mai und Juni bildet das taubnesselähnliche Immenblatt, das zwischen 30 und 50 Zentimeter hoch wird, bis zu fünf Zentimeter große Blüten. Deren Farbe reicht von Weiß über Rosa bis Dunkelrot. In der Natur wächst das wertvolle Kraut bevorzugt an licht- bis halbschattigen Standorten, etwa an den Rändern von Gehölzen oder in lichten Laubwäldern. Oberirdisch stirbt die Pflanze im Winter ab. Die Wurzeln überleben Minustemperaturen bis knapp 25 Grad. Im Frühjahr schneidet man die abgestorbenen Reste am besten ab. So viel Pflege darf schon sein.
Über unterirdische Rhizome bildet das Kraut kleine Horste, ohne gleich zu wuchern. Natürlich hat das Immenblatt auch eine lange Geschichte als Heilkraut, beschrieben etwa von Plinius dem Älteren. Das ist der berühmte Naturforscher, der 79 nach Christus beim Ausbruch des Vesuvs ums Leben kam. Extrakte sollen etwa gut sein gegen Gicht oder bei Menstruationsbeschwerden helfen. Meine Frau Anke und ich werden das wohl nicht ausprobieren. Bevor man das tut, sollte man auf jeden Fall einen Arzt oder Apotheker befragen. Wegen Beschwerden oder Nebenwirkungen. Sie wissen schon.
Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth