Hamburg. Sand gibt es im Wendland satt, Findlinge ebenso. Beides ist ja das gleiche Material. Anderswo wird es knapp.
Wie ungerecht die Welt doch ist. „In Deutschland wird der Sand knapp“, las ich vor einigen Wochen in der Tageszeitung „Die Welt“. Nicht nur bei uns. Weltweit. Um Beton für den Bau neuer Wolkenkratzer anrühren zu können, importieren die Scheichs in Dubai bereits Sand aus Australien. Wüstensand, den sie ja satt haben, geht nicht. Zu fein. Die deutsche Bauwirtschaft warnt bereits vor Engpässen. Auch bei uns. Die Baupreise steigen – und damit die Mieten.
Meine Frau Anke und ich haben Sand satt. Unsere kleine Mühle im Wendland ist praktisch auf Sand gebaut. Wenn ich in unserem kleinen Mühlenpark eine Pflanzgrube aushebe, stoße ich spätestens nach 30 Zentimetern auf Sand. Schön körnig, das würde die Bauwirtschaft freuen. Mein Sand ist nicht von hier. Die Gletscher der Eiszeit haben ihn aus Skandinavien hergeschoben. Wie die Feldsteine, mit denen wir unser gut 6000 Quadratmeter großes Grundstück umgeben haben. Drinnen haben wir etliche Beete mit kleineren Steinen eingefasst. Unser kleiner Mühlenpark ist auch ein großer Steingarten.
Die größten Findlinge sind mehr als einen Meter hoch. Echte Kaventsmänner, tonnenschwer. Nachbar Peter brauchte seinen größten Trecker, um die dicken Biester auf einen Anhänger hieven zu können. Schätzungsweise 50 Anhänger mit Feldsteinen haben wir so zur Mühle geschafft. Hunderte von Tonnen schwer. Erst waren die Bauern froh, wenn wir an Wald- und Feldrändern die Feldsteine einsammelten, die sie mühsam vom Acker dorthin befördert hatten. Manche hatten dort wohl schon Jahrzehnte gelegen. Später, als sich herumgesprochen hatte, dass ein offenbar verrückter Zuwanderer aus Hamburg ganz scharf auf ihre Steine war, mussten wir auch mal 50 oder 100 Mark (für die Jüngeren: 25 bis 50 Euro) für einen vollen Anhänger bezahlen.
Sand ist ein Gestein
„Sind wir jetzt steinreich?“, fragte meine Frau Anke, für die ich den Artikel aus der „Welt“ extra ausgeschnitten hatte. Denn dort stand nicht nur, dass Sand eine kostbare Ressource werde wie etwa das Öl. Von dem wissen wir ja, dass es mal ausgeht. Der Unternehmerverband Mineralische Baustoffe schlägt schon mal Alarm: „Rechnerisch verbraucht jeder Deutsche ein Kilo Stein pro Stunde.“
Dazu muss man wissen, dass Sand ein Gestein ist, Kies also der kleinste Verwandte unserer Feldsteine ist. Wenn Sie also diese Kolumne am Wochenende beim Frühstück, sagen wir mal um zehn Uhr, lesen, haben Sie bereits zehn Kilo Gestein verbraucht. Zum Vergleich: Jeder Deutsche verbraucht knapp 100 Kilo Gemüse. Rechnerisch. Im Jahr. Und wenn es den Sand nicht mehr wie Sand am Meer gibt, müssen wir ihn wohl aus demselben holen, befürchtet der Naturschutzbund (Nabu) und sorgt sich um die Unterwasser-Umwelt. In der Nordsee wird schon länger Sand abgebaut.
Bevor aber jetzt jemand auf die Idee kommt, meine geliebten Feldsteine zu enteignen, weise ich vorsichtshalber noch mal darauf hin, dass sie allesamt Migranten aus der Eiszeit sind. Mit dem Findlingspark in der „Clenzer Schweiz“, gut 20 Kilometer östlich von Uelzen gelegen, haben sie sogar eine Art Freilichtmuseum bekommen.
Extra-Rosen für Anke
Mein Lieblingsfindling steht in unserem kleinen Mühlenpark. Fast zwei Meter ist er hoch, sieht aus wie einer der Hinkelsteine, wie sie Obelix in den berühmten Asterix-Comics dank Zaubertrank locker auf dem Rücken trägt. Mein Freund Peter und ich brauchten allerdings einen Trecker und einen Flaschenzug, um ihn aufzustellen. Ist nicht auf Sand gebaut. Wir haben eine große Grube gegraben, mit Beton aus (Wendland-)Kies aufgefüllt und drei daumendicke Stäbe aus nicht rostendem Stahl eingepasst. Auf die haben wir mit einem Flaschenzug den Hinkelstein in vorher gebohrte Löcher gesetzt. Sitzt, passt und wackelt nicht.
Anke hat allerdings ein Jahr gebraucht, bis sie sich zum ersten Mal traute, an ihm zu rütteln. Um seine Standfestigkeit zu überprüfen. „Steht“, befand sie danach, „bombensicher.“ Unseren Hinkelstein habe ich zum Weltkulturerbe erklärt. Auf eine amtliche Anerkennung habe ich allerdings verzichtet. Aber damit steht er für mich sozusagen unter meinem persönlichen Denkmalschutz. Ist auch wohl notwendig. Meine Frau ist nämlich bei uns, unter anderem, für die Deko zuständig – in und außerhalb der Mühle. Zwei gut einen Meter hohe und fast ebenso breite Findlinge an einem der Eingänge zu unserem kleinen Mühlenpark wollte sie mal blau anstreichen und nächtens anstrahlen lassen.
Wir fanden einen Kompromiss. Ich habe für sie Extra-Rosen gepflanzt. Bringt ja schließlich auch Farbe in den Garten. Als Unbekannte den „Alten Schweden“ am Hamburger Elbstrand – auch der ein Findling – golden angemalt hatten, fand sie die Bilder übrigens ganz toll. Ich auch. Aber mal ehrlich: Hinkelstein in Gold? Bei solch einer Diskussion stecke ich lieber den Kopf in den Sand. Erst mal.
Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth