Fitilaria meleagris wuchs früher in den Elbmarschen massenhaft. Heute ist sie streng geschützt. Im Garten erlebt sie eine Renaissance.
Joachim Jungius war ein echter Allrounder – Mathematiker, Physiker, Philosoph, Mediziner. Unter anderem. Von 1629 bis zu seinem Tod im Jahr 1657 war der Mann mit den vielen Neigungen Rektor des Akademischen Gymnasiums in Hamburg und des Johanneums. Ersteres war der Vorläufer einer Universität, das Johanneum, heute ein hoch angesehenes Gymnasium, damals „nur“ eine Lateinschule.
Der Mann, einer der Giganten der akademischen Geschichte Hamburgs, war aber auch das, was man einen leidenschaftlichen Gärtner nennt. Neben einem Nutzgarten mit Spargel, Spinat und Möhren pflegte er einen Ziergarten mit Malven und Tulpen, Kaiserkronen und Schachbrettblumen – Gewächsen, von denen damals eine einzelne Zwiebel so viel kostete wie ein Arbeiter für einen harten Tag im Hafen bekam.
„Aber die sind doch heute nicht mehr so teuer?“, fragte meine Frau Anke skeptisch und rechnete offenbar nach, wie viel ich für das gute Dutzend dieser aparten Blütenpflanze in unserem kleinen Mühlenpark im Wendland ausgegebenen haben könnte. Anke ist ein wunderbarer Mensch, liebt den Garten und mich – aber sie ist auch ein sparsame Hausfrau. „Sonderangebot“, murmele ich bei solchen Fragen. „Runtergesetzt“ ist ihr Zauberwort beim Shoppen – und dann müssen wir beide lachen.
Aber ganz billig ist Fitilaria meleagris, so der lateinische Name für die Verwandte der Tulpe, auch nicht. Gut drei Euro kostet eine Pflanzzwiebel, im Dutzend sind sie bei den großen Versandgärtnereien für weniger als 2,50 Euro das Stück zu haben. Nicht gerade wenig für eine krautig wachsende Blume mit den aparten, aber zierlichen Blüten, die nur 15 bis 20 Zentimeter hoch wird.
Zu Jungius’ Zeiten war sie eine ausgesprochene Rarität, die ursprünglich aus Südfrankreich, Kroatien, Serbien und Rumänien stammt. Erstmals 1572 in der botanischen Literatur erwähnt, war sie schon im 17. Jahrhundert der Hit in den Barockgärten der Reichen und Schönen jener Zeit – und büxte schnell daraus aus. Etwa 1750 gibt es erste verwilderte Sorten in England. Dort heißt die Schöne aus der Familie der Liliengewächse auch Schlangenkopf, weil die zunächst aufrechten Knospen sich zur Blüte nach unten senken.
In der freien Natur ging die Schachbrettblume, die bei uns auch Kiebitzei oder einfach Schachblume heißt, ab wie sonst nix – weil die Einwanderer vom Balkan das passende Umfeld vorfanden. Und das sind stickstoffarme, durchlässige und immer etwas feuchte Standorte in der Sonne. In den Marschwiesen an der Elbe vermehrte sich die Schachbrettblume derartig, dass sich Jungen und Mädchen vor gut 50 Jahren zur Blütezeit im April ein dickes Taschengeld verdienen konnten, wenn sie die sogenannten Elbtulpen massenhaft als Schnittblumen auf Hamburger Blumenmärkten verhökerten. Heute sind die meist schachbrettartig purpurrot gemusterten Blumen streng geschützt. Flussbegradigungen und Deiche haben die Umweltbedingungen für die bis dato als Musterbeispiele für die Integration botanischer Zuwanderer geltenden Pflanzen dramatisch verschlechtert. Die Schachblumenwiesen in Hetlingen an der Unterelbe, im Seevetal, an der Süderelbe bei Moorwerder oder im Duvenstedter Brook gelten unter Naturfreunden als Hotspots, zu denen für Interessierte von Naturschützern und Wanderfreunden zur Blütezeit eigens Exkursionen organisiert werden.
In den Gärten erlebt das Kiebitzei, das es auch in fast Reinweiß mit nur zartem Schachbrettmuster gibt, in den letzten Jahren eine Renaissance – obwohl die Pflanze nicht ganz einfach ist. Sie braucht nicht nur einen sonnigen Standort mit einem nicht zu nährstoffreichen Boden. Trockenperioden im Sommer übersteht sie nur schlecht. Ich hatte es mir mit meinen ersten Schachbrettblumen wohl zu einfach gemacht. Ich hatte sie zwar fachgerecht im August gepflanzt, mich dann aber wohl nicht ausreichend gekümmert. Der kleine Tuff aus etwa zehn Pflanzen wurde immer kleiner, bis plötzlich etliche Meter weiter unter einer Stammrose neue Exemplare auftauchten. Samen vom Wind oder von Ameisen dorthin verschleppt? Egal, mittlerweile sind aus einer Pflanze wieder fünf geworden. Wahrscheinlich, weil die Rose über den Sommer brav gegossen wird und die Schachbrettblumen immer automatisch genug abbekommen.
Stattdessen hatte ich Kaiserkronen gepflanzt, sozusagen die robustere und über einen Meter groß werdende Schwester der Schachbrettblume, eine Zuwanderin aus dem Orient. Ihre Zwiebeln riechen unangenehm und sollen nach einer alten Gärtnerweisheit Wühlmäuse vertreiben.
Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth