Es dauert oft lange, bis Legastheniker erkannt werden. Bis dahin ist Schule eine Tortur

Ich bin nicht dumm! Dennoch, bis zur dritten Klasse konnte ich nicht lesen, und niemand hat es bemerkt. Ich hatte Angst, in der Schule vorzulesen, da ich Angst hatte, von meinen Mitschülern ausgelacht zu werden. Auch heute noch - in der neunten Klasse - kämpfe ich mit jedem Wort, das ich schreiben muss. Und das alles nur wegen meiner Legasthenie. Ich bin Legasthenikerin, und das zu akzeptieren war nicht immer einfach und ist es heute auch noch nicht.

Es gab immer nur einen Menschen, der gesehen hat, dass ich nicht gut lesen und schreiben konnte, das war meine Mutter. Sie hat immer versucht, es den Lehrern klarzumachen, aber die Lehrer haben nicht darauf gehört. Meine Mutter hat mich immer unterstützt und geholfen. Und ich bin ihr sehr dankbar dafür.

In der vierten Klasse, als ich zehn Jahre alt war, wurde erstmals mit mir ein Intelligenztest gemacht. Es war ein schlimmer Test über drei Stunden ohne Pause: Deutsch, Mathe und andere Logikaufgaben. Das war schrecklich, aber es musste sein, damit erkannt wurde, dass ich nicht dumm bin, sondern nur Legasthenikerin. Damit konnte ich auch bei REBUS (Regionale Beratungs- und Unterstützungsstellen) anerkannt werden und das nötige Geld für eine professionelle Nachhilfe bekommen. Der Test hat bewiesen, dass ich eine hochgradige Legasthenikerin bin. Seitdem mache ich eine Lerntherapie bei Frau Liebrand. Sie hat mir sehr geholfen, denn damals konnte man meine Schrift nicht entziffern, weil ich ziemlich viele Rechtschreibfehler hatte. Nicht einmal ich konnte noch lesen, was ich schrieb. Außerdem bekam ich jedes Mal Kopfschmerzen und Fieber, wenn ich mehr als drei Seiten gelesen hatte.

Dabei interessieren mich Geschichten, deswegen höre ich auch immer gern Hörbücher. Das mache ich heute immer noch viel lieber als lesen.

Ich habe auch schon immer gern Geschichten geschrieben. Wenn ich Geschichten schreibe, ist es mir egal, wie viele Fehler ich mache.

Im letzten Sommer habe ich mein erstes Buch gelesen. Ein richtig dickes Fantasy-Buch. Ich war sehr stolz, dass ich so einen großen Fortschritt gemacht habe. Frau Liebrand sagte zu mir, dass ich mich wegen der Pubertät sehr verbessert habe. Heute gehe ich nur noch alle 14 Tage zu ihr, während ich früher zweimal in der Woche bei ihr war. Ich musste viele Rückschläge und Mobbing von Mitschülern ertragen. Noch heute ist es so, dass, wenn ich etwas falsch schreibe und das jemand sieht, gesagt wird: ,,Wie hast du das denn geschrieben, wieso kannst du das denn nicht?" oder: ,,Mein Gott, du kannst ja schlecht schreiben". Das ist für mich wie ein Schlag ins Gesicht. Aber ich glaube, diese Krankheit hat mich auch stark gemacht, denn dadurch habe ich kämpfen gelernt. Als ich in der Grundschule war, war ich immer die Schlechteste und später habe ich mir geschworen, nie wieder die Schlechteste, egal worin, zu sein. Das hat mir die Kraft gegeben, immer weiterzukämpfen. Heute habe ich das Ziel, Abitur zu machen und zu studieren. Das war damals in der Grundschule undenkbar.

Wegen meiner Legasthenie habe ich auch sogenannte Begünstigungen. Das bedeutet, dass ich in einer Deutscharbeit mehr Zeit als die andern bekommen kann, damit ich meine Fehler verbessere. Ich darf auch ein Wörterbuch mit zur Arbeit nehmen und in Fächern wie Bio oder Chemie dürfen meine Fehler nicht gezählt werden. Deswegen gab es schon oft Streit mit Mitschülern. Meine Mitschüler finden das unfair, aber sie verstehen nicht, wie schwer es für mich ist. Ich will ja nicht schummeln, ich möchte einfach nur die gleichen Chancen haben wie die anderen. Denn es ist nichts anderes als eine Krankheit, für die ich nichts kann, und ich habe mir schon mehr als 1000-mal gewünscht, sie nicht zu haben.