Von Mahnmalen bis zu Stolpersteinen: Die Formen des Gedenkens an Opfer der Nazis sind vielfältig.

Treten Anwälte und Richter aus dem Oberlandesgericht am Sievekingplatz, fällt ihr Blick auf die großen Ziffern in der schlichten grauen Betonwand: 1933. Die Münchner Künstlerin Gloria Friedmann hat sie gegenüber dem pompösen Portikus unter der Kuppel unübersehbar platziert.

"Hier + Jetzt" - ihre Installation mit Stelen und Pflanzentöpfen vor dem Stadtbild Hamburgs - erinnert an das Unrecht der Justiz, die sich von der nationalsozialistischen Diktatur instrumentalisieren ließ. Und gemahnt auch an den gegenwärtigen "Anspruch auf Gleichheit vor dem Recht". Wie die verschiedenartigen Pflanzen - die einheimischen und die fremden, die krausen und die glatten, die dornigen, exotischen oder mimosenhaften - Anspruch auf gerechte sorgsame Pflege haben, so auch die Menschen in dieser Stadt.

Die Behörden haben sich lange gegen das Mahnmal im öffentlichen Raum gewehrt, hätte nicht eine unnachgiebige Projektgruppe den renommierten Juristen und Senator Wolfgang Hoffmann-Riem gewinnen können. Er hat 1997 das Kunstwerk im Gedenken an die inhumanen Urteile und Verbrechen am Menschenrecht im Namen des "Rechts" durchsetzen können.

Jetzt mögen Menschen täglich in Auto oder Bus daran vorbeifahren und sich verwundert fragen: Wer hat wohl diese "Blumenpötte" auf den verschieden hohen Metalltischen so "unordentlich" vor dem himmelblauen, blitzsauberen Hamburg-Panorama aufstellen dürfen? Und was haben sie wohl zu bedeuten? Ihrem Unwissen wird abgeholfen. Die neue Rathaus-Ausstellung "Die Orte bleiben" informiert umfassend und thematisch klar gegliedert über die "Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in Hamburg". Ein aktualisierter "Wegweiser zu Stätten der Erinnerung an die Jahre 1933- 1945" erscheint am 20. Januar zur Eröffnung der Ausstellung. Die Broschüre "Gedenkstätten in Hamburg" - herausgegeben von der Landesstelle für politische Bildung und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme - ist dort wie auch im Rathaus für 2 Euro erhältlich.

In sechs Abschnitte haben die Kuratoren Kerstin Klingel und Detlef Garbe die von der Bürgerschaft unterstützte und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme ausgerichtete Schau in der Rathausdiele gegliedert. Im ersten dokumentierten sie die geschichtliche Entwicklung und den "langen Weg" der Hamburger, sich der Nazi-Vergangenheit zu stellen. An weiteren Säulen informieren Tafeln über die "Gedenkstätten zur Erinnerung an die Judenverfolgung und den Holocaust", die "Haftstätten und andere Orte der Verfolgung" sowie "Gedenkstätten zur Erinnerung an Bombenkrieg und Feuersturm". Der Abschnitt "Zur Erinnerung an andere Opfer nationalsozialistischer Verfolgung" ist den Opfern der "Euthanasie"-Aktionen, den ermordeten Homosexuellen, Sinti und Roma gewidmet.

Nicht nur einen Überblick über Gedenkorte und -tafeln aus stadtteilbezogenen oder privaten Initiativen - wie jene der "Stolpersteine" - biete die Ausstellung, erklärt Detlef Garbe. Auch verschiedene andere Aspekte der Erinnerungs- und Gedenkkultur habe er thematisiert, etwa Sonderveranstaltungen oder Schülerwettbewerbe.

Ein Begleitprogramm mit Busfahrten, Film-Matineen, Führungen durch verschiedene Gedenkstätten und Vorträgen ergänzt die Ausstellung, in der auch Führungen mit den Kuratoren stattfinden. Peter Hess und Beate Meyer sprechen über ihre, mit 2442 Stolpersteinen überaus erfolgreiche Initiative in Hamburg und die "Biografische Spurensuche zu den Stolpersteinen" (22.1. 2009, 18 Uhr, Rathauspassage). Stefanie Endlich reflektiert in ihrem Vortrag über Deutungen und Debatten der "Orte des Erinnerns in Deutschland 1945 bis 2008" (29.1.2009, 18 Uhr, Rathauspassage).

Zur Eröffnung der Ausstellung halten im Kaisersaal des Rathauses Bürgerschaftspräsident Berndt Röder, Viviane Vünsche und Detlef Garbe Reden. Am 20. Januar 2009 (18 Uhr, Rathaus ) spricht der Kurator nochmals über die Ausstellung und am 3. Februar 2009 (18 Uhr, Rathauspassage) über "Neuengamme enfin libere - Wieso das Verdrängen der Aufklärung weichen musste."

Aufklärung hält Christina Weiss für das wirksamste Mittel gegen alle Ideologien und Bewegungen, die Freiheit, Demokratie und Humanismus einschränken oder abschaffen wollten. Sie äußert sich im Geleitwort des Katalogs "Zeitspuren" zur Dauerausstellung in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, deren Entstehen die Rathaus-Schau ausführlich dokumentiert. Darin unterstreicht die Autorin und ehemalige Hamburger Kultursenatorin, es bedürfe der Pflege und zeitgemäßer Formen von Erinnerungskultur, um Aufklärung anschaulich zu vermitteln. Aus diesem Grund hat auch die Hamburgische Bürgerschaft am 23. Januar 2008 beschlossen, ein "Gesamtkonzept für Orte des Gedenkens an die Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 in Hamburg" erarbeiten zu lassen.

Erinnerungsorte spielen deshalb eine unverzichtbare Rolle, weil immer mehr Zeitzeugen fehlen, um mit lebendigen Berichten über das erduldete Leiden zur Aufklärung beizutragen. "Denn wenn die mündliche Überlieferung fehlt, lässt sich Geschichte allein nicht aus historischen Fakten begreifen", schreibt Weiss. "Unsere Sprache des Erinnerns braucht die Metaphern des Raumes, des Ortes, um eine Ahnung des Schreckens zu haben."

Gloria Friedmann hat mit "Hier + Jetzt" einen solchen Erinnerungsraum geschaffen. Er ruft auf eine poetische Weise, unaufdringlich, doch nachdrücklich das im Dritten Reich vollzogene Unrecht in Erinnerung und fordert Toleranz, Gerechtigkeit und Menschlichkeit für eine globalisierte, zeitgemäß offene Gesellschaft.


Die Orte bleiben - Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in Hamburg Rathausdiele, Rathausmarkt 1, Eröffnung 20.1.2009, 11 Uhr, bis 13.2.2009, Mo-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 10-13 Uhr, T. 428 13 15 36.