Berlin. Zahlreiche Menschen schwören auf den vorübergehenden Verzicht auf Essen. Doch warum ist Fasten so gesund?
- Fasten ist nicht nur fester Bestandteil unterschiedlicher Religionen
- Immer mehr Einzelpersonen probieren verschiedene Arten des Fastens aus
- Doch ist der Verzicht auf Essen gesund? Ein Experte erläutert
Fasten ist ganz anders als sein strenger Ruf. Nicht so bitter, süßer. Fasten ist das Gummibärchen für die Seele, ist die Schokolade, die uns wirklich gute Laune macht. Fasten befreit den Kopf von Problemen, die uns keinen klaren Gedanken fassen lassen. Und die Seele vom ewigen Besserwisser in uns, der jegliches Gefühl zerpflückt und uns nicht zu uns selbst kommen lässt.
Fasten gibt uns Selbstvertrauen – vorausgesetzt, dass wir uns die Kur selbst verordnen und sie uns nicht wieder vom ewig nörgelnden Spiegel vorschreiben lassen, der uns schon in so viele sinnlose Diäten gehetzt hat. Wobei wir auf unserem neuen Weg nicht plötzlich zum Asketen werden müssen. Da gibt es was Besseres, Sinnlicheres: das Fasten in kleinen Schritten nach der Glücks-Formel 16:8. Klingt spannend. Ist es auch. Lesen Sie auch: Experten über die Abnehmspritze der Stars: Bei wem sie wirkt
Fasten klingt schrecklich, klingt nach Askese, klingt nach heiligen alten Männern, die in Höhlen sitzen und der Erleuchtung entgegen darben. Und nichts essen, gar nichts. Aber wir reden natürlich nicht vom strengen Fasten der Eremiten, sondern eher von Essen in Etappen, Genießen auf Raten, Fasten nach der Uhr, kurz und schmerzfrei. Dass wir dabei auch noch ein paar Pfunde verlieren, ist die Belohnung für die neue Ordnung im Küchenplan, die uns vor allem wieder näher zu uns selbst bringt und auf das Wesentliche besinnen lässt.
Fasten: Arzt erklärt das 16:8-Prinzip
Fasten beflügelt und dabei brauchen wir dem Essen zum Glück nicht einmal zu entsagen. Kurzzeitfasten ist das neue Fasten, kurz, knapp, einem genauen Terminplan angepasst, wie es unserer Zeit entspricht. Der Arzt und Bestsellerautor Ruediger Dahlke erklärt der Zeitschrift "Herzstück" der Funke Mediengruppe: „Kurzzeitfasten ist eine Form intelligenten Essens, das einem eigenen Rhythmus folgt.“
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Das Prinzip ist simpel: Kurze Phasen der Enthaltsamkeit wechseln mit Phasen ab, in denen wir normal essen. Die einfachste Form des Kurzzeitfastens praktizieren wir alle schon jeden Tag: nachts im Schlaf. Allerdings sollte die Esspause mindestens 12 Stunden dauern. „Wer nach der 16:8- oder 18:6-Formel fastet und die Esspause also auf 16 bzw. 18 Stunden verlängert, profitiert noch stärker von den positiven Effekten des Fastens“, sagt Ruediger Dahlke. Geht ganz einfach, indem man Frühstück oder Abendessen ausfallen lässt. Lesen Sie dazu: Tipps zum Intervallfasten: So macht man es richtig
Das Gute daran: Wir bekommen von der Fastenzeit kaum etwas mit, weil wir sie zum Großteil verschlafen. Außerdem werden wir großzügig belohnt: Beim Fasten schüttet der Körper nach 6 bis 8 Stunden das Wachstumshormon HGH aus. Dieses Hormon erfüllt uns mit Glücksgefühlen, hellt unsere Stimmung auf, ähnlich wie beim Joggen. „Darüber hinaus ist es für viele notwendige und oft überfällige Regenerations- und Reparatur-Vorgänge im Organismus zuständig“, erklärt Ruediger Dahlke.
Nichts Essen: Eine Wohltat für Körper, Geist und Seele
Schon die Fastenpäpste Otto Buchinger und Helmut Lützner wussten, dass Fasten nicht nur beim Abnehmen hilft, sondern vor allem auch gesund ist. Dafür gibt es gerade für das Kurzzeitfasten in den letzten Jahren viele neue wissenschaftliche Beweise. Mal eine Mahlzeit auszulassen senkt den Blutdruck, gleicht Blutzucker- und Cholesterinspiegel aus und verbessert die Entzündungsmarker. Gerade schwankende Blutzuckerwerte und chronische Entzündungen sind eine Ursache von häufigen Zivilisationskrankheiten, von Depression über Diabetes, Herzinfarkt bis zum Krebs. Auch interessant: Intervallfasten: So hilft es bei Bluthochdruck und Diabetes
Außerdem machten Forscher die erstaunliche Entdeckung, dass Kurzzeitfasten die Produktion sogenannter „neurotropher“ Stoffe begünstigt, die das Wachstum und die Vernetzung der Nervenzellen fördern. Damit helfen sie, Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson entgegenzuwirken.
Eine andere bahnbrechende Studie konnte zeigen, dass Kurzzeitfasten Stammzellen zur Bildung neuer Immunzellen anregt und so das Immunsystem von Grund auf regeneriert. Ein starkes Immunsystem ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine gute Gesundheit. Für Ruediger Dahlke liegt in dieser Erkenntnis zugleich die wissenschaftliche Erklärung für die lebensverlängernde Wirkung des Fastens, „denn Altern hat erheblich mit der Rückbildung unseres Immunsystems zu tun.“
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Weniger essen macht mehr aus uns, holt das Beste aus uns heraus, weckt schlummernde Fähigkeiten, schärft den Geist und tut der Seele gut. Beim Fasten fühlen wir uns wacher, und die Dinge gehen uns leichter von der Hand. Außerdem werden unsere Sinne feiner, sensibler und empfänglicher. „Wir nehmen besser wahr, was uns wirklich guttut und was wir brauchen, um gut zu leben, klar zu denken und glücklich zu sein“, sagt Ruediger Dahlke. Was wir verdrängten, wird laut. Was uns unbewusst belastet, wird wach – vielleicht spüren wir in uns plötzlich das Bedürfnis, bestimmte Dinge neu zu ordnen – sicher nicht nur in der Wohnung, auch in unserem Leben.
Fasten hat eine schier magische Wirkung, durch den konsequenten Verzicht stärkt es unser Selbstvertrauen, führt es uns auf das Wesentliche zurück, zu uns selbst. Wir können uns selbst nicht mehr ausweichen, nicht mehr aus Frust zu den Gummibärchen flüchten. „Fasten kann uns unsere Mitte finden lassen. In der Mitte ruhend, fühlen wir uns ausbalanciert und ausgeglichen und manchmal schon heil und rund“, sagt Ruediger Dahlke.
Arzt erklärt: Wer fastet, lebt besser
Für unsere Ururahnen war es übrigens keineswegs ungewöhnlich, nichts zu essen zu haben. Schließlich mussten sie ihre Nahrung erst einmal finden und womöglich noch erlegen. Im Laufe der Entwicklungsgeschichte waren unsere Vorfahren Hungerperioden notgedrungen immer wieder ausgesetzt. „Fasten ist also für unseren Körper nichts Neues, sondern ein uraltes bewährtes Programm, um Zeiten des Mangels zu überdauern und von den angelegten Reserven zu zehren. Wir haben das Fasten sozusagen in unseren Genen“, weiß Ruediger Dahlke.
Dabei lässt sich Kurzzeitfasten mühelos in den Alltag integrieren, viel leichter als Fastenkuren oder Diäten, denn das Konzept ist vollkommen flexibel. Ob wir 12, 16 oder 18 Stunden oder sogar jeden zweiten Tag nichts essen – wir können den Rhythmus von mageren und fetten Zeiten jeden Tag aufs Neue ganz auf unsere Bedürfnisse abstimmen und die Dauer so lange ausdehnen, wie es uns gefällt – im Extremfall auf unser ganzes Leben. Legen wir öfters mal Messer und Gabel zur Seite und genießen wir dann umso bewusster die Zeiten der vollen Teller! Vielleicht stellen wir überrascht fest, dass Fasten eine große Bereicherung für uns ist – und zwar für Körper, Geist und Seele.
Experten-Interview: So gesund ist Fasten
Ruediger Dahlke ist Arzt, Autor vieler Bücher und Leiter des Fasten- und Seminarzentrums TamanGa in der Südsteiermark, wo er ein umfangreiches Kursprogramm anbietet. Er beschäftigt sich seit über 40 Jahren mit Fasten.
Was ist gesünder? Kurzzeitfasten oder längeres Fasten?
Dahlke: Beide Fasten-Varianten sind gesund. Was im Einzelfall besser ist, kommt darauf an, was man möchte. Zur Gewichtsreduktion ist Kurzzeitfasten längeren Fastenzeiten meist überlegen, weil der Verlust der Kilos langsam und damit nachhaltig verläuft. Um gezielt etwas für seine Gesundheit zu tun, ist längeres Fasten wirksamer. Denn dabei erfolgt die erwünschte Regeneration noch intensiver. Im Anschluss daran tut es dem Körper gut, wenn man weiter kurzzeitfastet.
Für wen ist Kurzzeitfasten geeignet?
Dahlke: Die Antwort ist einfach: für praktisch alle. Jeder profitiert davon, einen Lebensrhythmus zu finden, der zu ihm passt, sich an Essenszeiten zu halten und mindestens über Nacht zu fasten. Selbst wenn man nur 12 Stunden fastet, kommt man in den Genuss der positiven Wirkungen des Wachstumshormons HGH: Die Stimmung steigt, der Darm macht Pause, und der Körper regeneriert sich.
Wie gelingt der Einstieg? Für manche Menschen ist ein radikaler Wechsel gut. Wer lieber langsam startet, lässt zuerst die Zwischenmahlzeiten weg. Das heißt, man verzichtet zwischen den drei Mahlzeiten und insbesondere nach dem Abendessen konsequent auf alle Naschereien, Snacks und sonstigen Knabber-Sachen. Als nächsten Schritt verlängert man die Esspausen, indem man zum Beispiel das Frühstück nach hinten schiebt und das Abendessen nach vorne verlegt. Von dort ist es nur noch ein kleiner Schritt, Frühstück oder Abendessen ganz ausfallen zu lassen und nach der 16:8-Formel zu fasten.
Wie lange ist Kurzzeitfasten sinnvoll?
Dahlke: Beim Kurzzeitfasten gibt es keine zeitliche Begrenzung, im Prinzip lässt sich das ein Leben lang praktizieren. Die Erfolge zeigen, dass es nie zu spät ist, um damit zu beginnen, denn nicht nur unser Gehirn, auch Herz, Leber und andere Organe besitzen eine verblüffende Erneuerungskraft. Mich berührt es als Arzt immer wieder zu beobachten, wie regenerationsfähig unser Körper ist.
Was bedeutet Fasten für Sie?
Dahlke: Bei mir ist Kurzzeitfasten schon seit Jahrzehnten täglich angesagt, und ich fühle mich sehr wohl und fit dabei. Persönlich möchte ich Fasten nicht mehr missen. Für mich gibt es keine bessere und einfachere Methode, sich bis ins hohe Alter gesund und fit zu halten.
- Zum Weiterlesen: „Kurzzeitfasten – Mit Esspausen gesünder, länger und schlanker leben” von Ruediger Dahlke (Südwest Verlag, 17 €)