Berlin. Mit dem E-Bike statt dem Auto zur Arbeit – die Verkehrswende braucht mehr Radfahrer. Doch einige Probleme müssen vorher gelöst werden.
„I want to ride my bicycle, I want to ride my bike“: Als Freddy Mercurie und seine Band Queen vor mehr als 40 Jahren diese Zeilen über das Fahrrad sangen, dachten sie mit Sicherheit noch nicht an den Boom, den die Corona-Pandemie auslösen sollte. Doch viele Menschen machen seit Beginn der Krise Ernst – sie fahren Rad. Und im Zeitalter der E-Mobilität fällt ihre Wahl dabei oft auf E-Bike oder Pedelec.
Ein Pedelec (pedal electric cycle) ist ein Rad, das den Fahrenden mit einem Elektromotorvon höchstens 250 Watt Leistung unterstützt, während er oder sie selbst in die Pedale tritt. Schnelle Pedelecs, auch Schweizer Klasse oder S-Klasse genannt, zählen nicht mehr zu den Fahrrädern, sondern zu den Kleinkrafträdern.
Die Motorunterstützung wird erst bei einer Höchstgeschwindigkeit von 45 Kilometern pro Stunde abgeschaltet und ihre Motoren dürfen bis zu 500 Watt Leistung bringen. Darüber hinaus gibt es Elektromofas: Sie fahren nur mit Hilfe des Elektroantriebs und ohne in die Pedalen zu treten.
E-Bike statt Auto für das Klima
Der Boom wird Folgen haben für die Mobilität der Gesellschaft. Darin sind sich Fachleute einig. Doch wie weitreichend diese sein könnten, ist umstritten. Wird das E-Bike wirklich ein Teil jener Zukunft sein, in der Verkehre der Umwelt weniger schaden?
Autos und Lkw emittieren heute nach Angaben des Umweltbundesamtes pro Fahrzeug weniger Treibhausgase, Luftschadstoffe und Feinstäube als noch 1995. So sanken die verkehrsleistungsbezogenen Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) bei Autos um knapp 5 Prozent, bei Lkw um mehr als 32 Prozent.
Weil aber mehr Autos und Lkw unterwegs sind, sind die absoluten CO-Emissionen heute um 5,1 beziehungsweise 21 Prozent höher als 1995. Der gesamte Verkehrssektor – Straßen-, Schienen-, Schiffs- und Flugverkehr – war 2020 für fast 20 Prozent der Treibhausgasemissionen Deutschlands verantwortlich.
Pedelecs: Großes Potenzial in den Städten
80 Prozent der Autofahrten sind sieben Kilometer lang oder kürzer. Die Wege zur Arbeit sind oft nicht länger als 15 Kilometer. Das sind geeignete Streckenlängen für ein E-Bike. Selbst Lieferverkehre könnten durch elektrisch unterstützte Lastenräder ersetzt werden.
Langfristig, so berichteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Instituts für Verkehrsforschung beim Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt 2016, könnten bis zu 23 Prozent der Fahrten der sogenannten letzten Meile per Zweirad erfolgen. Das Potenzial scheint riesig, vor allem in der Stadt.
Auto statt Öffentlicher Nahverkehr durch Corona
Hinweise darauf, ob Wirtschaft und Bevölkerung das auch so sehen, geben diverse Untersuchungen. In Frankfurt am Main etwa haben Studierende unter Anleitung von Professorin Kerstin Wegener 2670 Frauen und Männer nach ihrem Freizeit- und Alltagsverhalten befragt. Bei den Teilnehmenden handelte es sich vornehmlich um Mitglieder des Automobilclubs ADAC aus Hessen und Thüringen. Das Projektteam befragte zudem Pedelec-Hersteller und -Händler sowie Expertinnen und Experten für den Radverkehr.
Die Untersuchung bestätigte, dass in der Corona-Pandemie viele Menschen öffentliche Verkehrsmittel gemieden hatten und auf individuelle Alternativen umgestiegen waren: Das Problem aus Umweltsicht: Sie wählten nicht nur Fahrrad oder Pedelec (plus 42 Prozent), sondern vornehmlich das Auto (plus 61 Prozent). Das elektrisch unterstützte Radeln erweiterte zwar den Radius im Alltag, wurde aber von rund 70 Prozent der Befragten vor allem für Ausflüge genutzt, von 61 Prozent zum Wohle der Fitness.
E-Bikes für die Freizeit
Auch im laufenden Jahr, so eine Kernaussage der Studie, dürften „nochmals deutlich mehr Pedelecs genutzt werden – vor allem für regionale Ausflüge in der Freizeit und für Touren am Urlaubsort“. Weniger als zehn Prozent der Befragten aber gab an, Pedelec oder E-Bike für den Weg zur Arbeit zu nutzen. Freizeittouren ja, Arbeitswege nein. Kann diese Einstellung zu einer Mobilitätswende führen?
Kritik und Zweifel an der Studie und deren Ergebnissen äußert der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC): Die Frankfurter Untersuchung sei wenig aussagekräftig, da nicht bundesweit. Sprecherin Stephanie Krone verweist auf eine unabhängige, bundesweite Studie, nach der 40 Prozent der Pedelecfahrer ihr Elektrorad „als vollwertiges Verkehrsmittel für Pendel- und Alltagsfahrten einsetzen“ und nur jeder fünfte das Pedelec ausschließlich in der Freizeit nutzt.
Die Studie, erschienen unter dem Titel „Pedelection. Verlagerungs- und Klimaeffekte durch Pedelec-Nutzung im Individualverkehr“ ist allerdings sechs Jahre alt. Sie wurde damals vom Bund gefördert und brachte zutage, dass das Pedelec bei Pendlern fast zwei Drittel (62 Prozent) der zuvor mit dem Auto zurückgelegten Kilometer ersetzt.
Rad-Infrastruktur als größtes Problem
„Pedelecs haben also ganz erhebliches Potenzial, Autofahrten zu ersetzen und zur Verkehrswende beizutragen“, unterstreicht ADFC-Sprecherin Krone. Allerdings, so schränkt sie ein: Die Rad-Infrastruktur müsse stimmen. „Leider gibt es bei den Radwegen noch enorme Defizite: Wenn es überhaupt welche gibt, sind sie schmal und holprig. Radschnellwege für Pendler muss man noch mit der Lupe suchen, und sichere Fahrrad-Parkplätze sind in Deutschland ebenfalls Mangelware“, umreißt sie die Probleme.
Auch Studienautorin Kerstin Wegener von der Frankfurt University of Applied Sciences sieht Pedelecs als einen „wichtigen Baustein nachhaltiger Mobilität“ und spricht sich ebenfalls für einen „zügigen nachfragegerechten Ausbau der Infrastruktur“ aus. „Sonst steigen die vielen Menschen, die in der Corona-Zeit Pedelecs gekauft haben, schnell wieder frustriert zurück ins Auto“, warnt Stephanie Krone.
Dass Deutschland bei der Rad-Infrastruktur um Jahrzehnte hinterherhinkt, sieht auch Claus Fleischer, Geschäftsleiter für E-Bike-Systeme bei Bosch, so: „Radfahren muss auch Spaß machen – und das tut es nur, wenn es sicher ist“. sagt er. 60 Prozent der Menschen in Europa seien laut einer Umfrage stark am Radfahren interessiert, hätten aber Bedenken. „Wir brauchen mehr gefühlte Sicherheit.“
Investitionen sollen Radverkehr fördern
„Wer vorankommen will, braucht extra Personalstellen und Experten für Radverkehr, die sich dem explizit widmen können“, sagt Deutschlands erste Professorin für Radverkehrsmanagement, Jana Kühl. Die nächste Bundesregierung müsse für mehr Verbindlichkeit sorgen, dass sich auf der Straße wirklich etwas verändere. „Es wäre ein Anfang, müssten alle Städte einen Plan vorlegen, wie sie den Radverkehr voranbringen“, so Kühl.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat zum Auftakt der diesjährigen Fahrradmesse zumindest Geld versprochen: 1,46 Milliarden Euro habe der Bund als Teil des „Nationalen Radverkehrsplans 3.0“ bis 2023 für eine bessere Infrastruktur eingeplant.