Berlin. Ein Assistenzhund hilft Menschen, die im Alltag eingeschränkt sind. Für viele sind die Vierbeiner der erste Schritt zur Normalität.
Seit Chiara Wilhelm eine Hündin hat, traut sie sich wieder öfter vor die Tür. Die gelernte Rettungssanitäterin leidet seit ihrer Kindheit unter schwerem Asthma. Über die Jahre hat sich ihre Atemnot dermaßen zugespitzt, dass sie unterwegs mitunter Panikattacken bekam, berichtet sie.
Ihre Angehörigen sorgten sich, wenn sie außer Haus war. Ihren körperlich anstrengenden Beruf musste die junge Frau gegen eine Bürotätigkeit beim Deutschen Roten Kreuz eintauschen. Den Kanon der Arzneien hätte ihr Hausarzt ausgereizt.
„Wenn mir niemand mehr helfen kann, muss ich mir selbst helfen“, entschied Wilhelm. So kam sie zu einer Hündin. Kein gewöhnlicher Vierbeiner, sondern eine Asthmawarnhündin. Diese kann eine sich anbahnende Atemnot anzeigen und so mitunter Schlimmeres verhindern, etwa indem Wilhelm dann Notfallmedikamente einnimmt.
Assistenzhunde brauchen gute Ausbildung
Derzeit absolvieren Wilhelm und ihr Labradoodle Nani eine Ausbildung am Deutschen Assistenzhundezentrum. Denn um den offiziellen Status eines Assistenzhundes zu bekommen, muss der Vierbeiner trainiert werden. Die Kosten für die Ausbildung liegen im unteren fünfstelligen Bereich. Auch wer sich für einen austrainierten Assistenzhund entscheidet, muss mit einem entsprechenden Betrag rechnen.
Vertraut ist vielen der Anblick eines Blindenhundes, der, mit speziellem Geschirr ausgestattet, sein sehbeeinträchtigtes Herrchen oder Frauchen durch Fußgängerzonen lotst. Aber den Assistenzhundeorganisationen zufolge können die Tiere weitaus mehr Patienten helfen: Rollstuhlfahrern heben sie heruntergefallene Gegenstände auf, schalten das Licht ein, öffnen Türen oder betätigen zu Hause den Fahrstuhl.
Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung können „sie aus Flashbacks reißen und beruhigen“, sagt die Assistenzhundetrainerin Petra Köhler. „Sie warnen Diabetiker vor Unterzuckerung und Epileptiker vor Anfällen.“ Köhler arbeitet seit vielen Jahren mit Hunden, die Ausbildung von Assistenzhunden sei allerdings mit Abstand am erfüllendsten, „weil ich sehe, wie der Hund den Menschen helfen kann“.
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Neues Gesetz gibt Besitzern von Assistenzhunden mehr Rechte
Bisher hatten lediglich Blindenhunde einen rechtlichen Sonderstatus und durften beispielsweise mit ihrem Herrchen Arztpraxen und Supermärkte betreten. Mit der Annahme des Teilhabestärkungsgesetzes durch eine Mehrheit des Deutschen Bundestags im April soll sich das ändern: Patienten dürfen künftig jeden Assistenzhund in allgemein zugängliche Anlagen und Einrichtungen mit hineinnehmen.
Wilhelm freut sich über diese Gesetzesänderung. Bisher gelinge es kaum, mit ihrem Hund einzukaufen, berichtet sie. Immer komme es zu langen Diskussionen, weshalb der Vierbeiner nicht vor der Tür angeleint bleibe.
Was viele nicht wissen: An Assistenzhunde werden besondere Anforderungen gestellt. Nach frühestens 18 Monaten, meist ungefähr zwei Jahren, absolviert das Duo Wilhelm und Nani eine Prüfung beim Deutschen Assistenzhundezentrum.
Regelmäßiges Training ist wichtig
Die Hündin soll sich in der Öffentlichkeit tadellos benehmen. Dazu gehört auch, auf Kommando das Geschäft zu machen. Sie muss zeigen, wie gut sie ihrer Patientin hilft, etwa ob sie auf den Befehl „Hol Medi“ Medikamente holen kann. In einem Tagebuch dokumentiert die Asthmatikerin, wie oft Nani sie rechtzeitig vor einem Anfall warnen konnte.
„Wir trainieren momentan, dass sie mir das deutlicher anzeigt“, berichtet sie. Das ist gar nicht so einfach. Wilhelm macht dazu Kniebeugen, bis ihr die Luft knapp wird, und filmt den Selbstversuch. Die Hündin sitzt daneben. „Da“, sagte die Trainerin Köhler beim Anschauen des Videos, „in dieser Sekunde, ehe dir die Luft knapp wird, setzt sie sich hin, starrt dich an und stellt die Ohren auf. Das ist typisches Warnverhalten.“
Wilhelm hatte den Moment verpasst. Nicht nur die Hündin muss trainieren. Auch die Patientin muss Nani lesen lernen. Nun arbeitet das Team daran, dass die vierbeinige Helferin deutlichere Signale sendet. Sie soll Wilhelm künftig vor einem Anfall mit der Nase anstupsen.
Nur drei Prozent der Hunde besitzen die Fähigkeiten
Das Warnverhalten der Hunde sei angeboren, betont Petra Köhler. Es werde in umfangreichen Verhaltenstests vorher geprüft. Nur etwa drei Prozent der Hunde seien dazu imstande, Gesundheitsveränderungen ihres Herrchens oder Frauchens wahrzunehmen.
„Hochwertige wissenschaftliche Untersuchungen dazu sind bisher noch rar“, bedauert die Tiermedizinerin Kerri Rodriguez von der Colorado State University (USA). Je nach Land und Organisation würden die Tiere anders ausgewählt und trainiert. In einer Zusammenschau bisheriger Studien mit sehr wenigen Teilnehmern beschrieb Rodriguez 2020, dass sich das Wohlbefinden von 83 Patienten dank eines Assistenzhundes verbessert habe.
Assistenzhunde helfen auch bei psychischen Belastungen
Von einem traumatisierten Afghanistan-Rückkehrer hörte Norbert Schmidt von der seelischen Stütze, die ein Hund sein kann. In seiner Kindheit wurde er misshandelt. Vor Jahren erkrankte er in der Folge an einer posttraumatischen Belastungsstörung, schildert er. Mitunter plagen ihn minutenlange Dissoziationen, während derer er nicht sprechen und sich auch nicht regen kann.
Vor wenigen Monaten entschied sich Schmidt für einen Assistenzhund. Gerade lernt die Hündin, das Notrufarmband zu betätigen, das Schmidt immer bei sich hat. Er sagt: „Die Hündin legt sich zu mir, wenn es mir nicht gut geht. Das allein hilft schon. Seitdem ich Jayla habe, einen Australian Shepherd, gehe ich überhaupt wieder aus der Wohnung.“
Die Krankenkasse zahlt noch nicht
Begleit- oder Assistenzhunde sind anders als Blindenhunde kein Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Krankenkasse muss daher nicht dafür bezahlen, selbst wenn ein Arzt die Nutzung eines solchen Hundes verschrieben hat. Das geht aus einem Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen hervor, auf das der Deutsche Anwaltverein (DAV) hinweist (Az. L 16 KR 253/18).
Die positive Wirkung des Hundes sei zwar unstrittig, so das Gericht. Das sei aber noch kein Ausgleich der Behinderung, wie es etwa beim Blindenhund der Fall ist – für den muss die Krankenkasse bezahlen, für Assistenzhunde jedoch nicht.