Berlin. Tierversuche für Kosmetikprodukte sind seit 2013 in der EU verboten. Laut einer Studie wird das oft ausgehebelt. Die besten Siegel.

Wer in Europa Kosmetika kauft, kann eigentlich davon ausgehen, dass die Produkte nichts enthalten, was in Tierversuchen getestet wurde. So jedenfalls will es die entsprechende EU-Richtlinie von 2013. Dennoch sind viele Lippenstifte, Cremes und andere Produkte nicht frei von Tierversuchen, wie eine Studie ergab. Ein Grund sind Widersprüche in EU-Gesetzen.

„Europäische Verbraucher können nicht sicher sein, dass die kosmetischen Produkte, die sie kaufen, ohne Tierversuche hergestellt wurden“, sagt Thomas Hartung, Professor für Toxikologie an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, Spezialist für Alternativen zu Tierversuchen und einer der Autoren der Studie. Schlimmer noch: „Selbst Produkte, die als ,ohne Tierversuche‘ ausgezeichnet sind, können Stoffe enthalten, die in Tierversuchen getestet wurden.“

Selbst Kosmetik-Produkte mit Hinweis „Ohne Tierversuche“ betroffen

Die Kosmetikindustrie als Schuldige zu sehen, ist Hartung zufolge falsch. Sie beauftrage keine Tierversuche, sagt der Wissenschaftler. „Die Industrie hat inzwischen festgestellt, dass die kosmetischen Produkte ohne Tierversuche nicht unsicherer werden.“ Das Problem sei eher die EU, die es doch eigentlich gut meinte.

Chemikalien, die in Europa verwendet werden, müssen bei der obersten europäischen Chemiebehörde, der ECHA registriert werden. Die Richtlinie dafür gilt seit 2007. Hartung und seine Kollegen, unter anderem vom Europäischen Zentrum für alternative Methoden zu Tierversuchen (CAAT-Europe) in Konstanz, haben sich diese Daten angesehen.

Von rund 23.000 registrierten Chemikalien werden 3206 in der kosmetischen Industrie eingesetzt, aber nicht ausschließlich. Weil diese Stoffe zum Beispiel auch in Wandfarbe und Waschmittel verwendet werden, sind Tierversuche nach der EU-Chemikalien-Richtlinie möglich und wahrscheinlich, was die Verbote aushebelt.

Gesetzgebung für Chemikalien widersprüchlich

Zum anderen: „Es gibt eine widersprüchliche Gesetzgebung“, sagt Hartung. „Die EU hat Tierversuche für Chemikalien, die in Kosmetika verwendet werden, verboten. Gleichzeitig verlangt die ECHA, dass für den Arbeitsschutz in der Herstellung der Chemikalien solche Tests gemacht werden müssen. Deshalb steckt die Industrie in einem Dilemma.“

419 Stoffe, so fanden die Studienautoren heraus, sind in der EU ausschließlich für Kosmetika regis­triert. Doch selbst 63 davon wurden an Tieren getestet – sogar nach dem EU-Tierversuchsverbot von 2013. Der Grund: Wenn die ECHA fürchtet, dass der Stoff gefährlich für Arbeiter ist, die ihn herstellen, kann sie Tierversuche anordnen. Das Gleiche gilt, wenn unklar ist, welche Folgen eine Chemikalie für die Umwelt hat, ob sie etwa Fische bedroht, wenn sie in Flüsse oder Meer gelangt.

„Als letzter Ausweg müssen Chemikalien manchmal an Tieren getestet werden, um mehr über die Wirkung dieser Stoffe zu erfahren“, heißt es bei der Chemiebehörde. Aber auch: Wer Stoffe registriert, dürfe „neue Tests nur dann durchführen, wenn alle anderen maßgeblichen und verfügbaren Datenquellen ausgeschöpft“ seien.

63 Inhaltsstoffe, die nur für Kosmetika zugelassen sind, sind einer Studie zufolge an Tieren getestet worden.
63 Inhaltsstoffe, die nur für Kosmetika zugelassen sind, sind einer Studie zufolge an Tieren getestet worden. © iStock | istock

Deutsche Kosmetikfirma von Behörde zu Tierversuchen genötigt

Allerdings kann die Behörde mit Sitz im finnischen Helsinki hartnäckig sein, wie der deutsche Duft- und Inhaltsstoffhersteller Symrise aus Holzminden erfahren musste. Die ECHA zwang das Unternehmen 2018 nach langem Verfahren zu Tierversuchen bei zwei Stoffen, jegliche Einwände seitens Symrise wurden abgelehnt. Alternative Testverfahren waren in diesem Fall nicht zugelassen.

Die EU ist mit dem Verbot von Tierversuchen bei kosmetischen Produkten führend. Sie setzt sich auch weltweit dafür ein. In den USA sind Tierversuche erlaubt, um die Sicherheit von Inhaltsstoffen zu ermitteln, aber nicht verpflichtend. China, ebenfalls ein großer Markt für Kosmetik, verlangt Tierversuche – sowohl für im Land hergestellte als auch eingeführte Produkte.

Aktionsbündnis soll Konflikt beilegen

Das CAAT-Europe in Konstanz will helfen, den Konflikt zwischen EU-Kosmetik-Richtlinie und den Regeln der Chemie-Richtlinie aufzulösen. Auf Initiative des Instituts soll ein Aktionsbündnis aus Kosmetikherstellern, Verbraucher- und Tierschützern entstehen. Erste Kontakte gab es bereits.

Die Kosmetikbranche setzte im vergangenen Jahr rund 76,7 Milliarden Euro in Europa um. Größter Einzelmarkt war mit 14 Milliarden Euro Deutschland vor Frankreich mit 11,5 Milliarden Euro und Großbritannien mit 9,8 Milliarden Euro.

Größte Hersteller weltweit sind das französische Unternehmen L’Oréal unter anderem mit den Marken Garnier und Armani, der Mischkonzern Unilever (Dove, Duschdas) aus Großbritannien und die US-Firma Estée Lauder (Aveda). In Deutschland steht Beiersdorf (Nivea, Eucerin) an der Spitze.

Kosmetikprodukte ohne Tierversuche: Diese Siegel helfen Kunden

Verlässlich kann man tierversuchsfreie Kosmetik- und Pflegeprodukte nur an Siegeln erkennen, berichtet Utopia, die Internetplattform für Nachhaltigkeit. Denn Herstelleraussagen wie „Das Produkt wurde nicht an Tieren getestet“ können irreführend sein: Einzelne Inhaltsstoffe können sehr wohl an Tieren getestet worden sein.

Leaping Bunny: Ein international gültiges Siegel, das Kosmetik ohne Tierversuche auszeichnet. Es wird von einem Netzwerk von acht Tierschutzorganisationen vergeben. Firmen, die das Siegel verwenden, verpflichten sich, keine Tierversuche durchzuführen, in Auftrag zu geben oder sich daran zu beteiligen. Das betrifft alle Inhaltsstoffe. Sie beziehen auch keine Stoffe, für die Tierversuche durchgeführt oder beauftragt wurden.

Siegel Leaping Bunny: Siegel für Produkte ohne Tierversuche
Siegel Leaping Bunny: Siegel für Produkte ohne Tierversuche © Leaping Bunny | Leaping Bunny

Hase mit der schützenden Hand: Die Richtlinien für das Siegel wurden vom Deutschen Tierschutzbund zusammen mit dem Internationalen Herstellerverband für tierschutzgeprüfte Naturkosmetik, Kosmetik und Naturwaren entwickelt. Tierversuche sind an wirbellosen Tieren wie auch an Wirbeltieren verboten. Rohstoffe vom toten Tier sind tabu. Hersteller dürfen keinen Konzernen angehören, die Tierversuche durchführen oder in Auftrag geben.

Siegel Hase mit schützender Hand
Siegel Hase mit schützender Hand © Hase mit schützender Hand | Hase mit schützender Hand

Veganblume: Das Siegel der Vegan Society ist das einzige Label, das gleichzeitig für vegane und für Kosmetik ohne Tierversuche steht. Sowohl das Produkt als auch seine Produktionsprozesse und Inhaltsstoffe müssen vegan und tierversuchsfrei sein. Das Unternehmen darf auch keine Tierversuche in Auftrag geben.

Siegel Die Veganblume der Vegan Society
Siegel Die Veganblume der Vegan Society © Vegan Society | Vegan Society

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(mit fmg)