Berlin. Wettergott “Mensch“: Durch Silberjodid oder Elektroschocks soll es gezielt regnen. Wissenschaftlich sind die Erfolge kaum bewiesen.

Nach den schweren Hochwassern vor allem in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, aber auch in Teilen Bayerns kommen Gerüchte auf, die Überschwemmungen seien ganz bewusst herbeigeführt worden. Insbesondere in sozialen Netzwerken und via Telegram werden Falschinformationen verbreitet. Ebenso auf einschlägigen Seiten für Verschwörungstheorien. Die These: gezielte Wettermanipulation – etwa durch sogenannte Wolkenimpfungen oder andere Methoden des Geo-Engineerings.

Tatsächlich gibt es weltweit Versuche, das Wetter künstlich zu beeinflussen. Von wirklicher Manipulation sei man dabei aber weit entfernt, erklärt Physiker Joachim Curtius im Interview. Der Professor für Experimentelle Atmosphärenforschung am Institut für Atmosphäre und Umwelt der Goethe-Universität sieht in den Versuchen eher einen Beitrag zur Grundlagenforschung über die Entstehung von Wolken und Wetter.

Regen, Starkregen und Dauerregen: Das sind die Unterschiede
Regen, Starkregen und Dauerregen- Das sind die Unterschiede

weitere Videos

    Den Versuch, das Wetter zu beeinflussen, gibt es schon lange, oder?

    Joachim Curtius: Das stimmt. Schon die Urvölker haben versucht, aktiv für Niederschlag zu sorgen, sei es durch Regentänze oder Feuer und Rauchschwaden. Sie waren davon auch noch deutlich abhängiger als wir heute. Lagerungsmöglichkeiten für Lebensmittel oder Wasseraufbereitungsanlagen gab es ja nicht.

    Um 1900 wurden dann erstmals sogenannte Hagelkanonen entwickelt. Die damit verschossenen Rußpartikel sollten die Wolken zum Abregnen bringen, bevor Hagel entsteht.

    Das hat nicht funktioniert. Wie nah ist man heute diesem Ziel?

    Joachim Curtius: Ab den 1940er-Jahren etwa gab es ein wirkliches wissenschaftliches Verständnis dafür, was in den Wolken abläuft. Das sind hochkomplexe mikrophysikalische Prozesse mit sehr viel Dynamik, die wir noch immer nicht vollumfänglich ergründet haben. Hier als Mensch ernsthaft Einfluss zu nehmen, davon sind wir noch immer weit entfernt.

    Aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, China, Russland und den USA gibt es aber immer wieder Berichte, dass Wolken gezielt zum Abregnen gebracht wurden. Irgendetwas scheint ja dran zu sein.

    Joachim Curtius: Dahinter steckt meist das Prinzip der „Wolkenimpfung“, auch „Cloud Seeding“ genannt. In den 40er-Jahren legten die Wissenschaftler Irving Langmuir, Vincent Schaefer und Bernard Vonnegut dafür die Grundlage. In den Anfängen nutzte man dafür Trockeneis, heutzutage meist die chemische Verbindung Silberjodid, ein gelbliches Salz.

    Es wird mit Raketen oder Flugzeugen als feiner Staub in die Wolke gebracht. An den Partikeln soll sich dann Eis ausbilden, das zu größeren Eispartikeln anwächst. Auch mit Elektroschocks wird das versucht. Irgendwann werden die Eispartikel zu schwer, die Wolke regnet ab – theoretisch.

    Die chemische Verbindung wird als feiner Staub in der Atmosphäre verteilt, damit sich an den Partikeln Eis ausbildet.
    Die chemische Verbindung wird als feiner Staub in der Atmosphäre verteilt, damit sich an den Partikeln Eis ausbildet. © picture alliance / AP Photo | Mustafa Quraishi

    Welcher physikalische Prozess steckt hier dahinter?

    Joachim Curtius: Wolken entstehen, sobald die relative Feuchte in der Luft einen Wert von 100 Prozent erreicht – meist, wenn sich Luftmassen abkühlen, während sie aufsteigen. Dann bilden sich kleine flüssige Wolkentröpfchen, die nur einige Mikrometer groß sind, das heißt kleiner als die Dicke eines menschlichen Haares.

    Damit aus den kleinen Wolkentröpfchen Regentropfen entstehen, die schwer genug sind, um zu Boden zu fallen, müssen die Wolkentröpfchen auf ein Vielfaches ihrer Größe anwachsen. Dies ist in der Regel nicht der Fall: Die meisten Wolken verdampfen wieder und nur etwa jede zehnte Wolke regnet aus.

    Was braucht es, damit es am Ende wirklich regnet?

    Joachim Curtius: Entscheidend für die Entstehung von Regen ist ein Zusammenspiel von unterkühlten flüssigen Tröpfchen und Eispartikeln, an denen diese festfrieren. Jeder Eispartikel wiederum benötigt zur Entstehung einen sogenannten Eiskeim. Davon gibt es aber nur sehr wenige in der Luft. Und nur sehr, sehr wenige Partikel sind überhaupt als Eiskeim geeignet – Silberjodid gehört dazu.

    • Wegen der Klimakrise treten extreme Wetterlagen immer häufiger auf. Unsere interaktive Karte zeigt, wie viele den Landkreisen in Zukunft drohen.

    Trotzdem halten Sie den tatsächlichen Einfluss für gering?

    Joachim Curtius: Man ist weit davon entfernt, die Wolken so gut zu verstehen, dass man sie gezielt abregnen könnte. Aus meiner Sicht ist die Wolkenimpfung noch immer eine Art moderner Regentanz. Deswegen werden etwa auch die Hagelflieger, die bei uns in Süddeutschland zum Einsatz kommen, um die Ernte zu schützen, von offizieller Seite nicht unterstützt.

    Wissenschaftlich sind die Erfolge kaum bewiesen und man weiß überhaupt nicht, ob es wirkt oder nicht wirkt. Dafür bräuchte es eine metergenaue Modellierung der einzelnen Wolken. Das ist methodisch aktuell großflächig gar nicht machbar.

    Nach Ansicht des Frankfurter Athmosphärenforschers Joachim Curtius ist die sogenannte „Wolkenimpfung noch immer eine Art moderner Regentanz“.
    Nach Ansicht des Frankfurter Athmosphärenforschers Joachim Curtius ist die sogenannte „Wolkenimpfung noch immer eine Art moderner Regentanz“. © picture alliance/dpa | uwe dettmar

    Aber im Einzelfall?

    Joachim Curtius: Es mag sein, dass man in speziellen Situationen bei ganz bestimmten Wolken für ein vorzeitiges Abregnen sorgen konnte. Aber ganz bestimmte Regionen oder Orte zu bestimmten Zeiten mit Wasser zu versorgen oder es abzuhalten, halte ich für vermessen. So genau lässt sich das nicht bestimmen. Dadurch Unwetter oder sogar Naturkatastrophen auszulösen, halte ich für völlig ausgeschlossen.

    Warum?

    Joachim Curtius: Wir können die Temperaturen der Luftmassen nicht beeinflussen. Ebenso wenig haben wir Einfluss darauf, wie die Luftmassen zirkulieren oder wie viel Wasserdampf in einer Wolke ist. Und auch auf die Geschwindigkeit, mit der sich ein Tiefdrucksystem bewegt, können wir nicht einwirken.

    Das sind sehr fundamentale, riesige Energien, und die werden durch Eiskeime wie Silberjodid, die man von irgendeinem Flugzeug aus einbringt, nicht verändert. Zudem bräuchte man für eine großflächige Wolkenimpfung Hunderte von Flugzeugen. Hier unbemerkt zu agieren, ist nach meiner Einschätzung schier unmöglich.