Berlin. Eine Zelltransplantation kann bei einem Knorpelschaden im Kniegelenk helfen. Doch der Therapieerfolg ist an einige Faktoren geknüpft.
Nico Wrobel war 16 Jahre alt, als es anfing. Nach dem Fußballtraining – er hatte in frühester Kindheit mit dem Sport begonnen – schwoll das rechte Knie an und schmerzte. „Das kam und ging. Es hat mich nicht wirklich beeinträchtigt“, erinnert sich der 30-Jährige.
Doch das sollte sich ändern. Mit 18 schaffte Wrobel den Sprung in die Amateur-Oberliga. Er spielte weiter und ging zum Studium in die USA. Neben dem Unterricht trainierte er fünfmal pro Woche, spielte zudem oft um Punkte. Die Schmerzen wurden stärker.
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Mit 20 war der Knorpel in Wrobels rechtem Knie, der Stoßdämpfer zwischen den knöchernen Anteilen, derart beschädigt, dass seine Ärzte es erstmals mit Hyaluronsäure probierten. Die Spritzentherapie half, doch sie bekämpfte nur die Symptome. Sechs Jahre später, mit 26, ging nichts mehr. „Ich konnte nicht mal mehr schmerzfrei gehen.“
Ursprung von Knorpelschäden liegt oft in jungen Jahren
In dieser Zeit, sagt der gebürtige Berliner, seien ihm im Alltag manchmal humpelnde Menschen aufgefallen – Ende 40, Mitte 50 seien sie gewesen. „Da habe ich gedacht: Meine Güte, in dem Alter will ich aber nicht so gehen. Ich will doch lange mobil bleiben.“
Knorpelschäden wie der von Nico Wrobel haben ihren Ursprung oft in jungen Jahren. Meist gehen sie auf Fehlbelastungen zurück, auf Unfälle oder instabile Bänder. Immer mehr Menschen mittleren Alters klagen darüber. Oder über Arthrose, Gelenkverschleiß, der aus Knorpelschäden resultieren kann.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind 2019 in Deutschland etwa 190.000 Knieprothesen eingebaut worden, Tendenz steigend. Eine Datenanalyse von Versicherten der Kaufmännischen Krankenkassen hatte ein Jahr zuvor ergeben: Die größte Zunahme dieser Operationen ist bei den 45- bis 59-Jährigen zu verzeichnen.
Kritik an Vergütung konservativer Behandlungen
Knieprothesen können eine Behandlungsoption sein, wenn alle Therapien ausgeschöpft sind. Werden sie aber in jungen Jahren eingesetzt, müssen sie oft ausgetauscht werden, weil ihre Haltbarkeit begrenzt ist. Beide Operationen, Einsatz und Austausch, sind riskant. Vor allen beim Austausch kann es zu Komplikationen kommen.
„Seit Jahren wird die alternative konservative Behandlung von Schäden im Knie unzureichend vergütet“, beklagte schon 2018 die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie. Wenn ärztliche Beratung und konservative Maßnahmen nicht angemessen honoriert würden, sei die frühere Entscheidung zum Kunstgelenkersatz keine Überraschung.
Auch Nico Wrobel drohte früh im Leben ein künstliches Kniegelenk. „Über kurz oder lang wäre ich wohl nicht darum herumgekommen“, sagt er. Doch dann kam der Sales-Manager zur Behandlung in die Berliner Charité. Der Unfallchirurg und Leiter der rekonstruktiven Kniechirurgie, Tobias Jung, empfahl eine regenerative Knorpeltherapie, eine Zelltransplantation mit körpereigenem Material, kurz ACT.
Zugelassen von der europäischen Arzneimittelbehörde
„Diese Form der Therapie wurde vor etwa 30 Jahren entwickelt“, sagt Jung. Sie komme ursprünglich aus Skandinavien und sei mittlerweile in der dritten Generation. Das von Jung präferierte Verfahren ist mittlerweile für das Knie- und Hüftgelenk eine Kassenleistung. Die europäische Arzneimittelbehörde Ema hat es zugelassen.
„Früher konnten wir Patienten vor allem bei großflächigeren Knorpelschäden kaum Hoffnung auf eine nachhaltige Verbesserung und den Gelenkerhalt machen“, sagt Jung. Zwar hätten verschiedene Methoden Schmerzen und Schwellungen am Knie gelindert, um die Prothese seien die Patienten oft aber nicht herumgekommen.
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„Die Knorpelzelltransplantation mit körpereigenen Materialien ist die für Gelenk und Lebensqualität vorteilhafteste Alternative, um die Wahrscheinlichkeit eines nötigen Kunstgelenks zu einem späteren Zeitpunkt erheblich zu senken“, so Jung. Auch weil sie Unverträglichkeiten und Abstoßungsreaktionen vermeide. „Die Ergebnisse der Zulassungsstudien, aber auch die Ergebnisse, die in den vergangenen Jahren bei uns damit erzielt worden sind, sprechen bei gegebener Indikation unbedingt dafür.“
Kugeln von weniger als einem Millimeter Durchmesser
Bei ACT wird Patientinnen und Patienten in einem ersten Schritt per Kniespiegelung ein Teil des gesunden Knorpels aus dem Gelenk entnommen. Dann werden im Labor Knorpelzellen aus dem Kniegewebe isoliert und vermehrt. Es formen sich kleine Kugeln von weniger als einem Millimeter Durchmesser. Bei einer zweiten Spiegelung, etwa sechs Wochen nach der ersten, wird das herangereifte Transplantat in den Defekt eingesetzt. Dort haftet es an und bildet auf natürliche Weise neues Knorpelgewebe aus.
Nach wenigen Monaten hat sich der Knorpel im Erfolgsfall so stark aufgebaut, dass er zuverlässig wieder als Puffer funktionieren kann. „Für Betroffene ist das ein Segen“, sagt Jung. Der Schmerz verschwinde, die Bewegungsfreiheit kehre zurück. In acht von zehn Fällen, so der Unfallchirurg, bringe die Therapie Erfolge.
Therapieerfolg ist an viele Faktoren geknüpft
Diese seien an viele Faktoren geknüpft: Lebensalter, Nikotinkonsum, Körpergewicht, Beinstellung, Nebenkrankheiten. „Das ist kein Trank des Miraculix, aber es ist ein erfolgversprechendes Therapieverfahren.“ Maximaler Erfolg, etwa dass Therapierte wieder Leistungssport betreiben können, „ist nicht garantiert. Es geht eher darum, dass man seiner Arbeit nachgehen, dass man sich überhaupt wieder sportlich betätigen kann und die Lebensqualität verbessert wird“, so Jung.
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Bei Nico Wrobel hat all das geklappt. Mittlerweile ist bei dem 30-Jährigen auch das linke Knie behandelt worden. Sechs Monate nach den jeweils zweiten Eingriffen war er wieder vollkommen mobil. „Ich habe wenige bis gar keine Probleme mehr“, sagt er. Er mache Yoga, fahre Fahrrad – „und bald werde ich es wieder mit dem Joggen probieren“.