Berlin. Die Uni Bielefeld legt die erste Studie zum Zusammenhang von Gangsta-Rap und Antisemitismus vor. Ein Gespräch mit einem der Forscher.
Gangsta-Rap ist ein Musik-Genre, bei dem es textlich grenzwertig wird. Gewalt, Sex, Drogen, Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit – beim jungen Publikum aber kommt das an. Gzuz, Capital Bra, Farid Bang oder Kollegah – diese Interpreten landen oft in den Charts und setzen Millionen Euro um.
Die Uni Bielefeld hat jetzt die erste wissenschaftliche Studie zum Zusammenhang von Gangsta-Rap und menschenfeindlichen Einstellungsmustern bei Jugendlichen vorgelegt. Die Ergebnisse sind alarmierend (wir berichteten). Ein Gespräch mit Studienautor Marc Grimm über die Faszination dieser Musik sowie die Frage, wie Eltern darauf reagieren können.
Herr Grimm, wie sind Sie und Ihr Team bei der Studie vorgegangen?
Wir haben Jugendliche in Nordrhein-Westfalen interviewt, einzeln und in Gruppen à sechs Teilnehmern. Darüber hinaus haben wir eine empirische, quantitative Erhebung gemacht mit 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Alter von 12 bis 24 Jahren. Es ist eine kleine, regionale Studie, aber sie gibt wichtige Einblicke.
Was wollten Sie herausfinden?
Wir haben uns dafür interessiert, in welchem Ausmaß die Jugendlichen antisemitische, frauenfeindliche oder rassistische Inhalte befürworten und ob das in Verbindung steht mit dem Konsum von Gangsta-Rap.
In Deutschland gibt es Gangsta-Rap seit 20 Jahren. Das ist bisher nie untersucht worden?
Die Rap-Forschung ist bisher primär text- und bildanalytisch vorgegangen. Es gab keine Einstellungsforschung, wo es auch um die Frage geht, wie Gangsta-Rap eigentlich wirkt. Verstehen die Jugendlichen das, was da gesungen wird? Ist es ihnen egal? Oder ist es für sie vielleicht nur eine Kunstform, die keinen Einfluss auf ihre Wahrnehmung hat?
Was sind die Ergebnisse?
Es gibt einen Zusammenhang, aber keine Kausalität, von Gangsta-Rap-Konsum und der Zustimmung zu Antisemitismus. Wir haben zweitens einen Zusammenhang von Gangsta-Rap und frauenfeindlichen Einstellungen. Überraschend waren die Ergebnisse zum Rassismus. Es gibt keine Korrelation von Gangsta-Rap und Rassismus. Das zeigt: Antisemitische Einstellungen gehen nicht notwendigerweise mit rassistischen Einstellungen einher. Beide Ideologien können getrennt voneinander bestehen.
Wie sehr war Antisemitismus bei den Jugendlichen verbreitet?
Ich würde unsere Studie als Hinweis werten, dass es hier ein ernsthaftes Problem gibt. Aber es braucht dringend weitere, altersspezifische Untersuchungen.
Warum ist Gangsta-Rap bei Jugendlichen so beliebt?
Es gibt einen bunten Strauß an Gründen, warum das gehört wird. Ganz zentral dabei sind die Aufstiegserzählungen. Diese handeln meist von abgehängten jungen Männern, die dann den ökonomischen und sozialen Aufstieg schaffen und am Ende nicht mehr in kleinen Verhältnissen leben, sondern über Autos, Geld und Frauen verfügen, wo wir bei den frauenverachtenden Anteilen wären. Das sind einfache Erzählungen, mit denen sich Jugendliche aus allen sozialen Milieus identifizieren können, auch die aus den gehobenen.
Aufstieg als Lebensziel, so einfach?
Ja, obwohl da oft auch ein bisschen Distanz mitschwingt. Die Darstellung von Gewalt etwa wird von den Jugendlichen oft als unterhaltsam interpretiert, wie beim Gucken eines Actionfilms. Teilweise hören die Jugendlichen auch nur mit. Vor allem Jüngere und Frauen gaben an, den Anschluss an die Peers nicht verlieren zu wollen.
Ist diese Musik nicht auch eine Provokation, typisch für die Pubertät?
Der Gangsta-Rap wird nicht gehört, um die Eltern zu provozieren. Das ist ein interessantes Ergebnis, das im Widerspruch steht zu dem, was man so denken könnte bei dieser Art von Musik. Wir haben eher festgestellt, dass es Bedauern bei den Jugendlichen gibt, dass die Texte so radikal sind. Weil man sie deshalb nicht gemeinsam mit den Eltern hören kann.
Gibt das einen Hinweis darauf, wie Eltern reagieren sollten? Viele Eltern machen sich Sorgen, wenn sie die Musik aus dem Zimmer ihrer Kinder hören.
Wenn man nur sagt, dass die Kinder es nicht hören sollen, dann ist das wenig realistisch. Wir waren alle mal in der Pubertät. Ein Verbot macht es tendenziell attraktiver. Eltern sollten stattdessen Interesse zeigen für das, was die Kinder interessiert. Das heißt nicht, einen engen Bezug dazu zu entwickeln und in Texte hineinzuhören unter der Prämisse – die sind dumm und schlecht.
Was schlagen Sie vor?
Eltern sollten die Kinder dabei unterstützen, einen kritischen Blick auf die Inhalte werfen zu können. Damit sie selbst erkennen können, was da gesagt wird. Sie sollten selbst entscheiden können, das Gesagte gegebenenfalls zurückzuweisen. Wir haben gesehen, dass die Inhalte häufig nicht richtig verstanden werden. Dass Rothschild beispielsweise eine antisemitische Chiffre für die Juden ist, wissen viele nicht.
Was glauben Sie, können Eltern ihre Kinder erreichen?
Jugendliche suchen nach Positionierung. Wenn Eltern so was auf den Tisch bringen, blocken sie nicht ab.
Aufklären ohne Zeigefinger?
Viele Jugendliche wollen gar nicht diskriminierend sein. Sie begreifen sich selbst als weltoffen. Das sollte man ernst nehmen. Interessant ist auch: Mädchen und junge Frauen lehnen Gangsta-Rap häufiger ab, und zwar wegen der frauenfeindlichen Texte. Das gibt uns Hinweise, dass Inhalte, die wenig codiert kommuniziert werden, als verletzend wahrgenommen werden. Deshalb würde ich sagen: Wenn man Jugendliche schrittweise daran heranführt, was die Rapper wirklich sagen oder was sie sagen wollen, dann befähigt man sie, Antisemitismus oder Chauvinismus in den Texten zurückzuweisen.
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