Berlin. Angst vor einer Corona-Ansteckung halte viele Menschen von Kliniken fern, sagt der Charité-Kardiologe Ulf Landmesser. Das koste Leben.
Auch wenn der Fokus seit Frühjahr 2020 auf einer neuen Viruserkrankung liegt: Neben Covid-19 gibt es andere Krankheiten, die einen schweren Verlauf nehmen können. Krebserkrankungen etwa oder Herzleiden.
Mediziner beobachten deswegen mit Sorge, dass viele Menschen auch in der aktuell dritten Pandemiewelle den Gang zum Arzt oder ins Krankenhaus scheuen – aus Angst, sich mit dem Coronavirus anzustecken.
Professor Ulf Landmesser, Direktor der Kardiologischen Klinik der Berliner Charité, appelliert an die Menschen, Beschwerden unbedingt ernst zu nehmen und sich untersuchen zu lassen. Und er spricht über aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zu Bluthochdruck, Herzerkrankungen und Covid-19.
Professor Landmesser, es gibt Kollegen von Ihnen, die davor warnen, dass in der aktuellen Welle die Klinikbetten auch für Herzinfarkt-Patienten knapp werden könnten. Ist die Versorgung von Herzpatienten gefährdet?
Ulf Landmesser: Es gibt in der Tat ein großes Problem. Aber nicht vonseiten der Kliniken. Wir sind so organisiert, dass wir Infarktpatienten auch weiter in sehr guter Qualität versorgen können. Es gibt ein Problem auf Patientenseite, weil viele Menschen Angst haben, ins Krankenhaus zu gehen. Das haben wir schon in der ersten und zweiten Welle gesehen.
Bis zu 40 Prozent weniger Patienten mit Herzinfarkt haben manche Kliniken gesehen. Wie ist es aktuell?
Landmesser: Ich schätze, zwanzig bis dreißig Prozent weniger als vorher. Und das ist für Krankheiten wie einen Herzinfarkt sehr, sehr problematisch. Wird ein Herzinfarkt nicht rechtzeitig versorgt, kann das mit einer sehr ungünstigen Prognose verbunden sein.
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Es sind Menschen gestorben, weil sie aus Angst nicht in eine Klinik gegangen sind?
Landmesser: Davon ist auszugehen. Wir haben das indirekt in Analysen gesehen: Auf der einen Seite sind weniger Menschen wegen eines Herzinfarkts in eine Klinik gekommen, als wir es sonst sehen. Gleichzeitig hat die Zahl der Herz-Kreislauf-Stillstände außerhalb von Krankenhäusern zugenommen. Wenn man ein Haut- oder Knieproblem hat und erst spät in eine Klinik kommt, überlebt man das. Wenn man eine Herzerkrankung nicht rechtzeitig diagnostiziert, überlebt man das nicht. Deswegen machen wir uns große Sorgen.
Die Menschen fürchten sich vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus. Wie sicher sind die Krankenhäuser?
Landmesser: Die Kliniken haben sich so organisiert, dass das Risiko für eine Ansteckung in der Klinik ausgesprochen klein geworden ist. Es gibt Hygienekonzepte, umfangreiche Testungen, und die allermeisten Klinikmitarbeiter sind geimpft. Das Risiko, sich mit dem Coronavirus anzustecken, kann natürlich nie bei null liegen. Aber es ist extrem klein. Das Risiko einer unbehandelten Herzerkrankung ist dabei ungleich viel höher.
Mittlerweile weiß man, dass Menschen mit Bluthochdruck und Herzerkrankungen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf haben. Warum ist das so?
Landmesser: Das Risiko für einen schweren Verlauf ist bei dieser Patientengruppe doppelt so hoch. Dazu haben wir gemeinsam mit dem Berliner Institut für Gesundheitsforschung gerade zwei Publikationen veröffentlicht. Bei der Untersuchung von Immunzellen haben wir festgestellt, dass die Patienten mit Bluthochdruck oder anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen bereits eine gewisse Immunvoraktivierung haben. Bekommen sie dann Covid-19, haben sie eine deutlich stärkere Entzündungsreaktion als andere. Das macht Covid-19 ja so gefährlich: Diese überschießende Reaktion des Immunsystems zerstört Organe.
In Deutschland leiden viele Millionen Menschen unter Bluthochdruck – kommen wir deswegen schwerer durch die Pandemie?
Landmesser: Davon muss man ausgehen. Wenn mehr Menschen Bluthochdruck haben, haben wir auch mehr schwere Verläufe, und das trägt zu einer angespannten Pandemie-Situation bei, ja.
Zu Beginn der Pandemie herrschte bei Blutdruckpatienten große Unsicherheit darüber, ob sie ihre Medikamente weiternehmen sollten, weil diese womöglich das Risiko erhöhen, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. Was weiß man inzwischen darüber?
Landmesser: Das war auch ein Teil unserer Untersuchungen, die gerade im Fachmagazin „Nature Biotechnology“ veröffentlicht wurden. Dabei geht es um den sogenannten ACE2-Rezeptor, über den das Virus in den Körper eindringt. Die Vermutung war, dass die Einnahme von Medikamenten wie ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptorblockern die Zahl dieser Rezeptoren erhöht – und damit das Virus leichteres Spiel hätte.
Was haben Sie herausgefunden?
Landmesser: Dass die Behandlung nicht die Zahl der ACE2-Rezeptoren im oberen Nasen-Rachen-Bereich erhöht – also dort, wo das Coronavirus meist in den Körper gelangt. Man kann also klar sagen, dass die Behandlung nicht das Risiko für die Infektion erhöht. Und dass der schwere Verlauf andere Ursachen als die medikamentöse Behandlung hat. Ob Bluthochdruckpatienten auch unter der Covid-19-Erkrankung weiter mit diesen Medikamenten behandelt werden sollten, wird derzeit in mehreren Studien untersucht. Aber vor der Erkrankung gibt es keinen Grund, ein Medikament abzusetzen.
An diesen Symptomen erkennen Sie laut der Deutschen Herzstiftung einen Herzinfarkt:
- starke Schmerzen im Brustkorb
- Der Schmerz kann in Arme, Oberbauch, Rücken, Schulter und Kiefer ausstrahlen.
- starkes Engegefühl oder heftiger Druck im Brustkorb
- heftiges Brennen im Brustkorb
- Angstschweiß mit kalter, fahler Haut
- Übelkeit, Erbrechen, Atemnot
- Brustschmerz oder Atemnot bei minimaler Belastung oder in Ruhe kann auf einen unmittelbar bevorstehenden Infarkt hindeuten.
- Vor allem bei Frauen können die Symptome unspezifisch sein. Deswegen: Treten Symptome in nie zuvor erlebtem Ausmaß auf, sollte man laut Herzstiftung den Rettungswagen rufen.
Die Obduktion von Covid-19-Toten hat gezeigt, dass das Coronavirus auch den Herzmuskel infizieren kann. Wird die Pandemie neue Herzkranke bringen?
Landmesser: Die Pandemie hinterlässt sicherlich leider auch Menschen, die auch längerfristige Probleme wie eine verminderte Leistungsfähigkeit haben. Wir sehen hier viele dieser Patienten und das Interessante ist: Die meisten haben gar keine relevante Einschränkung der Herzfunktion und trotzdem eine eingeschränkte Belastbarkeit. Klar, es gibt auch einzelne Fälle, bei denen Herzmuskelentzündungen aufgetreten sind. Das ist aber nach allem, was wir wissen, zum Glück eher selten. Um hier mehr zu erfahren, wurde in Deutschland das „Nationale Netzwerk Universitätsmedizin“ gestartet. Dabei werden ehemalige Covid-Patienten weiter begleitet, und man schaut sich an: Was zeigen diese Patienten für neurologische Veränderungen? Hat sich das Herz verändert? In den nächsten Monaten wissen wir hier mehr.
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Ein krankes Herz ist ein Risikofaktor für einen schweren Covid-Verlauf. Drei Tipps, wie können Betroffene vorbeugen?
Landmesser: Zuerst einmal mein klarer Aufruf: Lassen Sie sich bitte impfen! Auch bei Herzpatienten höre ich immer wieder die Frage: Soll ich mich impfen lassen? Ja, natürlich. Außerdem ist es ganz wichtig, seine Risikofaktoren wie einen zu hohen Blutdruck gerade in der Pandemie gut einzustellen. Und drittens: Bewegung. Sie wird zur Herzgesundheit gebraucht. Bestimmte Herzerkrankungen sind gut kontrollierbar – wenn man sich regelmäßig bewegt. Ich erlebe es gerade sehr häufig, dass Patienten, die sich sonst häufig bewegen und relativ beschwerdefrei sind, jetzt Beschwerden haben, weil sie sich wegen des Lockdowns nicht mehr bewegen. Das ist natürlich kein gutes Konzept.
Das ist ja grundsätzlich ein guter Rat, auch für Nichtherzpatienten.
Landmesser: Auf jeden Fall. Denn – ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – aber diese Pandemie schlägt ja allen ein bisschen auf die Seele. Das ist auch für das kardiovaskuläre Risiko nicht gut. Auch da hilft es, rauszugehen und den Kopf auszulüften.