Berlin. Die ersten medizinischen Apps werden von den Krankenkassen bezahlt. Wir erklären, welche das sind und wie Patienten diese erhalten.

Mehr als 70 Millionen Krankenversicherte in Deutschland haben ab sofort die Möglichkeit, sich Computerprogramme für Tablet, PC oder Smartphone, sogenannte medizinische Apps, verordnen zu lassen. Die ersten dieser Anwendungen, die von der Kasse bezahlt werden, sind in ein entsprechendes Verzeichnis eingetragen worden. Viele weitere sollen folgen.

Gesundheits-Apps auf Rezept: Welche sind bereits verfügbar?

Die ersten Anwendungen, die für eine Verschreibung zugelassen sind, sind Apps zur Behandlung von Tinnitus (Kalmeda) und Schlafstörungen (Somnio) sowie ein internetbasiertes Programm gegen Angststörungen (Velibra). Viele weitere sind laut dem Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung (SVDGV) im Prozess der Zulassung. Hier geht es etwa um Therapie oder Verlaufskontrolle von Migräne, Diabetes, Fettleibigkeit oder Bluthochdruck.

Wo finde ich diese Apps?

Alle zugelassenen Apps werden in ein Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen eingetragen. Dieses Verzeichnis ist im Internet einsehbar (https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis). Dort kann der Name der App, aber auch eine Kurzbeschreibung über die Art der Anwendung nachgelesen werden. „Wir rechnen damit, dass mittelfristig ein großer Teil unserer Mitglieder einen Antrag zur Aufnahme einer App in das Verzeichnis stellen werden“, sagt SVDGV-Chef Daniel Nathrath. Der Verband vertritt etwa 80 Organisationen und Unternehmen aus dem Bereich der digitalen Gesundheitsversorgung.

Wie werden die Apps geprüft?

Dafür zuständig ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, kurz BfArM. Das Prozedere umfasst die Prüfung der Herstellerangaben zu den geforderten Eigenschaften der App – vom Datenschutz bis zur Benutzerfreundlichkeit. Dabei geht es vor allem um Plausibilität. Eigene Sicherheitsprüfungen werden nach Angaben des BfArM nicht durchgeführt.

Kritisiert wurde dieses Prozedere jüngst von zwei Experten aus der Informationstechnologie, Martin Tschirsich und André Zilch. Sie hatten laut einem Bericht des „Handelsblattes“ bei einem Check von einer der drei zugelassenen Apps mehrere einfache Sicherheitslücken erkannt, die mittlerweile geschlossen worden seien. „Solche Fehler dürfen keinesfalls unentdeckt bleiben“, sagte Zilch. Das koste Vertrauen bei Patienten und Ärzten. Lesen Sie dazu auch: Bundesamt warnt vor Cyberangriffen auf Krankenhäuser

Was müssen die Apps leisten?

Der Hersteller muss einen Nachweis liefern, der die behaupteten positiven Effekte für die Versorgung von Patienten bestätigt. Hier geht es um medizinischen Nutzen, aber auch um sogenannte Struktur- und Verfahrensverbesserungen. Übersetzt heißt das: Eine App kann auch dabei helfen, Behandlungsabläufe besser zu koordinieren oder Therapieaufwände zu senken. In der Regel muss der Nutzen mit mindestens einer vergleichenden Studie nachgewiesen werden. Können die Hersteller dies bei Antragsstellung nicht leisten, gilt eine Übergangsfrist von zwölf Monaten. Der Hersteller kann nacharbeiten. Die Aufnahme dieser Apps in die Liste ist dann zunächst vorläufig.

Darüber hinaus gilt: Laut der Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums müssen die Apps auf Rezept frei von Werbung sein. Personenbezogene Daten dürfen nicht zu Werbezwecken verwendet werden und die in der App gemachten Gesundheitsinformationen müssen dem anerkannten und aktuellen fachlichen Standard entsprechen.

Wie komme ich als Patientin oder Patient an eine App auf Rezept?

Hier gibt es zwei Wege: Zum einen können Ärzte und Psychotherapeuten eine Anwendung aus der Liste verschreiben. „In der Anfangsphase wird eine Papierverordnung, Muster 16, genutzt“, sagt Claudia Widmaier vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen GKV. Per­spektivisch sei aber eine digitale Verordnung geplant. Diese werde an die Krankenkasse weitergegeben. Darüber hinaus können sich Versicherte auch direkt an die Kasse wenden und eine App beantragen. Voraussetzung für die Genehmigung ist eine begründete Indikation, die man nachweisen muss – einen Grund also für die therapeutische oder diagnostische Anwendung.

Wie läuft der Prozess technisch ab?

Vorgesehen ist, dass der Versicherte einen Freischalt- beziehungsweise Rezeptcode von der Krankenkasse erhält, mit dem er die heruntergeladene Anwendung freischalten kann. „Die ersten zwei Stellen des Codes identifizieren dabei eindeutig die Krankenkasse. Damit wird der App-Hersteller in die Lage versetzt, den Code gegenüber der jeweiligen Krankenkasse auf Gültigkeit zu prüfen und die Rechnungsdaten inklusive des Codes elektronisch an die Krankenkasse zu übermitteln“, erklärt Widmaier.

Wie stehen die Kassen zu den Apps?

Der Verband der Ersatzkassen, diese haben 28 Millionen Mitglieder, begrüßt die Apps auf Rezept. Sie seien „ein wichtiger Baustein, die Versorgung der Versicherten mit digitalen Anwendungsmöglichkeiten zu verbessern“, sagte die Vorsitzende Ulrike Elsner. „Die zügige Aufnahme erster Anwendungen in den Leistungskatalog der Kassen zeigt, dass die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens Fahrt aufnimmt. Damit sind wir weltweit Vorreiter.“ Auch die AOK Nordost begrüßt die Einführung. Diese Apps aber dürften keine separate Säule im Gesundheitswesen werden, sondern sollten Lücken in der Versorgung füllen und immer in Absprache mit dem Arzt verordnet werden.

Was sagen die Ärzte und Physiotherapeuten?

Die Krankenkasse Barmer ließ im Juni 1000 Ärztinnen und Ärzte zu den Apps auf Rezept befragen. 42 Prozent der Befragten standen den Anwendungen positiv gegenüber. Weitere 48 Prozent äußerten sich teilweise positiv. 56 Prozent der Ärztinnen und Ärzte aber fühlten sich schlecht oder sehr schlecht für eine Beratung ihrer Patientinnen und Patienten aufgestellt.

Was kosten die Gesundheitsanwendungen den Beitragszahler?

Über die mögliche Zahl der Verschreibungen pro Jahr und die daraus entstehenden Kosten liegen nach GKV-Angaben keine belastbaren Schätzungen vor. „Die Krankenkassen müssen ein Jahr lang jeden beliebigen Preis bezahlen, den sich die Hersteller überlegt haben“, sagt Claudia Widmaier. Im Laufe des ersten Jahres gebe es dann Preisverhandlungen. „Erst nach einem Jahr gilt dann der zwischen dem Hersteller und dem GKV-Spitzenverband ausgehandelte Preis.“Können sich Kassen und Hersteller nicht auf einen Preis einigen, wird ein Schlichter eingeschaltet. Lesen Sie dazu auch: Wie sich die Krankenkassenbeiträge entwickeln werden