Berlin. Eine neue Simulation zeigt: Die globale Klimaerwärmung bedroht weltweit Städte und Küsten. Grund ist der Anstieg des Meeresspiegels.
Als eines der ersten Länder weltweit musste der Inselstaat Fidschi wegen des Anstiegs des Meeresspiegels Dörfer umsiedeln. Bis 2050, schreibt die Universität London School of Economics, könnten weitere 1,7 Millionen Menschen der pazifischen Inseln ihre Wohnorte verlassen müssen. Wer bleibt, würde nicht nur Hab und Gut riskieren, sondern sein Leben.
Ursache für den Anstieg des Meeres ist die globale Erderwärmung. Das Eis der Arktis rund um Grönland schmilzt ebenso wie das Eis von Grönland und jenes von Berg-Gletschern in den Alpen oder im Himalaya. Darüber hinaus dehnen sich die erwärmten Ozeane aus. Seit 1850 verzeichnen die Vereinten Nationen einen Anstieg des Meeresspiegels um 22 Zentimeter.
Das Schicksal der vor dem Wasser fliehenden Inselbewohner von Fidschi könnte aber erst der Anfang sein von etwas Großem, das Millionen Menschen bedrohen wird – in Hamburg, New York, Tokio, Shanghai oder Mumbai. Denn Städte auf der ganzen Welt könnten im Wasser untergehen, heißt es in einer neuen Studie vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sowie von den Universitäten Columbia (USA) und Potsdam. Die Studie ist seit Mittwoch als Titelgeschichte im Fachjournal „Nature“ veröffentlicht.
Klimawandel: Pro Jahr gehen etwa 125 Milliarden Tonnen
Gegenstand der Untersuchung sind die Eisschilde der Antarktis. Dieser gigantische Kontinent ist seit mehr als 34 Millionen Jahren von Eis bedeckt. „Es speichert mehr als die Hälfte des Süßwassers der Erde, gefroren in einer kilometerdicken Schicht“, sagt Ricarda Winkelmann, Professorin für Klimasystemanalyse aus Potsdam und Leitautorin der Studie. Doch das Eis der Antarktis schmilzt. Pro Jahr gehen derzeit etwa 125 Milliarden Tonnen verloren. Insgesamt ist in der Antarktis so viel Wasser gespeichert, dass dieser Spiegel weltweit um fast 60 Meter ansteigen würde, würde der Eispanzer komplett abschmelzen.
Um herauszufinden, was mit den Eisschilden der Antarktis passiert, wenn die Temperaturen auf der Erde weiter ansteigen, nutzen die Forscherinnen und Forscher jetzt ein Modell, das die Stabilität des Eises simuliert. Der Rechenaufwand der durchgeführten Simulationen war derart groß, dass ein einziger Computer dafür eine Million Stunden oder 114 Jahre gebraucht hätte. Es ist die wohl umfangreichste Klima-Rechensimulation weltweit.
Simulation: Ein Beispiel vom Wandern macht es deutlich
„In unseren Simulationen haben wir die Stabilität des antarktischen Eisschildes bei fortschreitender Erwärmung untersucht. Dabei finden wir eine Abfolge von kritischen Temperaturen, bei deren Überschreitung Teile der Antarktis instabil werden“, sagt Ricarda Winkelmann. Dabei spielen Rückkopplungsmechanismen eine entscheidende Rolle. In ihrem Zusammenspiel können sie zu einem unwiederbringlichen Eisverlust führen.
Für einen dieser Mechanismen nennt Winkelmann ein Beispiel. „Kommt man beim Wandern von einem Gipfel ins Tal zurück, wird es wärmer“, sagt die Physikerin. Und genau das gelte in der Antarktis, wenn durch verstärktes Schmelzen die Eisoberfläche in niedrigere Lagen gelangt. Dies könne zu einer Kettenreaktion führen. „Durch die wärmere Umgebungsluft schmilzt das Eis dann umso schneller ab“, sagt die Physikerin. Ab einem bestimmten Punkt reichte diese Dynamik aus, um den Prozess fortzuführen. Dieser finde dann unabhängig davon statt, ob es weitere Klimaerwärmungen gebe.
In der Antarktis gibt es den Forscherinnen und Forschern zufolge eine Reihe dieser selbstverstärkenden Rückkopplungen. Andere Mechanismen wiederum wirkten in die Gegenrichtung. „Die Stabilität des Antarktis-Eises hängt von dem Zusammenspiel dieser ab“, erklärt Winkelmann.
Auslöser dafür würde in den nächsten Jahren und Jahrzehnten stattfinden
Die Ergebnisse der Modellrechnungen zeigen, dass es sowohl in der West- als auch in der Ostantarktis Kipppunkte gibt, die das Eis auf immer verschwinden lassen können. „In unserer Studie geht es nicht um die Zeitskalen des daraus resultierenden Meeresspiegelanstiegs, sondern darum, bei welchen kritischen Temperaturen es zu diesen Risiken kommt“, sagt Winkelmann.
Unterm Strich, so macht es die Studie deutlich, könnte eine weitere globale Erwärmung dramatische Folgen für Hunderte Millionen Menschen haben. Sie würden in Regionen leben, die künftig unterhalb der Flutpegel liegen. Auch wenn die Folgen erst über die kommenden Jahrhunderte hinweg eintreten, ausgelöst werden könnten sie schon in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Ist das Eis einmal verloren, kann das nicht einfach rückgängig gemacht werden. Die Menschheit könnte nur noch reagieren, abwenden könnte sie die Folgen nicht.
Der Mensch beeinflusst das Erdsystem über Jahrhunderte hinweg
Nach Angaben des Weltklimarates IPCC hat sich die durchschnittliche globale Temperatur seit der vorindustriellen Zeit – gerechnet wird mit etwa 1850 – um 1,1 Grad Celsius erhöht. „Bei anhaltenden Temperaturen von vier Grad Celsius über dem vorindustriellen Zeitraum könnte das Schmelzen in der Antarktis langfristig zu einem globalen Anstieg des Meeresspiegels von mehr als sechs Metern führen“, heißt es in der Studie.
Bei einem Plus von zwei Grad Celsius betrüge der Anstieg 2,5 Meter. Nicht mit eingerechnet sind hier Wassereinträge aus Grönland oder durch weitere Verluste von Gebirgsgletschern. Ganze Küstenregionen, Inseln, Städte – alles würde im Wasser verschwinden. „Von der Copacabana in Rio de Janeiro bis zum Opernhaus in Sydney“, so Winkelmann.
In Paris haben sich 195 Staaten 2015 darauf verständigt, den Anstieg der globalen Erwärmung auf 1,5 bis 2 Grad zu begrenzen. „Unsere Studie ist ein Ausrufezeichen hinter dieses Abkommen“, sagt Ricarda Winkelmann. Das Handeln und die Entscheidungen von heute würden das Schicksal des Antarktis-Eises besiegeln. „Wenn wir die Antarktis intakt halten wollen, müssen wir die Emissionen schnellstmöglich auf Null reduzieren“, sagt die Wissenschaftlerin.
Der Mensch, der es gewohnt sei, eher ans nächste Jahr oder die kommende Dekade zu denken, müsse erkennen, dass er das Erdsystem über Jahrhunderte hinweg beeinflusse. Winkelmann: „Was uns die Eisschilde lehren, ist: Wir müssen unsere geologische Kraft und die damit einhergehende Verantwortung ernst nehmen.“