Hamburg. Das Kult-Getränk ist heute aus keiner Hausbar wegzudenken. Was man über Inhaltsstoffe und passende Tonicwasser wissen sollte.
Aus dem Glas duftet es nach Kiefer – und Alkohol. „Diese Mischung aus Heublumen und mentholhaltigen Wacholderbeeren erinnert an einen Nadelbaum“, bestätigt Thomas Weinberger von der Destillerie Lantenhammer beim Online-Tasting. Statt leibhaftig beim Workshop in Lantenheimers Heimat auf die Voralpen zu schauen, sitzt in Corona-Zeiten jeder zu Hause vor seinem Rechner oder Tablet und verkostet, was ihm zuvor nach Hause geschickt wurde. Jeder Teilnehmer hat dazu eine Batterie von Gläsern, Probeflaschen, verschiedene Tonics, Eiswürfel sowie Zitrone, Gurke und Kräuter für den Cocktail vor sich.
Gin-Experte Weinberger ist IHK-Prüfer für Barmixer und Barmeister, Mitglied der Deutschen Barkeeper-Union sowie Jurymitglied bei nationalen Cocktail-Wettbewerben und stand früher selbst lange hinter dem Bartresen. Jetzt erscheint er formatfüllend auf dem Monitor – und führt 150 Minuten lang kenntnisreich und unterhaltsam durch die Welt des Gins: „Das Image des Wacholdergetränks hat sich rapide gewandelt. Fast jeden Tag kommen neue Sorten auf den Markt.“ Die Renaissance erklärt der Fachmann damit, dass Gin leicht zu mixen ist. „Trends entstehen an der Bar“, betont er. Die Wende hätte vor allem ein Gin-Cocktail mit Gurke im Glas gebracht, jeder wollte so ein Getränk haben.
Gin - für jeden Geschmack etwas dabei
Gin ist auch deshalb angesagt, weil für jeden Geschmack etwas dabei ist. Die Spirituose wird inzwischen in fast jedem Stil hergestellt: klassisch wie Bombay Sapphire in der blauen Flasche; im sogenannten New Western Style wie der schottische Hendrick’s mit Gurken- und Rosenessenzen; oder als Spezialvariante wie der im Rieslingfass gelagerte bayerische K.Gin mit alpinen Kräutern.
Beim Gin hat der Barkeeper die Möglichkeit, fast jeden Gaumen zu erreichen. Für Liebhaber klassischer Gins gibt es London Dry Gin, dem nach der Destillation maximal 0,1 Gramm Zucker pro Liter hinzugefügt werden darf. „Wer auf fruchtige Noten steht, nimmt einen mit Himbeernote oder einen Sloe Gin, der als Gegenspiel zur bitteren Schlehe etwas Süße hat“, sagt Barkeeper Eric Bergmann.
Der Name des Getränks ist von der lateinischen Bezeichnung des Wacholders, „Juniperus“, abgeleitet beziehungsweise vom Gin-Vorläufer Genever, den Hollands Brenner bereits Anfang des 17. Jahrhunderts herstellten. Vom Kontinent heimkehrende englische Soldaten brachten den vorwiegend mit Wacholder aromatisierten Schnaps nach England, wo er dann zum Gin wurde.
Wacholderschnaps zwischenzeitlich durch Wodka verdrängt
1736 musste das englische Parlament den Straßenverkauf des billigen Volksgetränks wegen ausbreitender Trunksucht verbieten. Die Obrigkeit hob den Bann aber bald wieder auf, weil illegal gebrannter Gin noch schädlicher war und Geld für die Kriegskasse gebraucht wurde. Der Wacholderschnaps überstand diese Zeiten – und auch die zwischenzeitliche Verdrängung durch Wodka von 1960 bis 1990.
Die im Prinzip wenig aufwendige Herstellung führte inzwischen zu einer Flut neuer Gin-Marken, auch in Hamburg und Umgebung gibt es viele lokale Abfüller wie Skin Gin, Knut Hansen, Just Fine Gin, Tonka oder Gin Sul. Es bedarf dabei keiner langen Reifezeit wie bei Whisky oder Rum. Die Basis ist landwirtschaftlicher Alkohol, meist aus Getreide. Beim Destillieren nimmt der Brand das Aroma der beigefügten Wacholderbeeren auf. Die EU definiert, dass der Wacholdergeschmack vorherrschend bleiben muss, auch wenn Gin mit weiteren Aromastoffen erneut gebrannt und damit „Destillierter Gin“ wird.
Qualität erkennen Experten auch am Alkoholgehalt
Die Qualität eines Gins erkennen Experten unter anderem am Alkoholgehalt: Die Verordnung schreibt mindestens 37,5 Volumenprozent vor. Für Thomas Weinberger und Eric Bergmann wird es ab 40 Volumenprozent interessant. Dann erst kämen Aromen zur Geltung.
Der international bekannte Gin-Kenner Dave Broom nennt in seinem Buch „How to drink Gin“ die Brenner „eine Mischung aus Chemiker und Künstler“. Deren Nase, Geschmacksknospen und Können entscheiden über die Wahl der pflanzlichen Zutaten, der Botanicals, mit denen der Basisbrand aromatisiert wird. Außer Wacholder ist die Anzahl weiterer Botanicals nach EU-Verordnung nicht gedeckelt.
Der Auswahl von Aromen sind folglich keine Grenzen gesetzt, sodass man auch Noten von Brennnessel, Zirbenzapfen, Mädesüß, Kratzdistel und Zuckertang im Glas wiederfindet. „Bei klassischen Gins liegt die Anzahl der Botanicals in der Regel unter 20. Beim New Western Style geht die Zahl nach oben. Bei 94 verschiedenen Aromen braucht es Experten, um das alles zu schmecken“, erläutert Bergmann.
Mix aus Gin und Tonic ist vielfältig
Für Weinberger ist ohnehin weniger mehr: „Zehn bis zwölf ist gut, alles darüber ist Spielerei.“ Spätestens beim Tasting wird klar, dass Gin eine komplexe Spirituose ist. Ihn pur zu verkosten eröffnet neue Duft- und Geschmackswelten. Und nur wer „seinen“ Gin kennt, weiß auch, wie er ihn am besten trinkt. Deshalb sollte man sich bei der Wahl des passenden Tonicwassers ähnlich viel Mühe geben wie beim Gin selbst – und verschiedene Sorten ausprobieren.
Beliebt bei Barkeepern sind dem Barkultur-Magazin „Mixology“ zufolge neben dem weit verbreiteten Dry Tonic von Schweppes auch Sorten wie Indian Tonic von Fever-Tree, Golden Monaco Extra Dry, Fentimans Tonic und das Tonic Water von Thomas Henry. Was die Tonic-Welt alles so hergibt, kann man zum Beispiel auf der Website gintlemen.com studieren.
Der Mix aus Gin und Tonic bestehe zwar nur aus zwei Komponenten und der Garnitur, aber jeder könne ihn nach seinem Geschmack zubereiten, sagt Weinberger. Zuerst füllt man dazu sein Glas randvoll mit minus 18 Grad kalten Eiswürfeln auf, gießt 4 bis 6 cl Gin darüber, füllt langsam mit gekühltem Tonic auf und garniert dann.
Gin kann man auch mit Ginger Beer mixen
Viel Eis hält besser die Kälte, sodass das Getränk nicht so schnell verwässert. Bei der Garnitur sollte man ein Botanical nehmen, welches das vorherrschende Aroma des Gins widerspiegelt: etwa Zesten von Zitronenschalen oder auch Gurkenscheiben. Weinberger mahlt beim klassischen Gin einen Hauch getrockneter Wacholderbeeren ins Glas. So nimmt die Nase die dominierende Note wahr.
Gin wird man jedoch nicht gerecht, wenn man ihn nur mit Tonic trinkt. Man kann auch mit Ginger Beer mixen und eine Limette als Garnitur nehmen. Oder mit Gurkenlimonade mischen und Gurke dekorieren. Dazu schneidet Weinberger mit dem Sparschäler ein langes Stück von der Gurke und twistet es wie eine Schnecke um einen Holzspieß, den er in das Longdrink-Glas steckt.
Gin funktioniert zudem in vielen Mixgetränken, zum Beispiel als Gin Soda, Cosmopolitan oder Gin Fizz. Für seinen „Cosmo 1934“ nimmt Eric Bergmann 5 cl 47-prozentigen London Dry Gin, 2 cl frisch gepressten Zitronensaft, 1 cl Bitterorangenlikör und 1 cl Himbeersirup. Alle Zutaten dann auf Eis shaken und sie durch ein feines Sieb in eine Champagnerschale sieben. Einem entspannten Abend steht nichts mehr im Wege!