Berlin. Ärzte und Wissenschaftler versuchen zu verstehen, was Corona im Körper anrichtet. Lunge, Herz, Nerven – was ist betroffen?

  • Ein negativer Corona-Test beziehungsweise ein erfolgreiches Überstehen der akuten Infektion bedeutet nicht, dass Sie wieder ganz gesund sind
  • Forscher diskutieren momentan darüber, welche Folgen Corona im menschlichen Körper langfristig hinterlässt
  • Momentan handelt es sich dabei größtenteils um Vermutungen, doch es gibt erste Berichte. Ein Überblick über mögliche Folgen

Am Anfang, in den ersten Monaten des Jahres, ging es nur darum, irgendwie durch die Pandemie zu kommen. Und den Menschen, die es nach einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 schwer getroffen hatte, so gut es ging, beim Überleben zu helfen.

Heute, ein halbes Jahr und mehr als eine halbe Million Tote später, verstehen Ärzte und Wissenschaftler deutlich besser, was das Virus im Körper anrichtet. Etwa, dass es weit mehr Organe infizieren und schädigen kann als die Lunge. Es hat Einfluss auf die Nieren, das Herz, sogar auf Hirn und Nervensystem.

Und sie mussten auch lernen, dass ein negativer Corona-Test keineswegs das Ende der Krankheitsgeschichte sein muss. Die Forschung steht nun vor der Frage: Was bleibt nach einer Covid-19-Erkrankung? Welche Langzeitfolgen kann das Virus mit sich bringen?

Corona-Langzeitfolgen: Genese klagen über Kurzatmigkeit

Endgültige Antworten darauf kann es noch nicht geben, die Geschichte dieser Krankheit ist noch jung. Doch es gibt erste Berichte. Etwa darüber, dass Menschen noch Wochen nach einer überstandenen Infektion mit Kurzatmigkeit zu kämpfen haben und nicht einmal den Weg zum Supermarkt schaffen, ohne eine Pause einlegen zu müssen. Selbst wenn sie jung oder Sportler sind.

Oder darüber, dass sich das Herz durch die Erkrankung verändern kann. Auch Geruchs- und Geschmackssin n kann das Virus außer Kraft setzen – ganz unabhängig davon, wie schwer die Krankheit verlaufen ist.

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    Corona-Folgen: Erste Hinweise auf mögliche Herzschwäche

    Es seien zum jetzigen Zeitpunkt vor allem Vermutungen, die man zu den Spätfolgen anstellen könne, sagt Professor Andreas Zeiher, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie und Direktor der Kardiologie an der Uniklinik Frankfurt am Main. Deswegen wollen er und sein Team ehemalige Covid-19-Pa­tienten regelmäßig mithilfe von Ma­gnetresonanztomografie untersuchen.

    „Drei und sechs Monate nach dem Abklingen der Infektion“, sagt Zeiher. Die Ergebnisse sollen Ende des Jahres vorliegen. Die Mediziner wollen wissen: Wie haben sich Herzstruktur und -funktion bei den Menschen entwickelt?

    Erste Hinweise darauf, dass sich die Struktur verändert, gebe es bereits, sagt Zeiher. „Bei einigen Betroffenen hat man nach zwei bis drei Monaten eine Vermehrung des Bindegewebes im Herzen beobachtet.“ In der Folge wird das Herz steifer, weniger elastisch. „Und das kann zu einer Herzschwäche führen“, so der Kardiologe. Ein geschwächtes Herz wiederum kann dazu führen, dass Betroffene schlechter Luft bekommen – eine häufig beschriebene Spätfolge einer Covid-19-Erkrankung.

    Doch diese Kurzatmigkeit kann auch andere Ursachen haben, meint Stephan Eisenmann vom Universitätsklinikum Halle (Saale). Denn das Virus kann auch schwere Entzündungen in der Innenschicht der Gefäße auslösen – im sogenannten Endothel. „Von dieser Entzündung bleiben möglicherweise Restschäden wie etwa eine Vernarbung der Blutgefäße“, so Eisenmann, der die Pneumologie der Uniklinik und die Poliklinik für Innere Medizin leitet und von Beginn an Covid-19-Patienten betreut hat.

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      Nach Covid-19: Bleiben Verwirrtheit und falsche Vernehmung?

      Durch die Vernarbung würden die Gefäße enger, das Blut fließe schlechter, der Sauerstoffaustausch funktioniere nicht mehr so gut. „Und in der Folge haben die Menschen Atemnot.“ Das würde erklären, warum bei vielen von Atemnot Betroffenen selbst in bildgebenden Verfahren keine Auffälligkeiten an der Lunge entdeckt werden.

      Denn: „Das Lungengewebe ist nicht verändert, sondern möglicherweise die Gefäße.“ Und die seien auf einer gewöhnlichen Aufnahme eines Computertomografen nicht zu erkennen. Wie lange diese Veränderung anhalte? „Man weiß es nicht.“

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      Neben Problemen mit Herz und Lunge beobachten Mediziner neurologische Spätfolgen wie Verwirrtheit oder eine falsche Wahrnehmung. „Das kann zum Beispiel durch den sogenannten Zytokinsturm ausgelöst werden“, sagt Professor Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Bei einem solchen Sturm handelt es sich um die gefährliche Überreaktion des Immunsystems auf die Infektion mit Sars-CoV-2. „Diese Immunantwort zieht auch das Gehirn in Mitleidenschaft“, so Berlit.

      Corona-Langzeitfolgen: Konzentrationsprobleme können bleiben

      Auch der lange Aufenthalt auf der Intensivstation könne eine Ursache sein, sagt Eisenmann. „Wir beobachten bei einigen Patienten nach Stunden oder Tagen eine schwere Schädigung der Nerven- und Muskelfunktion“, stellt der Pneumologe fest. Das sei aber unabhängig von der Grunderkrankung. Lesen Sie hier mehr über das Coronavirus und die Schädigung des Nervensystems.

      Aus Reha-Einrichtungen wisse man außerdem, sagt Berlit, dass ehemalige Covid-19-Patienten auch kognitive Einschränkungen wie Konzentrationspro­bleme zurückbehalten können. Berichte darüber gibt es auch aus den USA. Dr. Zijan Chen behandelt am Mount Sinai Health System in New York ehemalige Covid-19-Patienten. Er sagte gegenüber der „New York Times“, es kämen Patienten, die sagen: Ich bin wieder gesund, ich habe keine Atemprobleme, ich habe keine Schmerzen in der Brust. Aber ich kann nicht zurück zur Arbeit, weil ich mich nicht konzentrieren kann.

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        Ob das Virus direkt das Hirn infizieren und dadurch eine Entzündung mit Folgeschäden auslösen kann, sei eine ungeklärte Frage, sagt der Neurologe Berlit. Es gebe einen Fall aus Japan, der darauf hindeute. „Man konnte bei diesem Patienten, der auch unter epileptischen Anfällen litt, das Virus im Nervenwasser nachweisen.“ Das Virus könnte sich über die sogenannten Riechnerven einen Weg ins Gehirn gesucht haben. Über jene Fäden also, die auch beim Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn eine Rolle spielen, von dem die Mehrheit der Infizierten berichtet.

        Corona und die Psyche: Patienten leiden unter Schlafstörungen

        Der Sinnesverlust erhole sich nach bisherigen Erkenntnissen jedoch nach einigen Wochen wieder. „Anders als zum Beispiel bei der Grippe, bei der einige Menschen die Fähigkeit zu riechen und zu schmecken ganz verlieren“, so Berlit. Der mögliche andere Weg ins Gehirn führt zunächst nach unten in den Magen-Darm-Trakt. Von dort aus wandert das Virus aus dem Darm entlang des Nervus vagus bis ins Hirn. „Das wurde zum Beispiel damals für Sars nachgewiesen“, sagt Berlit.

        Neben den körperlichen Folgen, die eine Infektion mit Sars-CoV-2 nach sich zieht, kann Covid-19 auch Spuren in der Psyche hinterlassen. Eisenmann erzählt, in Wuhan habe man mehrere Hundert genesene Covid-19-Patienten zur Nachkontrolle geladen. „Ein Großteil dieser Menschen lebte mit der Angst, noch einmal zu erkranken oder sozial stigmatisiert zu sein. Bis zu 50 Prozent von ihnen litten unter Schlafstörungen“, berichtet der Pneumologe.

        Dr. Lauren Ferrante von der Yale School of Medicine sagte gegenüber der „New York Times“: „Es ist normal, dass Patienten posttraumatischen Belastungsstörungen haben, wenn sie das durchgemacht haben – Albträume, Depressionen, Angst. Weil sie sich erinnern, was passiert ist.“