Berlin. „Glück“ wird in den Corona-Monaten mehr als je zuvor im Internet gesucht. Wir haben nicht nur Experten gefragt, wie man glücklich wird.
Glück kann so wenig sein. Ein kleiner Moment, der uns den ganzen Tag hebt. Ein Duft, ein Geschmack, eine Überraschung, Leichtigkeit. Das ist der Kerngedanke, auf den die Geschäftsidee von Tanja Rylewicz zurückgeht. Und der eigentlich ihr ganzes Leben veränderte. Hin zum Glück, weg von der Unzufriedenheit. Er beendete ihr früheres berufliches Leben und verhalf ihr zu einer Gründung: Eine Eismanufaktur. Dementsprechend lautet der Werbeclaim ihres Berliner Unternehmens Meine kleine Eiszeit: „Eine Kugel vom Glück“.
Die Kugel zum Glück oder den Weg zum Glück suchen im Moment immer mehr Menschen. Es ist eine regelrechte Glückssuche im Internet entstanden. Belegt wird das durch eine Nachricht der Suchmaschine „Google“, kürzlich berichtete der Internetriese, dass das Wort „Glück“ so häufig wie nie gesucht würde, die Nachfrage liegt auf Rekordniveau. Warum ist das so, gerade in den Corona-Pandemie-Monaten?
Glück – die Corona-Krise verstärkt die Suche danach
Professor Karlheinz Ruckriegel ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fakultät Betriebswirtschaft der TH Nürnberg. Er berät Unternehmen und die Politik darin, wie sie die Erkenntnisse der Glücksforschung umsetzen können. „Durch die gewonnene Zeit während der Corona-Krise kommen viele Menschen ins Grübeln. Das ist das eine. Das andere ist, dass eine Krise die persönliche Frage nach dem Glück verstärkt“, sagt Ruckriegel im Telefonat mit unserer Redaktion. Er spricht von einem derzeitigen „Zeitwohlstand“ der Menschen, die Arbeitswege fallen weg, keine Dienstreisen, viele müssen in Kurzarbeit gehen. „Zeit, die viele jetzt nutzen, um sich zu fragen, worauf es wirklich ankommt im Leben .“
Ruckriegel vergleicht die Corona-Krise mit der globalen Finanzkrise 2008. Damals waren die Auswirkungen vor allem wirtschaftlich, trotzdem wirkte diese „wie ein Schock“. Bei der Corona-Krise seien die Folgen umfassender, nicht nur wirtschaftlich, diese Krise schränkt die Freiheit und den Kontakt zu Freunden und Verwandten ein, zudem ist die Gesundheit bedroht.
Die Glücks-Formel: Sechs Faktoren bestimmen unser Wohlbefinden
Beim Glück müsse man unterscheiden zwischen dem emotionalen und dem kognitiven Wohlbefinden. Beim emotionalen geht es um die momentane Gefühlslage, im Wesentlichen also um das Verhältnis von positiven zu negativen Gefühlen im Tagesdurchschnitt, das kognitive meint den Grad der Zufriedenheit des einzelnen generell mit dem Leben. Dabei wägt man ab zwischen dem, was man hat und dem, was noch kommen soll, Ziele, Erwartungen, Wünsche. Eine glückliche Person, so Ruckriegel, erfreut sich häufig positiver Gefühle und erfährt seltener negativer Gefühle im Hier und Jetzt und verfolgt sinnvolle Lebensziele. Das sei bei allen Menschen auf der ganzen Welt gleich.
Im Grunde gibt es sechs Faktoren, die unser Glücklichsein bestimmen. 1. Soziale Beziehungen, das Gegengefühl dazu ist Einsamkeit, die sogar zu körperlichen Krankheiten führen kann. 2. Gesundheit. 3. Ein sinnvolles Arbeitsleben oder ein Ehrenamt. 4. Das Gefühl, Einfluss auf das eigene Leben haben zu können. 5. Genügend Mittel zum Leben zu haben. Und 6. Unsere innere Haltung.
Vor der Corona-Pandemie hätten viele Deutsche viel Zeit mit Arbeit, Einkommenserzielung und Konsum verbracht. Das hat sich von heute auf morgen durch die staatlichen Beschränkungen abrupt geändert. Wir hatten deshalb auch Zeit grundsätzlich übers Leben nachzudenken. „Und wer sich fragt, was macht mich glücklich? Der ist schon auf einem guten Weg. Letztlich kommt es darauf an, wie wir unsere Zeit verwenden. Und hier sollten wir alle Glücksfaktoren, vor allem unserer sozialen Beziehungen im Auge haben.“, so Ruckriegel.
Corona-Pandemie könnte positive Folgen für die ganze Gesellschaft haben
Eisverkäuferin Tanja Rylewicz erlebte ihren Umbruch im Jahr 2017. Sie war bis dahin in verantwortlicher Position als Redakteurin. Sie liebte ihren Job, aber der Zauber der Anfangsjahre war weg. Und sie stellte sich genau eine Frage: Soll alles so weiter gehen oder will ich richtig glücklich sein? Nach der Beantwortung der Frage ging alles wie von selbst. Sie machte ein Praktikum in einer Eismanufaktur in Hamburg.
Rylewicz lernte das Eismachen und kündigte ihren alten Job. Sie eröffnete eine Eisdiele, die sie später wieder verkaufte, weil sie mehr Zeit für ihre Familie brauchte. Inzwischen ist sie mit einem kleinen Eiswagen unterwegs und wird für Feiern und Veranstaltungen für das kurze Glück beim Eisschlecken gebucht. Auf die Frage, wie es ihr geht, antwortet sie: „Wie soll es mir gehen? Ich bin glücklich beim Eismachen und meine Kunden sind glücklich, wenn sie mein Eis schlecken.“ Vom kleinen Glück in der Krise und dem seligen Nichtstun.
Hirnforscher Gerald Hüther: Reichtum und Ansehen sind im Lichte von Corona nutzlos
Einer der bekanntesten deutschen Hirnforscher, Gerald Hüther, geht sogar noch einen Schritt weiter, er sieht nicht nur individuelle sondern gesamtgesellschaftliche Folgen der Corona-Pandemie und die seien durchaus positiv: „Am interessantesten an der Corona-Problematik ist, dass Menschen aus ihren üblichen Mustern und Abläufen herausgeworfen werden. Die meisten haben bestimmte Pflichten, Regeln und Denkmuster, der ganze Tag ist durchfunktionalisiert.“ Mit der Corona-Krise seinen diese größtenteils weggebrochen.
Wie beschreiben Wissenschaftler das Glück?
Der Hirnforscher Hüther beschreibt Glück als einen Zustand, in dem im Gehirn alles optimal zusammenpasst. Die Forscher nennen das Kohärenz, aber dieser Zustand wird nie erreicht. Denn es gebe immer Störungen von außen. Also ist der Mensch stets damit beschäftigt, Lösungen für diese Störungen zu finden. Glückliche Menschen sind diejenigen, die es geschafft haben, immer wieder diese inneren Konflikte zu lösen. „Denn jede Veränderung beginnt bei mir selbst“, sagt Hüther. Kurzfristiges Glück dagegen sei wie ein Lottogewinn oder eine Beförderung, das vergehe wieder.
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Hüther meint, Reichtum, Ansehen und Macht seien im Lichte der Corona-Pandemie tatsächlich nutzlos. „Nach der Corona-Pandemie könnte sogar ein gesellschaftlicher Aufbruch stattfinden. Sicher kehrt ein Großteil der Gesellschaft wieder zurück zu ihrem Leben vor der Corona-Krise, aber die Anzahl der Menschen, die ihr Leben künftig nicht mehr so weiterführen wollen wie bisher, ist gewachsen.” Der Hirnforscher gibt ein Beispiel: Eltern, die ihre Kinder sonst nur in die Kita gebracht haben, erleben ihre Kinder jetzt ganz neu. „Es kann sogar sein, dass sich Eltern neu in ihre Kinder verlieben. Wenn das passiert ist, können die nicht mehr zurück und den ganzen Tag weg sein und ihr Kind fremd betreuen lassen.“
Hüther sieht die Möglichkeit, dass sich das Wertesystem durch die Erfahrungen in der Corona-Zeit verändert. Viele wollen nicht mehr Reisen, nicht mehr so viel arbeiten oder mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. „Ich schätze zwei Drittel der Bevölkerung kehrt genau so wie vorher in den Alltag zurück: Viele warten nur darauf, dass endlich wieder alles so wird wie vorher. Aber ein Drittel wird nach Corona etwas ändern wollen.“ Und dieses Drittel werde sich bemerkbar machen. Wie Corona das Leben ändert – sieben Menschen erzählen.
Während der Corona-Krise entdecken wir unsere unterdrückten Bedürfnissen
Wissenschaftlich gesehen gebe es noch eine andere Betrachtung: Gerald Hüther erklärt, wie der Mensch sein Leben lang lernt. Zum Beispiel haben Kinder ein starkes Bedürfnis nach Bewegung. Dieses müssen sie aber im Laufe der Zeit zu unterdrücken lernen, sonst könnten Kinder nicht fünf Stunden lang in der Schule sitzen oder als Erwachsene acht Stunden im Büro verbringen. Dafür wird im Hirn der Bereich, der dieses Bewegungsbedürfnis erzeugt, gehemmt. Gleiches geschehe mit der Entdeckerfreude und der Gestaltungslust. „Der, der schließlich am besten gelernt hat, seine Bedürfnisse zu unterdrücken, ist auch am erfolgreichsten in dieser Welt.“
Problematisch sei daran aber, so Hüther, dass man während dieses Funktionierens kaum Zugang zu seinen eigentlichen Bedürfnissen hat. „Wenn durch die Maßnahmen der Corona-Pandemie das Funktionieren wegfällt, kommen Menschen wieder in Berührung mit ihren anderen Bedürfnissen: Mit Sinnlichkeit, Körperlichkeit, mit Entdeckerfreude und Gestaltungslust. Viele werden jetzt gerade wieder zu Suchenden.“ Auch nach dem, was sie wirklich glücklich macht. Und diese Tür falle nicht so schnell wieder ins Schloss.
Auch Hirnforscher Gerald Hüther musste durch die Krise und fand das Glück
Auch Gerald Hüther fühlte Mitte der 90er-Jahre eine Art persönlicher Krise. Er war erfolgreicher Wissenschaftler am Max-Planck-Institut. Als er bemerkte, dass sich für die bahnbrechenden Erkenntnisse auf dem Gebiet der Hirnforschung in der Öffentlichkeit kaum jemand interessierte, schrieb er nicht mehr für die Spezialisten aus der Wissenschaft, sondern für Kindergärtner, Psychologen, für Eltern. „Das hat mir Freude gemacht, der Erfolg war mir dabei egal.“ Aber genau das führte seiner Ansicht nach zu seiner hohen Bekanntheit heute. Er sagt: „Ich bin glücklich darüber, dass ich diesen Weg heraus aus dem engen Wissenschaftsbetrieb gefunden habe.“
Professor Karlheinz Ruckriegel ist auch Referent bei der „Akademie des Glücks“, eine Organisation die Experten zum Thema vermittelt.
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