Berlin. In Ostafrika fressen die Insekten ganze Landstriche leer, rund 25 Millionen Menschen leiden Hunger – hinzu kommt die Corona-Pandemie.
Sie werden gerade einmal neun Zentimeter groß, wiegen nur rund zwei Gramm und scheinen dennoch unersättlich: Seit Monaten bedrohen riesige Heuschreckenschwärme die Existenz von Millionen Menschen – vor allem in Ostafrika und auf der Arabischen Halbinsel. Nun folgt die zweite Welle der Zerstörung: Gemeinsam vertilgen die gefräßigen Insekten die Vegetation ganzer Landstriche, zerstören Ackerland und Weiden.
Besonders den Menschen in Äthiopien, Kenia, Somalia und dem Jemen fehlt es infolgedessen an Nahrung, Saatgut und Viehfutter. Laut Vereinten Nationen droht mehr als 25 Millionen Menschen in Ostafrika eine Hungersnot – die Corona-Krise erschwert den Kampf gegen die Plage zusätzlich. Was sind das für Insekten, die Bauern ihrer Existenzgrundlage berauben?
Heuschrecken-Plage: Ein Schwarm so groß wie das Saarland
Die leuchtend gelben, orangefarbenen oder schwarzen Insekten gehören zur Gattung der Schistocerca gregaria – auch Wüstenheuschrecke genannt. Sie leben normalerweise als Einzelgänger, schließen sich mitunter jedoch zu riesigen Schwärmen zusammen und beginnen dann zu wandern. Laut der UN-Landwirtschaftsorganisation (FAO) können sie dabei bis zu 150 Kilometer pro Tag zurücklegen, was in etwa der Strecke von Leipzig nach Berlin entspricht.
In Kenia beobachteten Forschende in diesem Jahr einen besonders großen Schwarm, der aus Hunderten Millionen Insekten bestand. Er sei 60 Kilometer lang und 40 Kilometer breit und damit etwa so groß wie das Saarland gewesen.
Eine einzelne Wüstenheuschrecke mag vergleichsweise harmlos sein, schließen sich die Tiere jedoch zu einem Schwarm zusammen, werden sie zur biblischen Plage: Ein Insekt vertilgt pro Tag in etwa sein eigenes Körpergewicht – also rund zwei Gramm. Ein kleiner Schwarm von rund einem Quadratkilometer hingegen frisst in derselben Zeit bereits so viel wie 35.000 Menschen.
Alltäglich sind derart riesige Gruppen von Heuschrecken, wie sie beispielsweise in Kenia beobachtet wurden, keineswegs. Tatsächlich sprechen Experten von der schlimmsten Plage, die Ostafrika seit 25 Jahren erlebt hat. Und zwar als Folge einer gefährlichen Gemengelage, wie Biologe Axel Hochkirch, designierter Präsident der internationalen Gesellschaft der Heuschreckenforscher, erklärt.
Überschwemmungen und Zyklone bereiteten den Tieren den Boden
„Die Plage ist gleichzeitig Folge des Jemen-Krieges als auch mehrerer Zyklone, die die Region heimgesucht haben“, so der Professor für Naturschutzbiologie in Trier. Bereits 2018 hätten tropische Wirbelstürme jede Menge Regen auf die Arabische Halbinsel und damit an die Grenze zwischen Saudi-Arabien, Oman und dem Jemen gebracht. Im feuchten Sand der Wüste vermehrten sich die Heuschrecken rasant, bevor sie schließlich bis nach Afrika wanderten.
Denn Nässe schafft optimale Bedingungen für deren Fortpflanzung: Die Insekten legen ihre Eier mit Vorliebe in feuchter Erde ab. Die dort wachsenden Pflanzen liefern ihnen jede Menge Futter. In den vergangenen Monaten regnete es auch in Ostafrika ungewöhnlich stark, Überschwemmungen waren vielerorts die Folge. Perfekte Bedingungen für die Wüstenheuschrecke, die sich noch einmal stark vermehrte.
„Nicht nur im Jemen, sondern auch in Somalia verbreiteten sich die Schwärme dann in Krisen- und Kriegsgebieten, was ihre Bekämpfung zusätzlich erschwert hat.“ Denn die nötige Ausrüstung, die Bauern hätte helfen können, der gefräßigen Schädlinge Herr zu werden, sei größtenteils zerstört worden. „Eigentlich hätte man bereits im Mai 2018 eingreifen müssen – also noch vor der Massenvermehrung der Insekten“, konstatiert der Biologe. Zum jetzigen Zeitpunkt würden vermutlich nur noch chemische Pestizide helfen.
Corona-Einschränkungen machen Bekämpfung unmöglich
Das liege vor allem daran, dass die Tiere bereits ausgewachsen seien. In einem frühen Stadium – als Eier oder Larven – hätten Bauern mit einem umweltfreundlicheren Mittel gegen die Schädlinge vorgehen können: dem biologischen Insektizid „Green Muscle“. Pilzsporen bilden die Grundlage des Insektenvertilgungsmittels, das ausschließlich Wüsten- und Feldheuschrecken tötet, ohne dabei jedoch anderen Lebewesen zu schaden. Zwar sprühen die betroffenen Länder mit Unterstützung der FAO Insektizide. Die Corona-Krise erschwert die Arbeiten indes zusätzlich.
Zum einen deshalb, weil in Ostafrika, ähnlich wie hierzulande, vielerorts Ausgangssperren gelten. Diese sind zum Teil jedoch viel drastischer. Viele Afrikaner dürfen ihre Häuser überhaupt nicht verlassen. Bauern ist es somit weder möglich, ihre Felder zu bestellen, noch, mit Schädlingsbekämpfungsmitteln gegen die Heuschreckenplage vorzugehen.
Auch die Einschränkung des weltweiten Flugverkehrs behindert die Bekämpfung der Schwärme. Schließlich können in die von der Plage betroffenen Gebiete derzeit kaum Pestizide ausgeliefert werden. „Die Farmer können sich jetzt auch nicht mehr zusammenschließen, um gemeinsam ein Flugzeug oder motorisierte Sprühmaschinen zu mieten“, erklärt Ayele Sebaro, Nothilfekoordinator der SOS-Kinderdörfer in Ost- und Südafrika.
Letzte Plage in Mitteleuropa Jahrhunderte her
Laut FAO konnten im Jemen und Ostafrika zwar 720.000 Tonnen Getreide gerettet werden – wovon sich fünf Millionen Menschen pro Jahr ernähren könnten. In Ostafrika herrscht aktuell jedoch eine Regenzeit und die Heuschrecken vermehren sich erneut. Eine zweite Welle könnte laut Forschern sogar 20-mal größer werden.
Freilich kommen derartige Heuschreckenplagen nicht nur in Afrika oder Südasien vor. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass Deutschland eine ähnliche Invasion erleben könnte? „Ausschließen lässt sich das nicht“, so Hochkirch. Gleichzeitig ist die letzte große Heuschreckenplage hierzulande schon einige Jahrhunderte her. Zuletzt fielen 1749 Europäische Wanderheuschrecken über Mitteleuropa her und plagten innerhalb Deutschlands vor allem die Bürger Bayerns und Frankens.
Soldaten wurden angewiesen, die Insekten anzuzünden und so zu töten. Noch bis ins 19. Jahrhundert sei Mitteleuropa von vereinzelten Schwärmen heimgesucht worden, so der Biologe. Die Heuschrecken schlüpften zuvor vermutlich in sumpfigen Gebieten entlang der Donau und wanderten mitunter bis nach Irland und Norwegen. Nachdem die Sumpfregionen entwässert wurden, starben die Insekten in Mitteleuropa allerdings beinahe aus.
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