Berlin. An den Feiertagen ist Alkohol besonders präsent: Eine Herausforderung für Menschen mit Suchtproblem – aber auch für deren Angehörige.

Glühwein, Eierlikör, Sekt und Feuerzangenbowle. Die Auswahl alkoholischer Getränke an den Weihnachtstagen ist groß. Etwa jeder zehnte Deutsche will an den Feiertagen sogar mehr trinken als sonst, das zeigt eine aktuelle Umfrage im Auftrag des Verbands der Privaten Krankenversicherung, die unserer Redaktion vorliegt.

Danach sagen 14 Prozent der Männer und zehn Prozent der Frauen, dass sie an Weihnachten „auch mal einen über den Durst trinken“ würden. Gleichzeitig ist die übergroße Mehrheit der Befragten (79 Prozent) überzeugt, dass sie nicht mehr trinken werden als im Rest des Jahres auch.

Alkohol an Weihnachten: Suchtexperten klären auf

Dabei spielt das Alter eine entscheidende Rolle: Je jünger die Befragten, desto höher ist die Affinität zu Alkoholkonsum. Die Umfrage zeigt auch, dass die Bereitschaft zu übermäßigem Alkoholkonsum im Vergleich zum letzten Jahr etwas geringer ist.

Doch was kann man tun, wenn ein Familienmitglied deutlich zu viel trinkt – und das vielleicht regelmäßig? Darf und sollte man eingreifen? Und wenn ja, wie? Suchtexperte Jörg Petersson und Ingo Schäfer, Leiter des Arbeitsbereiches Suchtmedizin und abhängiges Verhalten an der Uniklinik Hamburg-Eppendorf, beantworten die wichtigsten Fragen.

Woran erkenne ich Alkoholismus?

Alkoholismus ist ein komplexes Krankheitsbild. Trotzdem gibt es verschiedene Merkmale, an denen man eine Suchterkrankung erkennen kann. „Zu den klassischen Symptomen zählt, dass Menschen keine Kontrolle über ihren Konsum haben. Sie fangen zum Beispiel auf einer Weihnachtsfeier an zu trinken und können nicht mehr aufhören“, erklärt Schäfer.

Auch die Affinität, Risiken einzugehen, etwa Autofahren unter Alkoholeinfluss, kann ein Anzeichen sein. Gewalt und Alkohol sind eng miteinander verbunden. „Man sollte hellhörig werden, wenn Menschen aggressiv darauf reagieren, wenn man sie auf ihren Konsum anspricht“, sagt Schäfer. Eindeutig sei es, wenn Entzugserscheinungen wie Zittern oder Schwitzen auftreten oder sich der Konsum von Anlässen löst.

Gerade bei Personen, die man nur über einen kurzen Zeitraum erlebt, ist es schwierig zu bewerten, ob eine Abhängigkeit besteht. Deshalb sollten vorschnelle Urteile vermieden werden. Gibt es trotzdem Grund zur Sorge, sollte das Problem nicht an Weihnachten selbst, sondern in einem ruhigeren Moment angesprochen werden. „Wenn jemand abhängig ist und noch trinkt, wird man ihn auf einer Feier nicht davon abhalten können. Man sollte sich eher Gedanken darüber machen, ob man ihn überhaupt einlädt oder was nach der Feier passiert“, sagt Petersson.

Jedoch ist nicht jeder, der ab und an etwas mehr trinkt, automatisch süchtig. Auch sei es ein Irrglaube, dass sich eine Alkoholsucht durch regelmäßigen Konsum entwickele. „Eine Abhängigkeit von Alkohol hat mit der Menge und der Häufigkeit des Konsums wenig zu tun. Vielmehr werden Süchte durch genetische Dispositionen bedingt“, sagt Petersson. Einer aktuellen Studie zum „Gebrauch von Alkohol, Tabak, illegalen Drogen und Medikamenten“ zufolge konsumieren rund 18,1 Prozent der 18- bis 64-Jährigen riskante Mengen an Alkohol.

Wie kann ich bei Alkohlsucht helfen?

Einen Verwandten oder Freund auf seinen übermäßigen Alkoholkonsum anzusprechen, ist nicht einfach. Besonders wichtig sei, den anderen nicht anzuklagen, sagt Schäfer. „Wenn man intervenieren möchte, empfiehlt es sich, in Ich-Botschaften zu sprechen. Anstatt zu sagen ‚Du trinkst zu viel‘, könnte man sagen ‚Ich mache mir Sorgen um dich‘ oder ‚Ich habe das Gefühl, dass etwas nicht stimmt‘.“

Ist das Problem dann auf dem Tisch, sollte man den Betroffenen dazu motivieren, Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen. Selbsthilfegruppen, Fachberatungsstellen oder Hausärzte können dabei helfen, das Problem in den Griff zu bekommen. Eine erste Bereitschaft müsse jedoch von dem Betroffenen selbst kommen, sagt Schäfer.

Jörg Petersson sieht diese Vorgehensweise kritisch. „Man kann sehr lange und oft vergeblich warten, bis Betroffene selbst Hilfe suchen. Mein Ansatz sieht deshalb vor, früh und gezielt zu intervenieren.“ Der Diplom-Psychologe betreibt ein Online-Fachpraxis für Angehörige von Suchtkranken. Gemeinsam mit den Familien und Freunden arbeitet Petersson eine Strategie aus.

In einer Intervention wird der Süchtige dann von seinem engsten Kreis konfrontiert und muss sich entscheiden, ob er etwas ändern oder so weitermachen möchte. „Der Tiefpunkt kommt bei allen Abhängigkeitskranken früher oder später. Mit einer offensiven Intervention führt man ihn nur schneller herbei“, sagt Petersson. Die Methode ist in Fachkreisen jedoch umstritten.

Wie komme ich trocken durch die Feiertage?

Selbst nach einem erfolgreichen Entzug kann es für Süchtige weiterhin schwierig sein, abstinent zu bleiben. Deshalb sind die Feiertage eine besondere Herausforderung. „Bei Festen gehört der Konsum zur Norm. Ihn abzulehnen, ist deshalb nicht einfach“, sagt Schäfer. „Hinzu kommt der soziale Stress, der an den Feiertagen bei allen Menschen steigt.“ Deshalb sei dann auch das Rückfallrisiko höher.

Um das zu vermeiden, gibt es verschiedene Strategien. Ein radikaler Schritt ist, den Feierlichkeiten fernzubleiben. Aber auch das sollte gut geplant sein. „Es kann problematisch sein, sich zu isolieren. Sinnvoll ist es, alternative Aktivitäten zu planen, damit man die Feiertage trotzdem genießen kann“, sagt Schäfer. Außerdem sei es ratsam, in schwierigen Zeiten häufiger zu Selbsthilfegruppen zu gehen.

Wenn man sich aber doch dazu entscheidet, sich auf Feiern zu bewegen, bei denen getrunken wird, helfe es, offen mit der Krankheit umzugehen. „Für Betroffene ist es oft hilfreich, ihre Krankheit im engeren Umfeld offen zu kommunizieren. Dann können die Menschen, wenn nötig, sich darauf einstellen“, sagt Petersson.

Ab wann ist der Konsum von Alkohol bedenklich?

Obwohl Alkohol eine legale Droge ist, sollte man damit unbedingt vorsichtig umgehen. Denn Alkohol erhöht nicht nur die Wahrscheinlichkeit, sich im Rauschzustand akut zu verletzen, sondern ist auch auf lange Sicht schlecht für den Körper. Und das bei einer deutlich kleineren Menge als viele denken. Die Schwelle für einen „riskanten Konsum“ ist bei Männern und Frauen unterschiedlich.

Bei Männern beginnt er dann, wenn die Menge von 24 Gramm reinen Alkohols pro Tag überschritten wird, bei Frauen sind es 12 Gramm. Das entspricht etwa 0,6 Liter beziehungsweise 0,3 Liter Bier pro Tag. Alles darüber hinaus gilt als gesundheitsschädigend.

Konkret erhöht sich das Risiko einer Krebserkrankung, einer Schädigung des Gehirns sowie einer Herz-Kreislauf-Erkrankung. Um diese Risiken einzudämmen, wird empfohlen, an mindestens zwei Tagen in der Woche keinen Alkohol zu sich zu nehmen. Besonders aufpassen sollte man auch bei der gleichzeitigen Einnahme von Medikamenten und Alkohol, da es hier – je nach Art des Medikaments – zu unangenehmen bis gefährlichen Wechselwirkungen kommen kann.

Alkohol und Drogen – mehr zum Thema

K.o.-Tropfen sind die neue Partydroge – und zwar freiwillig. Laut dem Drogenbericht der Regierung nimmt fast jeder zweite Häftling in Deutschland Drogen. Die neue Drogenbeauftragte fordert einheitliche Regeln beim Besitz von Cannabis. Suchtkrankheiten gibt es in allen Gesellschaftsschichten: Jenny Elvers schreibt über Glamour, Alkohol und Absturz.